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Barbara Engels IW-Kurzbericht Nr. 56 31. August 2016 Nicht immer gut: Datenportabilität zwischen Online-Plattformen

Laut EU-Datenschutzgrundverordnung sollen Nutzer ihre persönlichen Daten ab 2018 zwischen verschiedenen Online-Plattformen transferieren können. Das ist zwar förderlich für die Datensouveränität des Einzelnen, aber schädlich für den Wettbewerb – zumindest in einigen Fällen. Unter einem niedrigeren Wettbewerbs- und Innovationsniveau leiden wiederum die Plattformnutzer – immerhin etwa drei Viertel der europäischen Bevölkerung.

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Datenportabilität zwischen Online-Plattformen
Barbara Engels IW-Kurzbericht Nr. 56 31. August 2016

Nicht immer gut: Datenportabilität zwischen Online-Plattformen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Laut EU-Datenschutzgrundverordnung sollen Nutzer ihre persönlichen Daten ab 2018 zwischen verschiedenen Online-Plattformen transferieren können. Das ist zwar förderlich für die Datensouveränität des Einzelnen, aber schädlich für den Wettbewerb – zumindest in einigen Fällen. Unter einem niedrigeren Wettbewerbs- und Innovationsniveau leiden wiederum die Plattformnutzer – immerhin etwa drei Viertel der europäischen Bevölkerung.

Online-Plattformen wie soziale Netzwerke, Suchdienste und Handelsplattformen dominieren zunehmend die Wirtschaft und bieten Millionen von Nutzern unzählige neue Produkte und Services. Plattformunternehmen wachsen schnell, halten sich oft nicht an die für traditionelle Unternehmen geltenden Gesetze, und sammeln, speichern und verwerten große Mengen von Nutzerdaten. Deshalb gibt es zunehmend Forderungen nach stärkerer Regulierung der Plattformen.

Viele der Forderungen missachten jedoch die speziellen Charakteristika von Plattformmärkten (vgl. Goldfarb et al., 2015). Das Recht auf Datenübertragbarkeit, wie es Artikel 20 der EU-Datenschutzgrundverordnung (s. Europäisches Parlament/Rat, 2016) ab Mai 2018 allen Internetnutzern in der EU einräumen will, kann so dem Wettbewerb und damit auch dem Nutzer schaden. Und Nutzer gibt es viele: Laut der Europäischen Kommission (2015) sind etwa drei Viertel der Europäer zwischen 16 und 74 Jahren im Internet unterwegs, der Anteil der Plattformnutzer dürfte wegen der Ubiquität der Plattformen nur knapp darunter liegen. Das berufliche Netzwerk LinkedIn hat europaweit 107 Millionen User (Linked­In, 2016). Allein in Deutschland waren Anfang 2016 rund 28 Millionen Menschen monatlich auf Facebook aktiv, weltweit waren es mehr als 1,7 Milliarden (Facebook, 2016).

Da Recht auf Datenportabilität bedeutet, dass Nutzer ihre personenbezogenen Daten (darunter Name, IP-Adresse, Fotos, Suchhistorie, Nachrichtenverlauf) von den Betreibern aller Online-Plattformen einfordern können, um diese auf eine andere Plattform zu übertragen. Facebook-Fotos können einfach in ein anderes Netzwerk transferiert werden, die Reputation als Ebay-Verkäufer gilt auch auf einer anderen Verkaufsplattform. Das bringt den Nutzern vor allem mehr Kontrolle über ihre Daten und reduziert den sogenannten lock-in: Je einfacher die Nutzer die Plattform wechseln können, desto eher werden sie das auch tun, wenn sie mit der Plattform unzufrieden sind (Shapiro/Varian, 1999, 32 ff.). Markteintrittsbarrieren sinken und die Etablierungschancen neuer innovativer Unternehmen steigen, denn Nutzer sind eher bereit, neuen Plattformen eine Chance zu geben – der Aufwand, um das zu tun, ist dank Datenportabilität gering.

Dieser theoretisch fundierte Mechanismus ist in der Praxis ambivalent. Denn Unternehmen und Märkte sind verschieden und reagieren unterschiedlich auf die Datenportabilität. Das Recht auf Datenportabilität gilt allerdings für alle Nutzer in Europa, auf allen Märkten und für alle Plattformen – für Garagen-Start-ups genauso wie für Monopolisten.

