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Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 48 13. Juli 2021 Herausforderung Demografie: Bildung, Zuwanderung und Innovation stärken

Der demografische Wandel wird in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu einem erheblichen Rückgang des Fachkräfteangebots in Deutschland führen. Gerade im MINT-Bereich dürfte das notwendige Fachkräfteangebot nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. In über zwei Dritteln der befragten Unternehmen hat daher die Fachkräftesicherung in den kommenden fünf Jahren einen eher großen oder sehr großen Stellenwert für die Sicherung ihres Geschäftsmodells. Um die Veränderungsprozesse von Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung erfolgreich bewältigen zu können, sind zusätzliche Impulse bei Bildung, Zuwanderung und Forschung notwendig.

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Bildung, Zuwanderung und Innovation stärken
Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 48 13. Juli 2021

Herausforderung Demografie: Bildung, Zuwanderung und Innovation stärken

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der demografische Wandel wird in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu einem erheblichen Rückgang des Fachkräfteangebots in Deutschland führen. Gerade im MINT-Bereich dürfte das notwendige Fachkräfteangebot nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. In über zwei Dritteln der befragten Unternehmen hat daher die Fachkräftesicherung in den kommenden fünf Jahren einen eher großen oder sehr großen Stellenwert für die Sicherung ihres Geschäftsmodells. Um die Veränderungsprozesse von Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung erfolgreich bewältigen zu können, sind zusätzliche Impulse bei Bildung, Zuwanderung und Forschung notwendig.

In den kommenden Jahren wirken sich Dekarbonisierung, Digitalisierung, Deglobalisierung und Demografie gleichzeitig disruptiv auf die Geschäftsmodelle der Unternehmen und die Volkswirtschaft insgesamt aus (Demary et al., 2021). Der demografische Wandel wird in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu einem erheblichen Rückgang des Fachkräfteangebots in Deutschland führen. Geis-Thöne (2021) hat in drei Szenarien berechnet, wie sich die Fachkräftebasis bis zum Jahr 2040 unter jeweils verschiedenen Annahmen zu Wanderungsbewegungen und Erwerbsbeteiligung entwickeln dürfte. Im mittleren Szenario ergibt sich ein Rückgang der Anzahl der Fachkräfte im Alter zwischen 20 und 69 Jahren in Höhe von 3,1 Millionen oder 8,8 Prozent im Jahr 2040 im Vergleich zum Jahr 2020. Hingegen ergibt sich bei einer geringeren Zuwanderung und einem geringeren Anstieg der Erwerbsbeteiligung sogar ein Rückgang um 4,2 Millionen oder 12 Prozent. Nur wenn die Zuwanderung deutlich erhöht wird und die Erwerbsquote der 65- bis 69-Jährigen auf 75 Prozent bei Akademikern und 50 Prozent bei beruflich qualifizierten Fachkräften deutlich erhöht werden könnte, bliebe das Fachkräfteangebot nahezu unverändert.

Grundsätzlich können die dämpfenden Wirkungen des Rückgangs des Fachkräfteangebots auf die Wachstumsdynamik in Deutschland durch eine Stärkung der Arbeitsproduktivität und damit der Totalen Faktorproduktivität ausgeglichen werden. Dafür wären jedoch zusätzliche Innovationsimpulse notwendig. Innovationen wiederum hängen neben den Forschungsausgaben und Neugründungen von der Verfügbarkeit vor allem von Fachkräften im MINT-Bereich ab (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) (SVR, 2020; EFI, 2021).

