Kurzstudie auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)
Chancengerechtigkeit durch Aufstiegsmobilität
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Kurzstudie auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)
Die verteilungspolitische Diskussion in Deutschland fokussiert sich stark auf den Vergleich von Querschnittsbetrachtungen: Wie sich die Armutsquote entwickelt hat, wie die Arbeitslosenquote usw. Kaum weniger bedeutsam ist jedoch die Längsschnittperspektive: Was ist aus denen geworden, die vor einigen Jahren arm oder arbeitslos waren? Diese Sichtweise hat eine eigenständige Bedeutung für die empfundene soziale Gerechtigkeit. Einkommensunterschiede werden eher akzeptiert, wenn jeder die Chance auf sozialen Aufstieg hat. Gleichsam würde Arbeitslosigkeit nicht als katastrophaler Einschnitt in das Leben erfahren, wenn Aussicht auf schnelle Wiedereingliederung ins Berufsleben besteht. Die vorliegende Studie trägt dazu bei, das bestehende empirische Defizit dieser Längsschnittperspektive zu verringern. Dazu werden zwei Perspektiven untersucht: Die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Partizipation gemessen an der relativen Einkommensposition. Möglich wird die Analyse durch Nutzung des Sozio-ökonomischen Panels, einer jährlichen Wiederholungsbefragung von ca. 20.000 Personen. Dabei ergeben sich folgende Kernergebnisse:
- Jahrelange, dauerhafte Arbeitslosigkeit ist ein existierendes Phänomen, betrifft aber relativ wenige Personen. Nur 5 Prozent der Arbeitslosen waren über alle Befragungszeitpunkte in den untersuchten 6 Jahren hinweg als arbeitslos gemeldet.
- Wer eine Beschäftigung neu aufnimmt, behält sie größtenteils auch. Es trifft nicht zu, dass ein großer Teil der neu eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse lediglich vorübergehender Natur ist. Drei Viertel der Personen, die aus Inaktivität heraus eine Vollzeitbeschäftigung fanden, üben eine solche auch noch im Folgejahr aus. Diejenigen, die nach dem ersten Jahr eine Arbeit fanden, sind auch nach zwei Jahren weit häufiger erwerbstätig als diejenigen, die nach dem ersten Jahr beschäftigungslos blieben.
- Einem Viertel aller Personen aus der untersten Einkommensschicht gelingt binnen eines Jahres der Aufstieg in höhere Einkommensschichten.
- Vor allem Personen, die über berufliche Qualifikationen verfügen, haben gute Aufstiegschancen. Von den Personen mit Fachhochschulabschluss können 42 Prozent im Folgejahr die unterste Einkommensschicht verlassen, von den Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind es nur 18 Prozent.
- Entscheidend für den Aufstieg ist vor allem die Aufnahme einer Beschäftigung. Von den Personen, die eine Arbeit aufnehmen, können 43 Prozent gleichzeitig in der Einkommenshierarchie aufsteigen. Von denen, die arbeitslos oder nichterwerbstätig bliebe, waren es nur 15 Prozent.
- Nur wenige Personen verharren dauerhaft in der untersten Einkommensschicht. Lediglich 17 Prozent waren über alle Beobachtungszeitpunkte in 6 Jahren hinweg in der untersten Schicht, bei den armutsgefährdeten waren es sogar nur 12 Prozent.
- Der soziale Aufstieg ist für die meisten keine vorübergehende Angelegenheit, sondern hat langfristig wirksame Effekte auf die relative Einkommensposition. Über einen Zeitraum von 6 Jahren gelingt einem Fünftel der Aufsteiger sogar der Sprung in die beiden höchsten Einkommensschichten.
Die empirischen Befunde belegen, dass es in Deutschland entgegen der allgemeinen Wahrnehmung durchaus ein nennenswertes Ausmaß an sozialer Mobilität gibt – sowohl hinsichtlich der Beteiligung am Erwerbsleben als auch hinsichtlich des Einkommens. Was sich anhand der vorgelegten Empirie nicht beurteilen lässt, ist die Frage, ob dieses Maß an Mobilität ausreichend ist. Es gibt einen – wenn auch kleinen – Anteil von Personen, der über lange Zeiträume vom Erwerbsleben ausgeschlossen bleibt und/oder über lange Zeiträume am unteren Ende der sozialen Skala steht. Die Differenzierung der Mobilitätsprozesse nach persönlichen Merkmalen kann zeigen, dass ein Aufbrechen solcher Segmente vor allem eine Frage der Inklusion in den Arbeitsmarkt ist. Eine wirtschaftspolitische Schlussfolgerung der Analyse lautet daher, dass Maßnahmen, die zu einer verbesserten Arbeitsmarktintegration beitragen, prioritär umgesetzt werden sollten – insbesondere wenn sie im Zielkonflikt mit Maßnahmen stehen, die eine stärkere Einkommensumverteilung anstreben.
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