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Christian Rusche und Marc Scheufen im ifo-Schnelldienst Externe Veröffentlichung 11. Juli 2019 Sinn und Unsinn der EU-Urheberrechtsreform

Im März dieses Jahres hat das Europäische Parlament trotz zahlreicher Proteste ein neues Urheberrecht beschlossen. Ziel der Reform ist es, zum einen einen vereinheitlichten digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Über die Möglichkeiten und Herausforderungen dieser Reform schreiben Christian Rusche und Marc Scheufen im ifo-Schnelldienst.

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Sinn und Unsinn der EU-Urheberrechtsreform
Christian Rusche und Marc Scheufen im ifo-Schnelldienst Externe Veröffentlichung 11. Juli 2019

Sinn und Unsinn der EU-Urheberrechtsreform

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Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im März dieses Jahres hat das Europäische Parlament trotz zahlreicher Proteste ein neues Urheberrecht beschlossen. Ziel der Reform ist es, zum einen einen vereinheitlichten digitalen Binnenmarkt zu schaffen. Über die Möglichkeiten und Herausforderungen dieser Reform schreiben Christian Rusche und Marc Scheufen im ifo-Schnelldienst.

Am Ende mussten die Agrarminister der Europäischen Union über das Zustandekommen der Urheberrechtsreform entscheiden. Für Deutschland stimmte Julia Klöckner (Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) am 15. April 2019 der sehr umstrittenen Reform zu, wodurch diese erst die notwendige Mehrheit erhielt und nun innerhalb zweier Jahre in nationales Recht überführt werden muss. Der finalen Abstimmung vorausgegangen waren zahlreiche Proteste und Diskussionen (vgl. WBS 2019). Dabei war am Ende selbst die Bundesregierung nicht überzeugt, da dem Gesetzestext extra eine Protokollerklärung beigefügt werden musste. Diese Erklärung ist jedoch nicht bindend und konnte selbst einen Monat nach dem Beschluss vom Autor nur schwer ausfindig gemacht werden (zur Zusammenfassung des Vorgangs vgl. Fanta und Reuter 2019).

Die EU-Urheberrechtsreform

Dabei ist eine Reform des Urheberrechts durchaus sinnvoll, um die Macht von finanzstarken Digitalkonzernen zu begrenzen. Denn in der Digitalwirtschaft gibt es gleich drei Faktoren, die die Entstehung marktmächtiger Plattformen begünstigen (vgl. Demary und Rusche 2018):

  • Steigende Skalenerträge: Sobald eine Online-Plattform aufgebaut und etabliert ist, können beliebig viele neue Kunden zu sehr geringen zusätzlichen Kosten die Plattform nutzen.
  • Daten: Die Generierung, Sammlung sowie Analyse von Daten ermöglichen die Etablierung neuer Geschäftsmodelle und die Eröffnung neuer Erlösquellen wie individueller Werbung. Potenziell sind dabei die Plattformen im Vorteil, die die meisten Kunden und damit die meisten kundenbezogenen Daten besitzen.
  • Positive indirekte Netzwerkeffekte: Ziel einer Plattform ist es, Transaktionen zwischen verschiedenen Nutzergruppen anzubahnen. Ist die Plattform für eine Nutzergruppe attraktiver, wenn viele Nutzer aus einer anderen Gruppe präsent sind, liegen positive indirekte Netzwerkeffekte vor. Diese Effekte können sich gegenseitig verstärken, wenn sie wechselseitig die Attraktivität steigern.

Insbesondere sich wechselseitig verstärkende positive indirekte Netzwerkeffekte können bei einem großen Kundenpotenzial dazu führen, dass schnell marktmächtige Plattformen entstehen. So ist es nicht erstaunlich, dass die dominierenden Plattformen, z.B. Alphabet, Facebook oder Alibaba sowie die Unicorn- Plattformen, also nicht börsennotierte Plattformen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. US-Dollars, wie Airbnb und Didi Chuxing aus den USA und China stammen (vgl. Demary und Rusche 2018). In diesen Staaten gibt es große Binnenmärkte und entsprechendes Wachstumspotenzial.

Die Urheberrechtsreform sollte nun ein Baustein für einen digitalen EU-Binnenmarkts sein, der ebenfalls die Entstehung von marktmächtigen – aber jetzt europäischen – Plattformen ermöglicht (vgl. Europäische Kommission 2016). Zugleich sollten die Inhaber der Rechte gegenüber den marktmächtigen Digitalunternehmen durch ein neues Urheberrecht in Artikel 15 (ehemals Artikel 11) und 17 (ehemals Artikel 13) gestärkt werden, damit Verhandlungen auf Augenhöhe und eine angemessene Beteiligung an den Erlösen möglich werden (vgl. Europäische Kommission 2016, S. 3). Der verbesserte Schutz soll zudem positiv auf Produktion und Verfügbarkeit von Inhalten mit Urheberrechtsschutz wirken.

