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Gewerkschaften im internationalen Vergleich (VII) Gewerkschaftsspiegel Nr. 2 30. Mai 2014 Polen

25 Jahre nachdem die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc den friedlichen Wandel Polens hin zu einer prosperierenden Marktwirtschaft herbeiführte, hat die politische Bedeutung der Gewerkschaften Polens merklich abgenommen.

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Gewerkschaften im internationalen Vergleich (VII) Gewerkschaftsspiegel Nr. 2 30. Mai 2014

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25 Jahre nachdem die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc den friedlichen Wandel Polens hin zu einer prosperierenden Marktwirtschaft herbeiführte, hat die politische Bedeutung der Gewerkschaften Polens merklich abgenommen.

Aktuellen Schätzungen zufolge ging der Nettoorganisationsgrad (der prozentuale Anteil der Gewerkschaftsmitglieder unter den Arbeitnehmern) in Polen seit 1991 um zwei Drittel zurück. 2013 lag er noch bei 10 Prozent (Grafik). Dieser Trend beruht auch auf rechtlichen Rahmenbedingungen. Eine Gewerkschaftsgründung setzt auf der betrieblichen Ebene eine Mindestzahl von zehn Arbeitnehmern voraus. Da gut 40 Prozent der polnischen Arbeitnehmer in KMU mit weniger als zehn Angestellten arbeiten, ist eine gewerkschaftlich organisierte Interessenvertretung also oft nicht möglich. In staatlich regulierten Wirtschaftszweigen ist der Organisationsgrad jedoch höher.

Das polnische Arbeitsrecht unterscheidet zwischen betrieblichen- und überbetrieblichen Tarifverträgen. Im April 2014 standen nach Angaben des Ministeriums für Arbeit 174 überbetrieblichen Tarifverträgen mehr als 2.500 betriebliche Tarifverträge gegenüber. Dabei ist eine Dezentralisierung beobachtbar, die mit einem sinkenden tarifvertraglichen Geltungsbereich einhergeht. Er liegt derzeit bei nur noch 25 Prozent. Dabei besteht ein hohes Maß an Gewerkschaftspluralismus. Schätzungen zufolge gibt es 20.000 bis 25.000 verschiedene Gewerkschaften. Allein in Europas größtem Bergbauunternehmen, der staatlich kontrollierten Kompania Weglowa, vertreten mehr als 177 Gewerkschaftsorganisationen die Interessen der 63.000 Beschäftigten. Da grundsätzlich jede Gewerkschaft zum Führen von Tarifverhandlungen berechtigt ist, sieht das polnische Arbeitsgesetzbuch das Kriterium der Repräsentativität vor. Kommt es auf Arbeitnehmerseite zu Uneinigkeiten, steht nur den repräsentativen Gewerkschaften das Verhandlungsmandat zu. Auf der betrieblichen Ebene gilt das Kriterium der Repräsentativität als erfüllt, wenn eine Gewerkschaft einer als repräsentativ anerkannten überbetrieblichen Gewerkschaft angehört und mindestens 7 Prozent aller Arbeitnehmer vertritt. Gehört sie keiner solchen überbetrieblichen Gewerkschaft an, muss sie mindestens 10 Prozent aller Arbeitnehmer vertreten. Erfüllt keine der Arbeitnehmervertretungen diese Bedingungen, gilt jene Gewerkschaft als repräsentativ, die die meisten Arbeitnehmer vertritt. Möglich ist, dass mehrere Gewerkschaften gemeinsam Tarifverhandlungen führen. Der Abschluss konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb oder einer Branche durch verschiedene Gewerkschaften ist jedoch nicht möglich.

Auf überbetrieblicher Ebene gelten Gewerkschaftsverbände als repräsentativ, die auf ganz Polen bezogen mindestens 300.000 Arbeitnehmer vertreten und zusammen mit der Regierung und den Arbeitgebervertretern an den Beratungen der Trilateralen Kommission für sozialwirtschaftliche Angelegenheiten teilnehmen. Derzeit sind das drei Dachverbände, die ungefähr drei Viertel der betrieblichen oder branchenspezifischen Gewerkschaften organisieren: Niezalezny Samorzadny Zwiazek Zawodowy „Solidarnosc”, Ogolnopolskie Porozumienie Zwiazkow Zawodowych und Forum Zwiazkow Zawodowych.

Die 1994 gegründete Trilaterale Kommission für sozialwirtschaftliche Angelegenheiten spielt eine wichtige Rolle in den Arbeitsbeziehungen in Polen. Sie dient den Sozialpartnern als Diskussionsforum, unter anderem auch bei der Festlegung des gesetzlichen Mindestlohns. Im letzten Jahr boykottierten die Gewerkschaften allerdings die Verhandlungen, da diese weder bei Regierungsvertretern noch auf der Arbeitgeberseite mit ihren Forderungen, wie etwa einer Anhebung des Mindestlohns auf 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes, Gehör fanden. Letztlich wurde die Erhöhung einseitig durch einen Regierungsbeschluss festgesetzt.

Alexander Mayer

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