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Gero Kunath / Jurek Tiedemann / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 85 26. November 2024 Die Fachkräftesituation in energieintensiven Branchen

Deutschlands energieintensive Industrien leiden zunehmend unter Produktionsrückgängen. Ursachen sind gestiegene Energiepreise, internationaler Konkurrenzdruck und Fachkräftemangel. Bisher blieb die Beschäftigung recht stabil, aber es stellt sich die Frage, wie lange ein Personalabbau noch zu verhindern ist.

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Die Fachkräftesituation in energieintensiven Branchen
Gero Kunath / Jurek Tiedemann / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 85 26. November 2024

Die Fachkräftesituation in energieintensiven Branchen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Deutschlands energieintensive Industrien leiden zunehmend unter Produktionsrückgängen. Ursachen sind gestiegene Energiepreise, internationaler Konkurrenzdruck und Fachkräftemangel. Bisher blieb die Beschäftigung recht stabil, aber es stellt sich die Frage, wie lange ein Personalabbau noch zu verhindern ist.

Die energieintensiven Industrien sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland von sehr hoher Relevanz mit 3,4 Prozent der Bruttowertschöpfung und mehr als 772.000 qualifizierten Arbeitskräften (Schaller/Schasching, 2024). Zu ihnen zählen die Branchen Papier und Pappe, Kokerei und Mineralöl, Chemie, Glas und Keramik, Steine und Erden sowie teilweise Metall (Destatis, 2024). Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kamen Unternehmen dieser Branchen stark unter Druck. Die unsichere Gasversorgung durch verknappte Lieferungen schürte Befürchtungen, ob und wie die Produktion aufrechterhalten werden kann. Ende 2022, als Russland die Gaslieferungen vollständig stoppte, rechneten drei Viertel der energieintensiven Unternehmen mit Einschränkungen in ihrer Produktion (Bardt/Schmitz, 2023). Auch der internationale Konkurrenzdruck nahm in einigen der Branchen jüngst deutlich zu. So berichten Chemieunternehmen von einen Preisverfall für ihre Produkte, da zunehmend chinesische Exporte auf den deutschen Markt drängen (Fröndhoff, 2024). Auch Stahlproduzenten sehen sich zunehmender chinesischer Konkurrenz ausgesetzt (VDI, 2024).

Beschäftigung trotz Produktionsrückgang stabil

Die energieintensiven Branchen haben in der Produktion einen historischen Tiefpunkt erreicht. Allerdings geht dies bislang noch nicht mit Personalabbau oder einer rückläufigen Arbeitskräftenachfrage einher.

Die Produktion in den energieintensiven Industrien nahm nach ihrem Höchststand bereits im Laufe des Jahres 2017 erstmalig ab. Zwischen 2018 und 2020 fiel der Produktionsindex um 8,8 Punkte auf 93,8. Trotz dieses deutlichen Produktionsrückgangs entwickelte sich die Beschäftigung bis ins Jahr 2019 weiter positiv und erreichte mit mehr als 804.000 Beschäftigen ihren bisherigen Höchststand. Anschließend entwickelte sie sich rückläufig und lag 2020 nur noch knapp über dem Niveau von 2013.

Während der Corona-Pandemie erholte sich die Produktion wieder deutlich und erreichte Anfang 2021 annähernd wieder das Niveau von 2013. Auch die Beschäftigtenzahlen stabilisierten sich. Die kurzzeitige Erholung der energieintensiven Branchen fand mit dem russischen Überfall auf die Ukraine allerdings ein jähes Ende. Infolgedessen brach die Produktion drastisch ein und lag zuletzt knapp 17 Prozentpunkte unter dem Niveau von 2013. Die Beschäftigung sank jedoch nur geringfügig um 0,5 Prozentpunkte und blieb so trotz der massiven Produktionsrückgänge weitestgehend stabil. Auch die Fachkräftelücke lag mit zuletzt fast 7.500 rechnerisch nicht besetzbaren offenen Stellen auf einem nach wie vor sehr hohen Niveau. Energieintensive Branchen suchen somit trotz einer sehr schwachen Auslastung weiterhin gut qualifizierte Fachkräfte.