Bereits aktuell fehlen im Juni 2021 rund 190.000 MINT-Fachkräfte. Diese Engpässe sind ein wichtiges Innovationshemmnis. Die Lücke dürfte aus strukturellen Gründen noch weiter wachsen, da mit steigenden demografischen Ersatzbedarfen bei MINT-Kräften zu rechnen ist. Bei konstanten altersbezogenen Erwerbstätigenquoten steigt der demografische Ersatzbedarf an beruflich qualifizierten MINT-Kräften von jährlich 270.800 in den kommenden fünf Jahren auf 291.200 an. Auf Basis der aktuellen Bevölkerungsentwicklung und des Anteils der beruflichen MINT-Kräfte an einem Altersjahrgang dürfte das jährliche Neuangebot an MINT-Facharbeitern in den kommenden fünf Jahren nur etwa die Hälfte des Ersatzbedarfs abdecken. Bei MINT-Akademikern wird der demografische Ersatzbedarf in den kommenden fünf Jahren von aktuell rund 62.200 auf 68.800 ansteigen. Dazu ergibt sich durch die Digitalisierung und Dekarbonisierung sowie durch eine generelle Forschungsintensivierung der Geschäftsmodelle ein jährlicher Expansionsbedarf in Höhe von rund 70.000 MINT-Akademikern. Der jährliche Gesamtbedarf steigt folglich von 132.200 in den kommenden Jahren auf 138.800 an und liegt deutlich über den aktuellen Absolventenzahlen eines MINT-Erststudiums in Höhe von rund 102.000 (Anger et al., 2021). Das bedeutet zusammenfassend, dass ein für zusätzliche Innovationsimpulse notwendiges höheres Angebot an MINT-Kräften nicht in ausreichendem Maße zu erwarten ist.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass in über zwei Dritteln der im IW-Zukunftspanel im Dezember 2020 befragten Unternehmen die Fachkräftesicherung in den kommenden fünf Jahren zu den Top-Prioritäten für die Sicherung ihres Geschäftsmodells zählt. So antworteten 24,7 Prozent der 1.268 befragten Unternehmen, dass der Stellenwert der Fachkräftesicherung für ihr Unternehmen in den kommenden fünf Jahren sehr groß ist. Weitere 43,1 Prozent bezeichneten die Bedeutung als eher groß. Vor allem für größere Unternehmen hat die Fachkräftesicherung eine hohe Bedeutung.

Um die Veränderungsprozesse erfolgreich bewältigen zu können, wünschen sich die befragten Unternehmen zusätzliche Investitionen des Staates in Bildung, höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) und die Gewinnung qualifizierter Zuwanderer.

Bei Bildung, Forschung und Zuwanderung schafft die Corona-Krise jedoch zusätzliche neue Probleme: Schulschließungen verschlechtern die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen (Anger/Plünnecke, 2020, 2021). Der Übergang zur beruflichen Bildung und der Abschluss des Studiums werden erschwert (Becker/Lörz, 2020). Ein Teil der Unternehmen verschiebt Innovationsprojekte oder kürzt geplante Budgets für Forschung und Entwicklung (EFI, 2021). Und auch die in den letzten Jahren gestiegene qualifizierte Zuwanderung ist während der Corona-Krise zurückgegangen (Anger et al., 2021).

Die Bildungspolitik sollte alle Bildungspotenziale erschließen, die MINT-Kompetenzen stärken und den Transformationsprozess in Digitalisierung, Dekarbonisierung sowie deren Schnittstellen durch eine deutliche Ausweitung der Weiterbildung an Hochschulen begleiten. Dies bedeutet im Einzelnen, dass auf Basis von Vergleichsarbeiten ein gezieltes Förderprogramm im Umfang von etwa 1,5 Mrd. Euro aufgelegt werden, Ganztagsgrundschulen ausgebaut und an allen Schulen zusätzliche Stellen für Chancenbeauftrage geschaffen werden sollten. Letzteres führt zu Kosten von rund 4 Mrd. Euro pro Jahr. Ferner werden 20.000 zusätzliche IT-Kräfte an Schulen für die Umsetzung der Digitalisierung benötigt, was zusätzliche Kosten von rund 2 Mrd. Euro pro Jahr verursacht (Anger/Plünnecke, 2021).

