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Andrea Hammermann IW-Kurzbericht Nr. 39 2. April 2020 Erreichbarkeit gestalten: Verfügbar, beschäftigt oder abwesend?

Das Coronavirus ist auch eine Bewährungsprobe für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams. Wo immer dies möglich ist, wird gerade die physische Anwesenheit durch virtuelle Formate mithilfe digitaler Kollaborationstools ersetzt. Doch gerade Beschäftigte, die bisher wenig Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht haben, stehen vor neuen Herausforderungen, wie sie ihre Erreichbarkeit für Kollegen, Kunden und den Vorgesetzten organisieren sollen.

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Verfügbar, beschäftigt oder abwesend?
Andrea Hammermann IW-Kurzbericht Nr. 39 2. April 2020

Erreichbarkeit gestalten: Verfügbar, beschäftigt oder abwesend?

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Das Coronavirus ist auch eine Bewährungsprobe für die Zusammenarbeit in virtuellen Teams. Wo immer dies möglich ist, wird gerade die physische Anwesenheit durch virtuelle Formate mithilfe digitaler Kollaborationstools ersetzt. Doch gerade Beschäftigte, die bisher wenig Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht haben, stehen vor neuen Herausforderungen, wie sie ihre Erreichbarkeit für Kollegen, Kunden und den Vorgesetzten organisieren sollen.

Das Arbeiten von zuhause ist für viele Beschäftigte zumindest zeit- oder phasenweise seit Langem gelebter Arbeitsalltag. Arbeitgeber haben hierfür ihre IT-Infrastruktur aufgerüstet und verstärkt in die mobile Arbeitsausstattung investiert, die den ortsunabhängigen Zugriff auf Nachrichten, Daten und Dokumente erleichtert. Aus technischer Sicht sind viele Organisationen daher gut auf die virtuelle Zusammenarbeit vorbereitet.

Doch die technische Ausstattung ist nur eine notwendige Bedingung, damit eine dezentrale Arbeitsorganisation funktionieren kann. Sie leistet noch keine Gewähr, dass dies im beruflichen Alltag auch tatsächlich klappt. Die Beschäftigten benötigen gute Fähigkeiten zur Selbstorganisation, erweiterte Kommunikationskompetenzen insbesondere im Umgang mit modernen IKT-Systemen sowie unternehmerisches und eigenverantwortliches Denken und Handeln. Transparente betriebliche Regeln setzen den Rahmen für die Absprachen in Teams, wann wer für Anfragen von Kunden, Kollegen und dem Vorgesetzten verfügbar ist. Besonders eine klar formulierte Erwartungshaltung des Vorgesetzten schafft Orientierung in der Ausgestaltung neuer Handlungsspielräume.

Obwohl nicht die Dauer der Arbeitszeit an sich, sondern lediglich die Lage der Arbeitszeit zur Disposition steht, fällt es Beschäftigten, die die Möglichkeit haben mobil von unterwegs oder von zuhause aus zu arbeiten, nicht immer leicht, Arbeit und Privatleben gut miteinander zu vereinbaren (Stettes, 2018).

Arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit

In der Fachsprache spricht man von arbeitsbezogener erweiterter Erreichbarkeit, wenn sich der Arbeitsbereich auf das Privatleben erstreckt, also der Beschäftigte für berufliche Belange verfügbar ist oder Arbeitsbelange für sie/ihn im Privatleben zur Verfügung stehen (Pangert et al., 2016,9). Während sich das Work-Family-Conflict-Modell von Greenhaus und Beutell (1985) auf die Zeit- und Rollenkonflikte beider Lebensbereiche fokussiert, geht das Work-Family-Enrichment-Modell von Greenhaus und Powell (2006) davon aus, dass sich die Zufriedenheit in einem Lebensbereich auf den anderen übertragen kann (Spill-over-Effekt). So können sich durch die Ausübung der beruflichen Rolle neben materiellen, auch physische und psychische Ressourcen herausbilden, die sich positiv auf das Privatleben auswirken.

Ein großer Anteil der Beschäftigten – knapp 46 Prozent – arbeitet (noch) nicht mit mobilem Internet (siehe Abbildung). Rund 19 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, die mit mobilem Internet arbeiten, geben an, dass sie vermeintlich oder tatsächlich häufig in ihrem Privatleben für dienstliche Angelegenheiten erreichbar sein müssen (erwartete Erreichbarkeit). Darunter fallen auch Beschäftigte mit geregelten Formen der Erreichbarkeit über Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft. Rund 14 Prozent der mobil Arbeitenden werden tatsächlich häufig in ihrem Privatleben von Kunden, Kollegen, Mitarbeitern oder Führungskräften kontaktiert (tatsächliche Kontaktierung). Dies entspricht rund 7 Prozent aller Beschäftigten.