Die Ökonomie des Urheberrechts

Aus ökonomischer Sicht hat das Urheberrecht zwei zentrale Funktionen: eine Anreizfunktion und eine Informationsfunktion (vgl. Posner 2005; Scheufen 2015). Die Anreizfunktion geht dabei auf den Ursprung von Information als öffentliches Gut – das durch Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit charakterisiert ist – zurück. Hier führt die Nicht-Ausschließbarkeit schließlich zu einem Trittbrettfahrerproblem, da niemand für ein Gut zahlen wird, von dem er sowieso nicht ausgeschlossen werden kann. Vor diesem Hintergrund stellt das Urheberrecht in Form eines exklusiven Verwertungsrechts diese Ausschließbarkeit her, um dem Autor oder Künstler einen finanziellen Anreiz zu bieten, ein neues Werk zu produzieren. Es ist zum Teil die Aussicht auf finanzielle Erträge, die den Urheber antreibt.1 Diesem Interesse der Autoren und Künstler steht das Interesse der Allgemeinheit gegenüber, da sie in besonderem Maße von einem möglichst freien Zugang und damit einer breiten Verteilung der Information profitiert. Schließlich sorgt die Nicht-Rivalität dafür, dass urheberrechtliche Werke von mehreren Nutzern ohne Qualitätsverlust konsumierbar sind. Dieser Informationsfunktion trägt das Urheberrecht durch Schrankenregelungen Rechnung, die die Exklusivität des Schutzes einschränken. Beispielsweise erlaubt die Zitatrechtsschranke das Zitieren urheberrechtlich geschützter Werke und erleichtert damit wissenschaftlichen Fortschritt. Schließlich folgt der Wissensproduktionsprozess einem kumulativen Verlauf, indem man auf den »Schultern von Riesen« neues Wissen (Sir Isaac Newton, zitiert nach  Turnbull 1959) begründet. Folglich manifestiert sich die Ökonomik des Urheberrechts in einem Interessenausgleich zwischen Urheber und Allgemeinheit, der nur solange neuen Schutz gewähren sollte, solange der zusätzliche Nutzen (mehr Anreize) gegenüber den zusätzlichen Kosten (Zugangsbeschränkung) des Urheberrechtsschutzes überwiegen. Hieran muss sich auch die neue Urheberrechtsreform messen lassen.

Die Ökonomische Bewertung der Reform

Artikel 15 der Reform soll Presseverlagen eine faire und angemessene Vergütung in der digitalen Gesellschaft ermöglichen. Im Besonderen betont die Richtlinie, dass zukünftig Suchmaschinen nur noch einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge aus Presseveröffentlichungen anzeigen dürfen, wobei explizit private und nicht kommerzielle Verwendungen sowie das Setzen von Hyperlinks ausgenommen sind. Eine Beurteilung der Effektivität von Artikel 15 in Form einer Abwägung des Trade-offs zwischen den Nutzen und Kosten urheberrechtlichen Schutzes ist dabei unter Anwendung der sog. »Fair-use«-Doktrin des US-amerikanischen Urheberrechts möglich.2 Die Doktrin sieht dabei vier sog. statutes vor, um zu bewerten, ob die Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke eine Verletzung oder eine Schranke des Schutzes darstellt. Vor diesem Hintergrund sind im Besonderen das 3. und 4. Statut diskussionswürdig. So betont Statut 3, dass die Menge und Substanz des verwendeten Ausschnitts in Suchmaschinen kein Substitut für den Presseartikel darstellen darf. Dahingehend wurden auch vor der Reform nur Titel sowie einzelne Ausschnitte angezeigt. Generell ermöglichen Suchmaschinen durch besonders niedrige Such- und Informationskosten gerade, dass Nachfrager eine informierte Kaufentscheidung treffen können. Vor diesem Hintergrund könnte die Reform sogar ihre Absichten ins Gegenteil verkehren und zu Umsatzverlusten bei den Urhebern führen, da die Reform den Sinn und Zweck von Suchmaschinen zu untergraben scheint (Statut 4). Wenn zukünftig Suchmaschinen nur noch einzelne Wörter von Presseartikeln anzeigen dürfen oder gar europäische Beiträge ganz herausnehmen sollten, so wird der Verkauf von Presseartikeln und Werbeanzeigen nicht steigen. Hier dürften die Verteilungswirkungen insbesondere für kleine Verlage und Urheber ungünstig sein, zumal diese aufgrund der drohenden Umsatzverluste kaum eine andere Möglichkeit haben werden, als ungünstigen Lizenzvereinbarungen zuzustimmen. Großen Verlagen und Verwertern wird die Reform hingegen nützen, da ihre Beiträge auch für Suchmaschinen so wichtig sind, dass zu den Umsätzen aus Suchaufträgen weitere Lizenzeinnahmen hinzukommen werden. Die Erfahrungen mit der Einführung eines deutschen Leistungsschutzrechts unterstreichen diese Erwartung. Vor diesem Hintergrund führt die Abwägung der Nutzen und Kosten der Urheberrechtsreform zu dem Schluss, dass die Reform keinem Interessenausgleich dient, sondern vielmehr einzelne große Verwerter auf Kosten der Allgemeinheit bevorteilt.