Um die Effekte der Datenportabilität zu beschreiben, können grob zwei Fälle unterschieden werden. Zwei Plattformen können beispielsweise ähnliche Produkte, sogenannte Substitute, anbieten. Sowohl Airbnb als auch Wimdu vermitteln kurzfristige Übernachtungsmöglichkeiten in Privatwohnungen. Wenn eine neue, ähnliche Plattform auf den Markt kommt, werden einige Airbnb- und Wimdu-Nutzer zu dieser neuen Plattform wechseln, wenn diese neue Plattform in irgendeiner Form attraktiver ist. Dieser Wechsel findet eher und häufiger statt, wenn die Nutzer ihre Daten leicht mit zur neuen Plattform nehmen können – die Daten also portabel sind. Gilt das Recht auf Datenportabilität, können Fotos von der Wohnung, Suchpräferenzen, sogar die Anbieterreputation übertragen werden. Sind Daten nicht portabel, wird es dem neuen Anbieter schwer fallen, Nutzer von den bestehenden Plattformen abzuwerben. Datenportabilität ist dennoch auch in diesem Fall nicht immer wettbewerbsfördernd.

In einem alternativen Fall bieten Plattformen Produkte an, die sich ergänzen. Der Wert zweier Plattformen steigt für den Nutzer, wenn er sich beider bedient. Er kauft beispielsweise etwas auf einer Handelsplattform und bezahlt mit dem Zahlungsmittel einer Bezahlplattform. Beide Plattformen profitieren gegenseitig von ihrer Existenz. Wenn eine Plattform den Markt betritt, die solche sogenannten komplementären Produkte anbietet, zieht sie Nutzer von den bestehenden Plattformen an – aber nicht ab. Die Nutzer sind sowohl auf der neuen als auch auf der bestehenden Plattform aktiv. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Nutzer der neuen Plattform auch von den bestehenden angezogen werden. Datenportabilität fördert diesen Nutzertransfer immens, denn Informationsasymmetrien führen ansonsten dazu, dass Synergieeffekte selten bekannt sind und damit nicht gehoben werden. Unter Datenportabilität können sogar neue Geschäftsmodelle entstehen: Eine Preisvergleichsplattform könnte anhand der exakten Live-Verbrauchsdaten eines Haushalts zu jeder Zeit die günstigsten Energielieferanten anzeigen.

Gerade in Märkten mit komplementären Produkten fördert Datenportabilität also Innovation und Wettbewerb: Der Marktzutritt wird einfacher. Die Anreize zur Innovation steigen, denn es ist einfacher für neue Plattformen, Nutzer anzuwerben. Außerdem können sie Innovationskosten mit anderen Plattformen teilen, die auch von der Innovation profitieren. Den Nutzern stehen mehr und günstigere Dienstleistungen zur Verfügung.

Bei Plattformen, die konkurrieren, weil sie substitutive Produkte anbieten, ist Datenportabilität nicht immer förderlich für Wettbewerb und Innovation. Das liegt auch daran, dass Unternehmen immer fürchten müssen, dass ein marginal besseres Unternehmen ihnen die Kundschaft abgräbt – die Kapitalerträge sinken. Zum anderen ist Datenportabilität ein Kostenfaktor. Daten sind nicht per se übertragbar, sie müssen erst übertragbar gemacht werden. Das in Artikel 20 geforderte strukturierte, gängige und maschinenlesbare Format (Europäisches Parlament/Rat, 2016, Artikel 20) ist mit Investitionen und Ressourcen verbunden, die vor allem Start-ups und kleine Unternehmen unter Umständen nicht leisten können (Swire/Lagos, 2013). Die Wettbewerbsintensität sinkt. Die etablierten Unternehmen können ihre Marktmacht ausweiten – zum Nachteil der User.

Aus diesem Grund muss das Recht auf Datenportabilität nuanciert interpretiert werden, um dem Wettbewerb und der Innovationsaktivität der Unternehmen nicht zu schaden. Datenportabilität sollte in Märkten mit sich ergänzenden Produkten durchgesetzt werden. In anderen Märkten ist sie aus wettbewerbspolitischer Sicht nur da nötig, wo das Risiko des Marktmachtmissbrauchs hoch ist. Eine Analyse zeigt, dass das besonders auf dem Suchmaschinenmarkt der Fall ist, da dort indirekte Netzwerkeffekte und Skaleneffekte hoch sind (Engels, 2016). Vor allem unter Suchmaschinen sollten Daten daher portabel sein.

Jedoch: Selbst wenn eine nuancierte, marktadäquate Interpretation des Rechts auf Datenportabilität gelingt, gibt es noch viele Unklarheiten. Wer bestimmt, wie das Datenformat aussehen soll? Wie kann Datenschutz effektiv geleistet werden? Wem gehören die transferierten Daten überhaupt? Die EU-Datenschutzgrundverordnung hat mit der Datenportabilität mehr neue Fragen gestellt als alte beantwortet.

Dieser Kurzbericht basiert auf dem Paper Engels (2016).

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Barbara Engels IW-Kurzbericht Nr. 56 31. August 2016

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