Einkommens- und Umsatzsteuer, die beiden wichtigsten Steuerarten für den Bundesfinanzminister, eilen von Rekord zu Rekord. Das wird die Steuerschätzung, die heute bekanntgegeben wird, eindrucksvoll zeigen. Dennoch macht sich in der Regierung Nervosität breit – doch das liegt nicht an den erwarteten Einnahmen, sondern an der Auf- und Ausgabenseite.

Warum Rekorde manchmal nicht reichen
Unter normalen Umständen würde Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wohl gelassen auf die Nachricht der Steuerschätzer warten, wie sich die Einnahmen in den kommenden Jahren entwickeln. Der Trend geht klar nach oben und die eine oder andere Milliarde mehr oder weniger als bisher prognostiziert würde der Finanzminister unaufgeregt zur Kenntnis nehmen.
Doch die Zeiten sind alles andere als normal: Die Flüchtlingshilfe stellt das ganze Land vor eine große Herausforderung, die vor den Staatsfinanzen nicht Halt macht. Es besteht in der Gesellschaft weitgehend Einigkeit darüber, dass der Staat viele Milliarden in die Hand nehmen muss und soll, um humanitäre Hilfe zu leisten und gleichzeitig die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt auf den Weg zu bringen. Wie viele Milliarden es genau werden, weiß derzeit noch niemand.
Und genau das ist der Grund, weshalb Schäuble sich die Zahlen der Steuerschätzer eher leicht angespannt ansehen wird. Denn mit den wachsenden Ausgaben gerät sein Prestigeprojekt – die schwarze Null – im kommenden Jahr in Gefahr. Kräftig steigende Steuereinnahmen wären da eine willkommene Beruhigungspille.
Vielleicht bereut Schäuble auch einen Beschluss aus dem Sommer, der den Bürgern durch die Erhöhung von Freibeträgen und durch einen teilweisen Abbau der kalten Progression Steuerentlastungen bringt. Doch diese Entscheidungen waren richtig: Die Entlastungen waren nämlich kein Geschenk an die Steuerzahler, sondern ein längst überfälliger – und im Übrigen gleichzeitig eher halbherziger – Schritt.
Um die schwarze Null zu retten, bedarf es ohnehin eines anderen Ansatzes: Die Politik sollte jenseits der humanitär gebotenen Flüchtlingshilfe die Ausgaben der öffentlichen Hand im Detail durchgehen und sich bei jedem einzelnen Posten fragen, ob dieser zum jetzigen Zeitpunkt absolut notwendig ist. Mit etwas gutem Willen lassen sich Ausgabenblöcke finden, die gekürzt oder um ein oder zwei Jahre verschoben werden können. Nicht alles Wünschenswerte ist auch machbar – und die Prioritären sind in Zeiten, in denen täglich mehrere Tausend Menschen nach Deutschland strömen, offenkundig. Die schwarze Null ist dabei nicht das Maß aller Dinge, aber leichtfertig aufgeben sollte die Politik sie auch nicht.

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