Sie verändert Ökonomie und Gesellschaft, sie treibt die Globalisierung an und setzt analoge Geschäftsmodelle unter Druck. Dem einen ist sie eine Bedrohung, dem anderen die Antwort auf alle Fragen: Die Digitalisierung bleibt mitsamt ihren Auswirkungen auf die Unternehmenswelt Gegenstand hitziger Debatten. Nicht immer sind diese Diskussionen frei von Mythen und Irrtümern. Eine Bestandsaufnahme.
Gegen den Strich: Digitale Wirtschaft
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Sie verändert Ökonomie und Gesellschaft, sie treibt die Globalisierung an und setzt analoge Geschäftsmodelle unter Druck. Dem einen ist sie eine Bedrohung, dem anderen die Antwort auf alle Fragen: Die Digitalisierung bleibt mitsamt ihren Auswirkungen auf die Unternehmenswelt Gegenstand hitziger Debatten. Nicht immer sind diese Diskussionen frei von Mythen und Irrtümern. Eine Bestandsaufnahme.
„Erfolgreiche Unternehmen müssen sich nicht mit der Digitalisierung beschäftigen“
Doch. Wer langfristig überleben will, kommt an dem Thema nicht vorbei. Richtig ist aber auch, dass nicht für jedes Unternehmen der gleiche Digitalisierungsgrad sinnvoll ist – nicht alle müssen gleichermaßen digital in ihren Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen sein.
Die hohe Erwartungshaltung, was das Potenzial der Digitalisierung angeht, wird stark durch den Erfolg weniger Konzerne bestimmt, den sogenannten MAAMAs: Meta, Alphabet, Amazon, Microsoft und Apple. Sie ist in vielen Fällen überzogen. Ein direkter Vergleich mit den MAAMAs kann unrealistische Erwartungen hervorrufen, denn tatsächlich unterscheidet sich das Wertschöpfungspotenzial der Digitalisierung von Firma zu Firma erheblich; es hängt sowohl von der Unternehmenskultur als auch seinem Produktangebot und Geschäftsmodell ab.
Wie hoch der Grad der potenziellen Wertschöpfung aus der Digitalisierung ist, hängt davon ab, ob ein Produkt „tangible“, physisch greifbar ist oder nicht. Für tangible Produkte ist er am höchsten, für nicht tangible am niedrigsten. Die Ansatzpunkte für die Digitalisierung eines Lebensmittels, etwa eines Brotes, sind überschaubar – ein Brot bleibt immer ein Brot. Dagegen können andere tangible Produkte, wie etwa Staubsauger, durch den Einbau von Sensoren zu hybriden Produkten werden. Daraus ergeben sich neue Geschäftsmodelle, etwa Pay-per-Use-Ansätze, bei denen der Hersteller dem Kunden das Gerät zur Verfügung stellt und der Kunde nur für die tatsächliche Nutzung bezahlt.
Die Investitionen, die erforderlich sind, um digitale Wertschöpfung zu betreiben, sind für intangible Produkte am geringsten und steigen über hybride Produkte bis hin zu rein tangiblen Produkten an. Diese Investitionen müssen getätigt werden, bevor sich der Mehrwert ergibt, sie sind, finanzwirtschaftlich gesprochen, „upfront“.
Generell können die Investitionen die erforderliche Infrastruktur, Hardware und Software betreffen. Sie können sich etwa auf den Einbau von Sensoren oder die Erzeugung eines digitalen „Zwillings“ beziehen, die virtuelle Abbildung eines Objekts oder Systems. Kaum zu quantifizieren sind die Kosten für die Investition in die Unternehmenskultur selbst: Je digitaler diese Kultur ist, desto leichter ist es, das digitale Potenzial zu erkennen und zu heben.
Es ist also nicht für jedes Unternehmen gleichermaßen sinnvoll, in Digitalisierung zu investieren. Dass originär analoge Unternehmen dem digitalen Narrativ von Technologiegiganten wie Google nicht blindlings folgen, ist ebenso verständlich wie ökonomisch sinnvoll. Wie der Königsweg aussieht, muss jede Firma für sich herausfinden: Sie muss experimentieren und prüfen, an welcher Stelle sie digital vorgeht, was sinnvollerweise analog bleibt, und wo sich das Analoge mit dem Digitalen kombinieren lässt. Dazu gehört auch, sich von den Allmachtsfantasien zu lösen, die der Digitalisierung zugesprochen werden. Ein Sowohl-als-auch, eine hybride Lösung, ist für weite Teile der Wirtschaft – und Gesellschaft – der sinnvollste Weg der Digitalisierung.
Den Kopf in den Sand zu stecken und die Digitalisierung zu ignorieren, kann aber niemals eine Lösung sein. Digitale Lösungen fordern bestehende Geschäftsmodelle heraus, der Wettbewerb wird intensiver – auch, weil er immer internationaler wird. Unerwartete Entwicklungen wie Lieferkettenschwierigkeiten und Preissteigerungen stellen Bestehendes infrage. Unternehmen tun gut daran, ihre Krisenresilienz mithilfe der Digitalisierung zu erhöhen. Trivial ist das nicht, denn die Digitalisierung ist kein einmaliges Ereignis, das mit einem Software-Update oder der Einführung eines digitalen Produkts erledigt ist, sondern ein fortwährender Prozess.
In welchem Maße etwa die Corona-Pandemie einen Digitalisierungsschub in Deutschland ausgelöst hat, zeigt der Digitalisierungsindex, den das Institut der deutschen Wirtschaft jährlich im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt. Menschen wie Unternehmen haben gelernt, intensiver digital miteinander zu interagieren. Hinzu kam der Faktor Zeit: Unternehmen mussten den Einsatz digitaler Technologien in kürzester Zeit umsetzen, um diese Krise zu überstehen.
Andererseits wurden auch digitale Projekte in der Krise aufgrund von Unsicherheiten, Kostendruck und Liquiditätsproblemen vertagt. Inzwischen stagniert die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft wieder. Auch das könnte der weiter bestehenden und mittlerweile multiplen Krise geschuldet sein: Zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie haben sich die Folgen des Ukraine-Krieges, die Lieferkettenschwierigkeiten, die Preisentwicklung und die Energiekrise gesellt.
Die Digitalisierung wird vermutlich erst dann richtig an Fahrt aufnehmen, wenn die Unternehmen weniger unter dem Eindruck von Kostensteigerungen und Unsicherheiten stehen. Spätestens dann jedoch hat wirklich kein Unternehmen mehr eine gültige Ausrede, nicht zumindest zu prüfen, inwiefern Digitalisierung ihm nützt.
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