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(© Foto: iStock)
Hubertus Bardt / Thilo Schaefer IW-Nachricht 11. Mai 2021

Klimaschutzgesetz: Zu kurz gedacht

Die neue Fassung des Klimaschutzgesetzes soll bereits morgen ins Kabinett gehen. Die Eile ist unnötig und nicht zielführend: Es fehlt ein durchdachter Plan, der alle Beteiligten und nicht nur die Bundestagswahl im September im Blick hat.

Die Bundesverfassungsrichter ließen ihre Bombe am 29. April platzen: Das Klimaschutzgesetz war den Richtern nicht wirksam genug, nach 2030 sei die angepeilte Reduktion zu unkonkret. Obwohl das Gericht bis 2022 Zeit lässt, reagiert die Bundesregierung in kürzester Zeit und bringt bereits am morgigen Mittwoch ein überarbeitetes Gesetz ins Bundeskabinett. Darin sind nicht nur wie vom Gericht verlangt konkretere Ziele ab 2031 vorgesehen: Die Klimaneutralität soll schon 2045 erreicht werden, also fünf Jahre schneller als im Rest der EU und ohne das dies gerichtlich gefordert wäre. Nachdem die deutschen Treibhausgasemissionen in den 30 Jahren seit der Wiedervereinigung um 40 Prozent gesunken sind, sollen die verbleibenden Emissionen innerhalb der nächsten 25 Jahre komplett wegfallen. Das geht über die ohnehin ambitionierten Ziele des Green Deal auf europäischer Ebene hinaus: Deutschland muss sich schneller anpassen als Wettbewerber in Europa und der Welt.

Schnelle Klimaneutralität darf Wachstum nicht stoppen

Die neuen Vorgaben ähneln einem Extremszenario, das vor zwei Jahren in einer Umweltbundesamt-Studie vorgestellt wurde. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 – nicht schon 2045 – konnte auch darin nur unter einschneidenden Voraussetzungen erreicht werden. Dazu gehörte vor allem der Verzicht auf Wirtschaftswachstum ab 2030, die Aufgabe des deutschen Exportmodells und ein spürbarer Produktionsrückgang in wichtigen Grundstoffbranchen. Aber auch Privatleute müssten sich einschränken, beispielsweise bei Fernreisen oder durch kleinere Wohnungen – von den Folgen eines Wachstumsstopps für den eigenen Geldbeutel und die Finanzierungsmöglichkeiten des sozialen Ausgleichs ganz zu schweigen. Die zentrale Herausforderung liegt darin, dieses Szenario zu vermeiden und Klimaschutz mit zunehmendem Wohlstand zusammenzubringen. 

Emissionshandel wird ignoriert

Hinzu kommt: Die verschärften Ziele verkennen, dass die deutschen Industrie- und Energieunternehmen ohnehin am europäischen Emissionshandel teilnehmen. Die jährlich sinkende Obergrenze sorgt dafür, dass zuerst Emissionen reduziert werden, wo es am günstigsten möglich ist. Ein zusätzliches nationales Reduktionsziel ist inkonsistent und sorgt auf diese Weise für zusätzliche Kosten, weil entweder zu viel und damit zu teuer vermieden wird – oder zu wenig, damit blieben günstige Vermeidungskostenpotenziale ungenutzt. 

Nur mit Investitionen zum Ziel

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beinhaltet weder den Auftrag, innerhalb kürzester Zeit neue Ziele festzulegen, ohne abzuwarten, wie der europäische Regelrahmen ausgestaltet wird. Noch fordert das Gericht auf, den Zeitraum bis zum Erreichen der Klimaneutralität zu verkürzen. Vielmehr weist es – zurecht – darauf hin, dass später deutlich drastischere Vermeidungsmaßnahmen drohen, wenn zu langsam reduziert wird. Für die Bundespolitik lässt sich daraus ableiten, dass schnell die richtigen Weichen gestellt werden müssen, damit Genehmigungsverfahren beschleunigt, Infrastrukturprojekte umgesetzt und Investitionen getätigt werden können. Denn nur so können Unternehmen und private Haushalte Emissionen vermeiden. Zudem fehlen verlässliche Anreize für die erforderliche Transformation von Produktionsverfahren, Mobilität, dem Heizen von Gebäuden und der Landwirtschaft. Nur mit erfolgreichen klimafreundlichen Geschäftsmodellen, technologischen Innovationen und attraktiven Perspektiven für eine treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebensweise kann Klimaschutz in Deutschland gelingen und zum nachahmenswerten Modell werden. Ambitionierte Klimaziele sind kein Selbstzweck – auf den Weg dorthin kommt es an.

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