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Christina Anger / Anja Katrin Orth Gutachten 2. Juni 2016 Bildungsgerechtigkeit in Deutschland

Eine Analyse der Entwicklung seit dem Jahr 2000. Gutachten im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung

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Gutachten
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland
Christina Anger / Anja Katrin Orth Gutachten 2. Juni 2016

Bildungsgerechtigkeit in Deutschland

Gutachten im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Eine Analyse der Entwicklung seit dem Jahr 2000. Gutachten im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung

Bildungspolitische Maßnahmen sollten die Wachstumschancen erhöhen, zu mehr Wohlstand führen und zu einer größeren Gerechtigkeit beitragen. Gerechtigkeitsaspekte können dabei sowohl im Sinne von Chancen als auch von der Verteilung der Ergebnisse analysiert werden. Eine Maßnahme ist als effizient und gerecht einzuschätzen, wenn Kinder aus bildungsfernen Schichten einen verbesserten Zugang zur Bildung erhalten, ohne dass die Bildungschancen der anderen Kinder sinken (Do-not-harm-Prinzip). Durch ein Anheben der Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten steigt das gesellschaftliche Bildungsniveau, ohne dass es zur Verletzung anderer Gerechtigkeitsprinzipien kommen muss. In der vorliegenden Untersuchung steht somit die Chancengerechtigkeit im Vordergrund. Als eine Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit wird angesehen, wenn die Leistungen am unteren Ende der Verteilung steigen, ohne dass es am oberen Ende zu einer Verringerung der Leistung kommt. Untersucht wird nicht, ob das Bildungssystem in der Weise gerecht ist, dass es jeden Einzelnen zu maximaler Leistung führt.

Bildung und Verteilung

Ein internationaler Vergleich von Einkommensstreuung und Bildungsniveau zeigt, dass geringe Unterschiede beim Bildungsniveau in einer Gesellschaft mit einer geringen Einkommensstreuung korrelieren. Zur Vermeidung von Armutsgefährdung ist es daher von hoher Bedeutung, den Anteil geringqualifizierter Personen möglichst klein zu halten. Gelingt es folglich, die Bildungsarmut zu verringern ohne im mittleren oder oberen Bereich der Bildungsverteilung Einbußen zu erzeugen, so kann ein Weg zu mehr Wachstum und Verteilungseffizienz erreicht werden.

Die Vermeidung von Bildungsarmut führt auch bei Betrachtung der Einkommensverteilung innerhalb Deutschlands zu positiven Ergebnissen. Ein mittlerer Bildungsabschluss in Deutschland ist mit mittleren Einkommensperspektiven verbunden. Die Personen mit mittlerem Bildungsabschluss gehörten im Jahr 2000 mit 63,4 Prozent zur Gruppe mit mittleren Einkommen, im Jahr 2013 waren es 64,3 Prozent. Ein mittlerer Bildungsabschluss ist damit eine gute Voraussetzung, um zur Einkommensmittelschicht zu gehören.

Vermehrt zur Gruppe der Haushalte mit geringeren Einkommen gehören Migranten und Alleinerziehende. Migranten haben dann geringere Bildungsrenditen, wenn sie ihre Bildungsabschlüsse im Ausland erworben haben. Die Einkommensperspektiven von Alleinerziehenden leiden darunter, dass sie Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Verantwortlich dafür sind fehlende Betreuungsangebote. Da sich der Anteil von Alleinerziehenden und Migranten in den letzten Jahren erhöht hat, ist es zur Festigung der Mittelschicht besonders wichtig, zu Verbesserungen beim Arbeitsmarktzugang für diese Personengruppen zu kommen.

Darüber hinaus schützen in Deutschland höhere Bildungsabschlüsse vor dem sozialen Abstieg und sind mit einer höheren Aufstiegsmobilität verbunden. Die Aufstiegsmobilität (Aufstieg in eine höhere Einkommensgruppe) ist für Geringqualifizierte deutlich niedriger als für Personen mit einer Berufs- oder Hochschulausbildung. Die Aufstiegsquote nimmt dabei mit steigendem Bildungsniveau zu. Gleichzeitig fällt die Abstiegsquote bei Personen ohne Berufsausbildung am höchsten aus. Ein mindestens mittlerer Bildungsabschluss kann somit dazu beitragen, das Risiko eines Abstiegs zu verringern und die Chancen auf einen Einkommensaufstieg zu vergrößern.

Die guten Einkommensperspektiven der Mittel- und Hochqualifizierten dürften in den kommenden Jahren bestehen bleiben, selbst wenn es in Deutschland zu einer deutlichen Höherqualifizierung kommen sollte. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in dem deutlich steigenden demografiebedingten Ersatzbedarf an Fach- und Führungskräften. Eine Bildungsexpansion in Deutschland kann somit beiden Zielen dienen: mehr Wachstum und Verteilungseffizienz.

Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems

Im Gegensatz zu Berechnungen der OECD zeigen eigene Analysen mit dem PIAAC-Datensatz, dass es in Deutschland gegenwärtig mehr Bildungsaufsteiger als Bildungsabsteiger gibt. Zu berücksichtigen ist im Vergleich zu anderen Ländern, dass in Deutschland die Eltern zunehmend ein relativ hohes Bildungsniveau aufweisen, welches einen weiteren formalen Bildungsaufstieg der Kinder schwieriger macht. Ein geringerer Anteil an Bildungsaufsteigern als andere Länder bedeutet daher nicht, dass Deutschland ein undurchlässiges Bildungssystem aufweist. Darüber hinaus weist Deutschland traditionell eine geringere Akademikerquote und damit womöglich auch weniger Bildungsaufsteiger auf als andere Länder. Dies ist auf das in Deutschland gut ausgebaute System der beruflichen Bildung zurückzuführen. Kinder, deren Eltern einen Hochschulabschluss aufweisen, die aber selber eine berufliche Bildung abschließen, gehören zwar formell zur Gruppe der Bildungsabsteiger, stellen aber keine Problemgruppe dar, da in Deutschland auch ein mittlerer Bildungsabschluss mit guten Beschäftigungs- und Einkommenschancen verbunden ist.

Seit dem PISA-Schock der ersten PISA-2000-Erhebung haben sich wichtige gerechtigkeitsrelevante Aspekte beim Zugang zu Bildung verbessert. Seit dem Jahr 2000 ist es gelungen, den Effekt des sozioökonomischen Hintergrundes der Familien auf die Bildungserfolge der Kinder und die Bildungsarmut zu verringern. Gleichzeitig ist das durchschnittliche Kompetenzniveau der Jugendlichen gestiegen. Die Schüler am unteren Ende der Kompetenzverteilung konnten folglich zulegen und ihren Abstand zum oberen Ende verringern, ohne dass dort die Leistungen gesunken sind. Ähnliches ist auch für die Migranten zu beobachten: Die Risikogruppe ist gesunken, der Abstand zu den Nichtmigranten hat abgenommen und gleichzeitig konnten die Nichtmigranten sogar leicht zulegen. Aufgrund des Höherqualifizierungstrends am Arbeitsmarkt und des steigenden Anteils an Migrantenkindern sind weitere Fortschritte bei der Reduzierung von Bildungsarmut dringend nötig.

Die frühkindliche Bildung hat stark positive Wirkungen auf die Entwicklung besonders bei Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit hat die frühkindliche Bildung das Potenzial, Schwächere zu fördern und den Abstand zu Stärkeren zu verringern und gleichzeitig auch die Stärkeren zu fördern. Der Bildungsgerechtigkeit kann damit auf effiziente Weise gedient werden. Leider sinkt jedoch im Querschnitt die Beteiligung mit sinkendem sozio-ökonomischem Status. Seit dem PISA-Schock zeigt sich aber auch empirisch eine Verbesserung bei der Teilnahme von Migranten und Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit kann die frühkindliche Bildung besser als noch vor wenigen Jahren zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen.

Die berufliche Bildung hat in den letzten Jahren ihre kompensatorische Funktion ausbauen können. So konnte das berufliche Bildungssystem dazu beitragen, dass mehr junge Menschen eine Studienberechtigung erreichen. Ferner gelingt es der dualen Ausbildung, dass in Deutschland trotz einer vergleichsweise hohen PISA-Risikogruppe nur wenige junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung verbleiben und die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sehr niedrig ist. Letztere stellt sich in vielen Ländern als eine zentrale Einstiegsbarriere dar.

Auch beim Zugang zu akademischen Abschlüssen hat es in Deutschland in den letzten Jahren deutliche Verbesserungen gegeben. Seit den Jahren 2000 – 2002 ist der Anteil der Nichtakademikerkinder, der einen Studienabschluss erreicht hat, an allen Nichtakademikerkindern von 18,6 auf 22,7 Prozent in den Jahren 2012/2013 angestiegen. Besonders erfolgreich waren dabei Bildungsaufstiege in den MINT-Fächern.

Perspektiven von Hochschulabsolventen

Der Arbeitsmarktübergang von Hochschulabsolventen verläuft insgesamt weiterhin relativ gut und dürfte sich auch zukünftig trotz steigender Studierendenzahlen nicht verschlechtern, auch wenn es diesbezüglich Unterschiede zwischen verschiedenen Studiengängen gibt. Die Strukturreform im Hochschulbereich dürfte die Durchlässigkeit und den Zugang zu akademischen Abschlüssen weiter verbessern, da die gestuften Studiengänge das Risiko einer Investition in die akademische Bildung senken. Die häufig beklagten Bedenken gegen die neuen Studienstrukturen laufen ins Leere: Bei der Analyse der Berufs- und Karriereperspektiven zeigt sich, dass die gestuften Studiengänge keinen Nachteil beim Zugang zum Arbeitsmarkt aufweisen. Auch bei den Karrierepositionen und der Gehaltsentwicklung haben Bachelorabsolventen gute Entwicklungschancen.

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Christina Anger / Anja Katrin Orth: Bildungsgerechtigkeit in Deutschland – Eine Analyse der Entwicklung seit dem Jahr 2000

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