Die Forschungspolitik sollte durch eine gezielte missionsorientierte Forschungsförderung die Transformation unterstützen. Hier sollten die Schwerpunkte der beschlossenen Programme auf Digitalisierung und Dekarbonisierung sowie deren Schnittstellen gelegt werden. Ferner sollte die Forschungszulage ausgebaut und die maximale Fördersumme erhöht werden, um die Innovationsaktivitäten der KMU zu fördern.

Die Zuwanderungspolitik kann die Fachkräftesicherung und Innovationskraft durch einen Ausbau der Zuwanderung über das Bildungssystem unterstützen. 100.000 zusätzliche Studierende aus dem Ausland vor allem in den MINT-Fächern führen zu jährlichen Kosten von etwa 0,7 Mrd. Euro, zugleich aber bereits mittelfristig zu deutlich höheren Mehreinnahmen der öffentlichen Hand. Bessere Verwaltungsprozesse sollten ferner helfen, die Potenziale des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes besser zu heben.

Inhaltselement mit der ID 9654
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Um die Veränderungsprozesse erfolgreich bewältigen zu können, wünschen sich die befragten Unternehmen zusätzliche Investitionen des Staates in Bildung, höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) und die Gewinnung qualifizierter Zuwanderer.

Bei Bildung, Forschung und Zuwanderung schafft die Corona-Krise jedoch zusätzliche neue Probleme: Schulschließungen verschlechtern die Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen (Anger/Plünnecke, 2020, 2021). Der Übergang zur beruflichen Bildung und der Abschluss des Studiums werden erschwert (Becker/Lörz, 2020). Ein Teil der Unternehmen verschiebt Innovationsprojekte oder kürzt geplante Budgets für Forschung und Entwicklung (EFI, 2021). Und auch die in den letzten Jahren gestiegene qualifizierte Zuwanderung ist während der Corona-Krise zurückgegangen (Anger et al., 2021).

Die Bildungspolitik sollte alle Bildungspotenziale erschließen, die MINT-Kompetenzen stärken und den Transformationsprozess in Digitalisierung, Dekarbonisierung sowie deren Schnittstellen durch eine deutliche Ausweitung der Weiterbildung an Hochschulen begleiten. Dies bedeutet im Einzelnen, dass auf Basis von Vergleichsarbeiten ein gezieltes Förderprogramm im Umfang von etwa 1,5 Mrd. Euro aufgelegt werden, Ganztagsgrundschulen ausgebaut und an allen Schulen zusätzliche Stellen für Chancenbeauftrage geschaffen werden sollten. Letzteres führt zu Kosten von rund 4 Mrd. Euro pro Jahr. Ferner werden 20.000 zusätzliche IT-Kräfte an Schulen für die Umsetzung der Digitalisierung benötigt, was zusätzliche Kosten von rund 2 Mrd. Euro pro Jahr verursacht (Anger/Plünnecke, 2021).

Die Forschungspolitik sollte durch eine gezielte missionsorientierte Forschungsförderung die Transformation unterstützen. Hier sollten die Schwerpunkte der beschlossenen Programme auf Digitalisierung und Dekarbonisierung sowie deren Schnittstellen gelegt werden. Ferner sollte die Forschungszulage ausgebaut und die maximale Fördersumme erhöht werden, um die Innovationsaktivitäten der KMU zu fördern.

Die Zuwanderungspolitik kann die Fachkräftesicherung und Innovationskraft durch einen Ausbau der Zuwanderung über das Bildungssystem unterstützen. 100.000 zusätzliche Studierende aus dem Ausland vor allem in den MINT-Fächern führen zu jährlichen Kosten von etwa 0,7 Mrd. Euro, zugleich aber bereits mittelfristig zu deutlich höheren Mehreinnahmen der öffentlichen Hand. Bessere Verwaltungsprozesse sollten ferner helfen, die Potenziale des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes besser zu heben.

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