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Matthias Diermeier / Florian Güldner / Markos Jung IW-Kurzbericht Nr. 71 18. Juni 2020 Next Generation Solidarity: EU-Wachstumspaket statt Konjunkturhilfen

Die EU-27 sind wirtschaftlich hart von der Covid-19 Krise getroffen. Besonders den süd- und osteuropäischen Ländern versucht die EU-Kommission nun beizuspringen. Das vorgeschlagene 750 Milliarden Euro schwere Maßnahmenpaket zielt dabei weniger auf konjunkturelle Aspekte, sondern ist – der Rolle der EU angemessen – als langfristiges Wachstumspaket zu verstehen.

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EU-Wachstumspaket statt Konjunkturhilfen
Matthias Diermeier / Florian Güldner / Markos Jung IW-Kurzbericht Nr. 71 18. Juni 2020

Next Generation Solidarity: EU-Wachstumspaket statt Konjunkturhilfen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die EU-27 sind wirtschaftlich hart von der Covid-19 Krise getroffen. Besonders den süd- und osteuropäischen Ländern versucht die EU-Kommission nun beizuspringen. Das vorgeschlagene 750 Milliarden Euro schwere Maßnahmenpaket zielt dabei weniger auf konjunkturelle Aspekte, sondern ist – der Rolle der EU angemessen – als langfristiges Wachstumspaket zu verstehen.

Seit Wochen ringen die EU-Kommission, das Europaparlament und die Mitgliedstaaten um die Ausgestaltung eines großen Corona-Hilfspakets. Bereits Ende April hatte man sich nach langwierigen Verhandlungen auf ein erstes Sicherheitsnetz geeinigt – mit immerhin 540 Milliarden Euro Volumen. Dieses sieht allerdings lediglich Garantien und günstige Kreditlinien über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die Europäische Investitionsbank vor, die etwa für Unternehmenskredite, die Finanzierung von Ausgaben im Gesundheitssektor oder die Finanzierung von Kurzarbeitergeld zur Verfügung stehen (Europäischer Rat, 2020).

Die aktuellen Vorschläge einer europäischen Krisenantwort gehen darüber hinaus. So haben Deutschland und Frankreich Pläne für ein Wachstumsprogramm über 500 Milliarden Euro vorgelegt, das über Transferzahlungen betroffene Staaten stützen soll. Künftige EU-Haushalte müssten dann für die entsprechenden Zahlungen aufkommen (Matthes, 2020). Ein solches Zeichen der europäischen Solidarität ist für einige Mitgliedsstaaten jedoch ein Tabu. Die „Sparsamen Vier“ (Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden) wiegeln ab und möchten ausschließlich auf Kredite setzen. Transfers kommen für sie Stand heute noch nicht in Frage. Zudem sollen Hilfen nur gegen überprüfbare Konditionalität vergeben werden (Frugal Four, 2020).

Der nun auf dem EU-Ratsgipfel am 19. Juni 2020 zu verhandelnde Vorschlag – das „Next Generation EU“-Programm der EU-Kommission – beinhaltet beides: 500 Milliarden Euro Transfers und weitere 250 Milliarden Euro Kredite. Hierfür möchte die Kommission gerne eigene Anleihen ausgeben und über 30 Jahre ab 2028 zurückzahlen. Finanziert werden sollen die zusätzlichen Kosten durch Beiträge an das EU-Budget, aber möglicherweise in Zukunft auch durch neue Eigenmittel. Der Großteil der Auszahlungen soll erst ab 2023 bezogen werden (Europäische Kommission, 2020a). Einen raschen konjunkturellen Impuls für besonders gebeutelte Mitgliedsstaaten kann es damit nicht geben. Vielmehr steht beim EU-Vorschlag der investive Charakter der Maßnahmen im Vordergrund. Ein besonderer Fokus liegt auf Ländern mit niedrigeren Einkommen und höherer Arbeitslosigkeit. Corona-Infektionszahlen sucht man im Verteilungsschlüssel wohl vergeblich (Europäisches Parlament, 2020): „In the Recovery and Resilience Facility, the Commission plans to take into account Member States’ population, GDP per capita and unemployment figures from 2015 to 2019“(Europäisches Parlament, 2020). Die daraus resultierende avisierte Mittelverteilung an die Mitgliedsstaaten kursiert derzeit auf Basis interner Schätzungen der Kommission.