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Die arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit betrifft nicht alle Beschäftigte gleichermaßen. Befragt wurde nur, wer mindestens gelegentlich mit mobilem Internet arbeitet. Teilzeitkräfte geben seltener an, im Privatleben wegen beruflichen Belangen angesprochen zu werden. Führungskräfte sind häufiger betroffen als Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Führungskräfte arbeiten zum einen häufiger mobil und haben damit auch eher die Möglichkeiten, Arbeit und Privates stärker miteinander zu verzahnen. Zum anderen ist ihre Erreichbarkeit aufgrund von Freigabeverfahren und Entscheidungshoheiten für den reibungslosen betrieblichen Ablauf oftmals auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten gefordert. Geregelte Verantwortungsdelegation über Stellvertretersysteme können die (notwendige) erweiterte Erreichbarkeit von Beschäftigten in Schlüsselpositionen reduzieren. Vertretungsregeln sind jedoch gerade in Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern aufgrund der geringen Personaldecke nicht einfach umzusetzen. Dies zeigt sich ebenfalls in den vorliegenden Daten. Mitarbeiter in großen Unternehmen (mit 250 und mehr Beschäftigten) werden deutlich seltener in ihrem Privatleben für Berufliches kontaktiert als Mitarbeiter in kleineren Unternehmen.

Grad der Erreichbarkeit auf nahezu kon-stantem Niveau

Die Arbeitszeiterhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie die vorliegende Studie und bietet darüber hinaus auch einen ersten Zeitvergleich (BAuA, 2018, 49 f.). Für die Jahre 2015 und 2017 geben jeweils rund 12 Prozent der Beschäftigten an, häufig im Privatleben für berufliche Belange erreichbar zu sein. Rund 24 Prozent stimmen im Jahr 2017 der Aussage zu, dass dies von ihnen erwartet wird. Dies entspricht einem moderaten Anstieg von 2 Prozentpunkten zur ersten Welle im Jahr 2015. Für ein Szenario stark zunehmender entgrenzter Lebenswelten durch den digitalen Wandel gibt es bislang keine Evidenz. Auffällig ist jedoch, dass auch in der BAuA-Studie die erwartete Erreichbarkeit über der tatsächlichen Kontaktierung liegt.

In der IW-Beschäftigtenbefragung überschätzen nahezu 23 Prozent der mobil arbeitenden Beschäftigten die Erreichbarkeitserwartungen (Häufigkeit der erwarteten Erreichbarkeit > Häufigkeit der tatsächlichen Kontaktierung). Rund 16 Prozent der mobil arbeitenden Beschäftigten unterschätzen hingegen die Erreichbarkeitserwartung (Häufigkeit der erwarteten Erreichbarkeit < Häufigkeit der tatsächlichen Kontaktierung).

Hierfür gibt es mehrere Erklärungsansätze. Erstens setzen sowohl Rufbereitschaft als auch Arbeit auf Abruf eine Erreichbarkeit im privaten Umfeld unabhängig davon voraus, ob der Bedarf tatsächlich abgerufen wird oder nicht. Zweitens sind nicht alle Erreichbarkeiten auch angeordnet oder betrieblich notwendig. So mag sich der eine oder die andere über einen aktuellen Projektstand auch im Urlaub informieren wollen. Drittens möchten Beschäftigte möglicherweise ihre Leistungsbereitschaft signalisieren oder haben Angst, dass eine Nichterreichbarkeit sich negativ auf ihre Karrierechancen auswirkt. Die Sorgen der Beschäftigten, in ihren Leistungen nicht sichtbar genug zu sein, lassen sich durch Regeln allein nicht adressieren. Hier kommt es auf die gelebte Unternehmenskultur an, inwieweit ein vertrauensvolles Miteinander auch ohne physische Anwesenheitskontrollen funktioniert (Hammermann et al., 2019, 81). Gegenseitiges Vertrauen und Rücksichtnahme sind der Kit virtueller Arbeitsteams, damit für alle Seiten vernünftige Erreichbarkeitsregeln greifen können und unnötiges Schaulaufen nach Feierabend oder im Urlaub verhindert wird.

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