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Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 22 16. März 2020 Sollten die Kosten von Wohneigentum stärker in die Inflationsmessung einfließen?

Die EZB will die Geldpolitik verständlicher gestalten, indem Sie die Lebenswirklichkeit der Menschen in der Eurozone besser abbildet. Unter anderem diskutiert Sie den Vorschlag, die Kosten selbstgenutzten Wohneigentums in der Berechnung der Inflationsrate einzubeziehen. Eine solche Umstellung würde internationalen Standards folgen und könnte relevant für Länder mit einer hohen Wohneigentumsquote sein.

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Sollten die Kosten von Wohneigentum stärker in die Inflationsmessung einfließen?
Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 22 16. März 2020

Sollten die Kosten von Wohneigentum stärker in die Inflationsmessung einfließen?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die EZB will die Geldpolitik verständlicher gestalten, indem Sie die Lebenswirklichkeit der Menschen in der Eurozone besser abbildet. Unter anderem diskutiert Sie den Vorschlag, die Kosten selbstgenutzten Wohneigentums in der Berechnung der Inflationsrate einzubeziehen. Eine solche Umstellung würde internationalen Standards folgen und könnte relevant für Länder mit einer hohen Wohneigentumsquote sein.

Im aktuellen Umfeld persistenter Niedriginflation stellt die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde die bisherige geldpolitische Strategie auf den Prüfstand. Darunter fällt eine Neubewertung der Berechnung der Inflationsrate. Ein konkreter Vorschlag kam kürzlich vom EZB-Chefvolkswirt: Wohnungsausgaben sollen in der Inflationsmessung eine größere Rolle bekommen. Schließlich kann die scheinbare Lücke, zwischen der in der Bevölkerung wahrgenommenen und der offiziell gemessenen Inflationsrate, die Kommunikation der EZB erschweren.

Gegenwärtig wird die Entwicklung der Wohnkosten in dem monatlich berechneten Konsumentenpreisindex nur durch die Mietpreisentwicklung abgebildet. Diese sind mit einem Anteil von 6,5 Prozent im repräsentativen Warenkorb in der Eurozone gewichtet (FAZ, 2020). Das klingt niedrig. Im Euroraum besitzt die deutliche Mehrheit der privaten Haushalte allerdings Wohneigentum. Es führt zu der Frage, ob die mit dem selbstgenutzten Wohneigentum in Verbindung stehenden Kosten mitberücksichtigt werden sollten. Da Wohnungsausgaben in der Regel den größten Ausgabeposten privater Haushalte ausmachen, ist die Frage des Einflusses ansteigender Wohnkosten auf die Inflationsrate relevant.

Die Problematik unterschiedlicher Wahrnehmungen zu den Preisentwicklungen wird in der Abbildung deutlich. Während sich die Immobilienpreise in Deutschland bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 kaum verändert hatten, ist seit 2011 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Seit 2015 findet eine Entkoppelung zwischen dem harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) einerseits und der Hauspreisentwicklung sowie der Mietentwicklung andererseits statt. Die Immobilienpreise sind seit 2005 mehr als doppelt so stark gestiegen wie die gemessene Inflationsrate.

Vorschläge zur Einbeziehung von selbstgenutztem Wohneigentum seitens der EZB gab es bereits, diese wurden aufgrund statistischer Probleme aber nicht weiterverfolgt. Zum einen liegt die Schwierigkeit darin, den konsumtiven Anteil einer selbst genutzten Immobilie adäquat herauszufiltern. Ökonomen argumentieren, dass Wohneigentum dem Vermögensaufbau dient. Somit würden steigende Immobilienpreise nicht die Wohnkosten erhöhen, sondern in erster Linie einen Anstieg der Vermögensposition bedeuten. Zum anderen gibt es ein Zeitproblem: Während die Inflationsrate monatlich gemessen wird, findet die Erfassung von Immobilienpreisen quartalsweise statt. Eine weitere statistische Herausforderung ergibt sich aus der Heterogenität der Wohnungsmärkte in Europa. Während in der Eurozone über 65 Prozent aller Haushalte Wohneigentum besitzen, sind es in Deutschland gerade etwas mehr als die Hälfte; in einzelnen Ländern liegt die Wohneigentumsquote bei über 90 Prozent. In diesen Fällen erscheint eine Einbeziehung selbstgenutzten Wohneigentums besonders relevant.