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Wie lange Beschäftigung und die Personalsuche noch von der Produktionslage abgekoppelt bleiben, ist offen. Beschäftigung und Fachkräftelücke reagieren häufig zeitverzögert. So entwickelte sich die Beschäftigung nach dem Produktionsrückgang 2017 noch für knapp zwei Jahre positiv, bevor sie sank. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Produktion seit gut zwei Jahren rückläufig, ein Beschäftigungsabbau fand bisher jedoch kaum statt.

Unternehmen entlassen in Zeiten des Fachkräftemangels Beschäftigte nur zögerlich, da sie erwarten, im Falle eines wirtschaftlichen Aufschwungs nur schwierig neues Personal finden zu können. Unklar ist, wie lange die Unternehmen ihre Beschäftigung angesichts der deutlich gesunken Produktion im jetzigen Ausmaß aufrechterhalten können. Denn die hohen Beschäftigtenzahlen gehen auch mit hohen Personalkosten einher. Auch erhöhen sich für die Unternehmen die Produktionskosten weiter durch die gestiegenen Energiepreise, wenn auch moderater als in den vergangenen Jahren. Zusätzlich drängen zunehmend günstigere Produkte aus dem Ausland auf den Markt und begrenzen die Möglichkeiten für Preisanpassungen.

Ein weiterer Grund für die hohe Beschäftigung trotz schwacher Produktion dürfte auch die stabilisierende Wirkung der Kurzarbeit sein (BA, 2024). Zwischen Juli 2022 und 2023 stieg die Zahl der Mitarbeiter energieintensiver Industrien in Kurzarbeit von 6.540 auf 23.660 und vervierfachte sich damit annähernd mit einem Plus von 261,8 Prozent. Im gesamten Verarbeitenden Gewerbe, zu dem auch die energieintensiven Branchen zählen, stieg die Zahl der Mitarbeiter in Kurzarbeit im selben Zeitraum nur um 10,5 Prozent auf insgesamt rund 85.000. Zuletzt lag die Zahl der Kurzarbeiter in Unternehmen der energieintensiven Industriezweige noch immer bei mehr als 24.000 und damit weiterhin auf einem hohen Niveau. Im gesamten verarbeitenden Gewerbe stieg die Zahl zuletzt sogar auf knapp 180.000. Dies verdeutlicht, dass die Unternehmen der betroffenen Branchen noch über genügend finanzielle Mittel und Vertrauen in eine langfristige Erholung der wirtschaftlichen Perspektive haben.

Fachkräfte weiterhin dringend gesucht

Trotz schwacher Konjunktur werden qualifizierte Arbeitskräfte weiterhin gesucht – am häufigsten Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung. Die größte Fachkräftelücke in den energieintensiven Branchen bestand zuletzt mit 1.050 nicht besetzbaren Stellen bei Fachkräften der Maschinenbau- und Betriebstechnik. Damit entfällt knapp jede siebte nicht besetzbare Stelle in energieintensiven Branchen auf diesen Beruf. Auch für Fachkräfte der elektrischen Betriebstechnik und der spanenden Metallbearbeitung bestehen mit rund 950 und 510 rechnerisch nicht besetzbaren offenen Stellen große Personalengpässe.

Fazit

Das Zusammenspiel aus schwacher Konjunktur, unklaren Perspektiven über die internationale Wettbewerbsfähigkeit und fehlenden Fachkräften sorgt dafür, dass erste Unternehmen darüber nachdenken Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern oder dies bereits angehen. So kündigte BASF einen Stellenabbau in Deutschland an und plant gleichzeitig den Bau eines neuen Werks in China (ZDF, 2024). Um Zuversicht für die Lösung der Herausforderungen der deutschen Wirtschaft und insbesondere der energieintensiven Industrien zu schaffen, bedarf es in der nahen Zukunft eines Konzepts für die nachhaltige Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland, das auch den Arbeitsmarkt und den Fachkräftemangel beinhaltet. Dies dürfte sich durch das Aus der Ampelregierung und die damit einhergehende politische Handlungsunfähigkeit weiter verschärfen.

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