Artikel 17 der Reform befasst sich mit den sogenannten »Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten«. Darunter werden digitale Plattformen wie YouTube oder Instagram verstanden, die von den hochgeladenen Inhalten ihrer Nutzer profitieren: Je mehr Inhalte die Nutzer hochladen, desto attraktiver wird die Plattform für andere Nutzer, die sich solche Inhalte anschauen wollen. Über die Analyse der Aktivitäten der Besucher und der in diesem Zusammenhang entstehenden Daten sowie generell über eine große Nutzerzahl kann die Plattform attraktive und damit hoch bezahlte Werbemöglichkeiten anbieten. Wie lukrativ Werbung in der Digitalwirtschaft ist, wird deutlich, wenn die Zahlen des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (vgl. ZAW 2018) für 2017 betrachtet werden: Den Nettowerbeeinnahmen in Tageszeitungen von rund 2,4 Mrd. Euro standen mehr als 1,6 Mrd. Euro bei Online-Werbung sowie zusätzlich rund 3,5 Mrd. Euro für Suchwortvermarktung gegenüber. Auf das rasante Wachstum sowie die zunehmende Marktmacht einiger weniger Diensteanbieter sowie rechtliche Unklarheiten im Rahmen der Anwendung bestehender Regelungen auf diese reagiert die Reform mit Artikel 17 (vgl. Müller 2019).

In diesem Zusammenhang will die Reform insbesondere dem Fakt Rechnung tragen, dass es gerade die Inhalte der Rechteinhaber sind, die über unautorisierte Uploads der Nutzer maßgeblich zur Attraktivität der Plattform beitragen. Durch mehr Rechte für die Rechteinhaber sollen endlich Verhandlungen auf Augenhöhe ermöglicht werden (vgl. Müller 2019, S. 304). Mit Inkrafttreten der Reform muss der Diensteanbieter nun die Einwilligung des Rechteinhabers haben, wenn entsprechende Inhalte auf der Plattform zu finden sind. Dies macht aufgrund der Masse an hochgeladenen Inhalten, der Komplexität einer Prüfung (wer kennt beispielsweise schon alle geschützten Musiktitel?) sowie dem Ziel, die Inhalte zeitnah online zu stellen, den Einsatz von Upload-Filtern unumgänglich. Die öffentliche Kritik an der Reform bezog sich insbesondere auf diese Filter, da vorsorgliches Blockieren und die vermutlich ungenaue Zuordnung in einem vollautomatisierten Verfahren viele eigentlich unbedenkliche Inhalte von einer Veröffentlichung ausschließen. Gegen diese Upload-Filter richtete sich auch die Protokollerklärung. Die nicht bindende Notiz thematisiert jedoch lediglich die mögliche Interpretation des Gesetzestextes. Folglich ist nicht davon auszugehen, dass aus oben genannten Gründen vollautomatische Prüfverfahren verhindert werden.

Generell erscheint es auch fraglich, wie die Dominanz einer marktmächtigen Plattform beschnitten werden soll, wenn man ihr per Gesetz neue Möglichkeiten zur Kontrolle über die Inhalte gibt. Dabei gilt jedoch auch: Je mehr Inhalte ein Rechteinhaber beziehungsweise eine Organisation zur Verwertung der Rechte ihrer Mitglieder hat, desto eher wird ein Diensteanbieter bereit sein, vorteilhafte Lizenzvereinbarungen zu schließen.

Ausblick

Insgesamt wird deutlich, dass die EU-Urheberrechtsreform versucht, legitime Ziele mit den falschen Mitteln umzusetzen. Dabei hat die Reform wohl auch bei den schlechten Wahlergebnissen von CDU und SPD bei der Europawahl am 26. Mai 2019 – insbesondere bei jüngeren Wählergruppen – eine Rolle gespielt. Beide Regierungsparteien haben der Reform zugestimmt und sie zum Teil maßgeblich vorangetrieben, was auch im sogenannten Rezo-Video nicht unberücksichtigt blieb. Dabei hatte die Koalition nach der Abstimmung im März noch versucht gegenzulenken, indem erklärt wurde, bei der Umsetzung die Einführung von »Upload-Filter« verhindern zu wollen. Die Richtlinie gewährt den Mitgliedstaaten einen Interpretationsspielraum, der dies ermöglichen könnte. Bei unterschiedlicher Auslegung, mit und ohne Protokollzusatz, ist jedoch zu befürchten, dass der Binnenmarkt fragmentiert bleibt. Auch die Wähler hätten sich hier sicherlich gewünscht, dass man sich vor einer Zustimmung zu einer umstrittenen Reform Gedanken über die Konsequenz n macht und nicht im Nachhinein die unausweichlichen Schäden provisorisch einzudämmen versucht.

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Sinn und Unsinn der EU-Urheberrechtsreform
Christian Rusche und Marc Scheufen im ifo-Schnelldienst Externe Veröffentlichung 11. Juli 2019

Christian Rusche / Marc Scheufen: Sinn und Unsinn der EU-Urheberrechtsreform

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