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Es gibt einen Trade-Off zwischen verbesserter Darstellung der Lebenswirklichkeit und den technischen Herausforderungen einer Neuberechnung der Inflationsrate. Bundesbankpräsident Jens Weidmann äußerte sich zuletzt wohlwollend dem Vorschlag einer Änderung der Berechnungsmethode gegenüber (FAZ, 2020). Dass dies denkbar ist, zeigt die Berechnung der monatlichen Teuerungsrate in Deutschland. Beim europäisch vergleichbaren HVPI wird das vom Eigentümer selbstgenutzte Wohneigentum zwar noch nicht berücksichtigt, im nationalen Verbraucherpreisindex (VPI) jedoch schon (Destatis, 2020). Hier werden die Ausgaben für selbstgenutztes Wohneigentum unter Verwendung der Entwicklung des Preisindex für Nettokaltmieten geschätzt (Mietäquivalenzansatz).

Welchen Unterschied würde die Anrechnung der Kosten von selbstgenutztem Wohneigentum machen? Der Effekt auf die gemessene Inflationsrate wird in verschiedenen Studien mit überschaubaren Aufschlägen zwischen 0,2 und 0,5 Prozentpunkten auf die Inflationsrate beziffert (Groß, 2018; EZB, 2016). Obwohl temporär große Unterschiede zwischen den Verbraucherpreisindizes mit und ohne Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohneigentum entstehen können, gibt es in der langen Frist die Tendenz, dass sich beide angleichen. Legt man für ein Land wie Deutschland mit einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt zwischen Eigentümern und Mietern den HVPI und VPI nebeneinander, sind die Abweichungen marginal.

Je nachdem, welche Berechnungsmethode zur Einbeziehung von selbstgenutztem Wohneigentum verwendet wird, können steigende Immobilienpreise sogar zu sinkenden Wohnungsausgaben und somit Inflationsraten führen. Verwendet man das Verfahren zur Ermittlung der Wohnnutzungskosten, welches in Kanada und Schweden angewendet wird, müssen die gesunkenen Zinsausgaben dem dargestellten Anstieg der Immobilienpreise der vergangenen Jahre gegenüberstellt werden. So finden Voigtländer und Sagner (2019) für Deutschland, dass die sinkenden Zinskosten die steigenden Immobilienpreise überkompensiert haben. Das zweite Verfahren, welches im Euroraum bevorzugt wird, folgt dem sogenannten Nettoerwerbskonzept (Eurostat, 2017). Dieses Verfahren berechnet den absoluten Wert der Immobilie zum Zeitpunkt des Erwerbs. Es geht nur Wohnraum ein, der dem Haushalt neu zugeht. Finanzierungskosten beim Kauf der Immobilie, wie z.B. Zinskosten, sind nicht abgebildet. Der Vorteil ist, dass die Anrechnung konsistent ist mit den anderen Gütern im VPI. Allerdings erfordert es eine saubere Trennung von Gebäude und Grundstück. Beide Verfahren lösen nicht das Zeitproblem in der jeweiligen Berichterstattung.

Die aktuell gemessene Inflationsrate in der Eurozone liegt bei 1,4 Prozent. Mit der alternativen Berechnungsmethode könnte die EZB dem Ziel der Preisstabilität von knapp unter 2 Prozent näherkommen. Es ist fraglich, ob diese Anpassung die Geldpolitik der EZB beeinflussen sollte. Einerseits sind höhere Leitzinsen für sich genommen kein Politikziel, sondern wirtschaftspolitisches Instrument. Andererseits müsste dann die EZB ggf. die Skalierung des Inflationsziels ändern. Eine Reform der geldpolitischen Strategie kann sich nur aus strukturellen Veränderungen begründen lassen. Sollten aus dem sichtbaren Anstieg der Immobilienpreise Stabilitätsrisiken entstehen, wären hingegen makroprudenzielle Maßnahmen gefordert.

Aus Konsumentensicht ist eine Einbeziehung des selbstgenutzten Wohneigentums eine der wenigen Möglichkeiten, potenziell gestiegene Lebenshaltungskosten auch in der Messung der Inflationsrate wieder zu spiegeln. Die überschaubaren Effekte einer solchen Neuberechnung wirft die Frage auf, wieviel Gewicht die EZB der besseren Abbildung der Lebenswirklichkeit (europäisch vergleichbar) beimisst und ob es In der langen Frist dazu beiträgt, die Lücke zwischen der wahrgenommenen und der gemessenen Inflationsrate zu schließen. Jedenfalls erhöht es den Modellcharakter des HVPI, was für sich genommen kritisch gesehen werden kann. Am naheliegendsten dürfte der Mietäquivalenzansatz sein.

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