 

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Die EU-Kommission versucht also über die nationalen, kurzfristig konjunkturwirksamen Hilfspakete hinaus, strukturelle Wachstumsimpulse gerade im Kontext des „Green Deals“ und des digitalen Wandels für seine ärmeren Mitgliedsstaaten auf den Weg zu bringen (Europäische Kommission, 2020b). Auf den ersten Blick passt das zur wirtschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise: Die Abweichung der BIP-Wachstumsprognose der Kommission vor und während der Krise fällt mit wenigen Ausnahmen in West- und Nordeuropa zwar hoch aus, bleibt aber deutlich niedriger als vor allem in Südeuropa. Insbesondere die „Sparsamen Vier“ kommen vergleichsweise glimpflich davon. Gleichzeitig belaufen sich die durchschnittlichen avisierten EU-Transferzahlungen an die EU-Mitgliedsstaaten West- und Nordeuropas auf rund ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit erhalten jedoch auch die westeuropäischen Corona-Sorgenkinder nur mäßige Zahlungen aus Brüssel. Das stark betroffene Frankreich (Korrektur der BIP-Wachstumsprognose durch die Kommission um 9,3 Prozentpunkte) soll lediglich 1,6 Prozent seines BIP an EU-Transfers erhalten. Dem mit am heftigsten getroffenen Irland (Korrektur BIP-Wachstum 11,5 Prozentpunkte) sind derzeit nur Transfers in Höhe von 0,6 Prozent des BIP zugedacht. West- und nordeuropäische Länder sind damit weiterhin auf ihre umfangreichen nationalen Konjunktur- und Wachstumsprogramme angewiesen. Im Schnitt haben die Länder Impulse von über 10 Prozent ihres BIP auf den Weg gebracht - Kredite und Garantien ausgenommen (Elgin et al., 2020).

Demgegenüber stehen die hohen EU-Zahlungen für Ost- und Südeuropa. Im Durchschnitt erhalten diese Länder Transfers in Höhe von 7,7 Prozent des BIP: Bulgarien soll nach aktuellem Plan gar 15,2 Prozent erhalten – Griechenland immerhin 12 Prozent (Abbildung). Ebenso wird jedoch auch Polen generös bedacht - obwohl der wirtschaftliche Schaden hier relativ milde prognostiziert ist. Gleichzeitig fallen die nationalen Stimuli wesentlich geringer aus als im reicheren Westen und Norden: In Ost- und Südeuropa liegen die nationalen Programme durchschnittlich bei lediglich 6,1 Prozent des BIP (Elgin et al., 2020). In Italien belaufen sich die nationalen Ausgaben sogar nur auf 4,6 Prozent seines BIP.

Der Blick auf die nationalen Budgets zeigt auch: für die Verteilung der EU-Gelder werden die bereits beschlossenen nationalen, meist konjunkturellen Maßnahmen nicht bedacht. In Ländern wie Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn kommen mehr als vier europäische Euros auf einen nationalen. In Estland, Griechenland, Italien, Polen und der Tschechischen Republik halten sich nationale und europäische Maßnahmen die Waage. Und in Slowenien sowie in West- und Nordeuropa wird ein Großteil der Ausgaben aus den nationalen Budgets bezahlt. Die EU kompensiert keinesfalls fehlende nationale Fiskalimpulse.

Die Befunde spiegeln sich auch in entsprechenden Regressionsanalysen, die den angedachten europäischen Verteilungsschlüssel zu erklären versuchen. Tatsächlich liefern weder bereits beschlossene nationale Maßnahmen noch der konjunkturelle Einbruch einen statistisch signifikanten Erklärungsbeitrag für die Mittelverteilung. Vielmehr zeigt sich, dass lediglich die strukturellen, wirtschaftlichen Unterschiede bedacht wurden: Länder mit einem niedrigeren BIP pro Kopf und Länder mit einer längerfristig höheren Arbeitslosenquote sollen eine höhere Ausschüttung erhalten.

Brüssel hatte anscheinend nicht im Sinne, die Länder für wirtschaftliche Betroffenheit oder nationale Fiskalzurückhaltung zu kompensieren. Kurzfristig kann die EU das mit ihren trägen Prozessen auch gar nicht leisten. Vielmehr nutzt die Kommission mit ihrer Krisenrhetorik die Gunst der Stunde, den schwächeren Mitgliedsstaaten in schwierigen Zeiten strukturell auf die Beine zu helfen. Das ist zwar nicht transparent, aber in der Sache richtig. Schließlich zeigt die harsche Reaktion der Kapitalmärkte, etwa mit Blick auf die Spreads italienischer Staatsanleihen, dass einige nationale Regierungen schnell mit dem Rücken zur Wand stehen. In dieser Situation immer wieder auf die geldpolitischen Impulse der Europäischen Zentralbank zu hoffen, kann nicht der richtige Weg sein. Das notwendige Zeichen der europaweiten Solidarität in der Krise sowie die langfristige Wachstumswirkung des einmaligen Programms begründen zudem die gemeinsame Kreditfinanzierung. Sichergestellt werden muss dabei, dass Rückzahlungsverpflichtungen schon heute transparent fixiert werden, die Mittel nicht in korrupten Strukturen versanden und es zu einer umfassenden Evaluation der Projekte kommt.

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Matthias Diermeier / Florian Güldner / Markos Jung IW-Kurzbericht Nr. 71 18. Juni 2020

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