Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hält einen Lieferstopp von russischem Gas für „handhabbar“. Tatsächlich birgt er aber ein unkalkulierbares Risiko. Bereits der Ausfall von Nord Stream 1 oder der Ukraine-Leitung würde für hohe Kosten sorgen.

Ukraine-Krieg: Weg vom russischen Gas
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine sorgt für hitzige Debatten: Wird es ohne russisches Gas gehen? Wenn ja: Wie lange? Vor Kurzem hat sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina dazu eindeutig positioniert: Sie hält einen Lieferstopp von russischem Gas für „handhabbar“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Lücken könnten mit Flüssiggas, Reserven und mittelfristig mit erneuerbaren Energien aufgefangen werden. Tatsächlich aber bietet ein vollständiger Lieferstopp ein unkalkulierbares Risiko. Ein Lieferstopp von Nord Stream 1 oder der Ukraine-Leitung wäre mengenmäßig für eine gewisse Zeit kompensierbar, würde aber durch sehr hohe Preise große Schäden verursachen.
LNG kurzfristig nicht ausreichend verfügbar
Kurzfristig soll vor allem Flüssiggas (LNG) fehlende Gasmengen ersetzen. Würde das komplette russische Pipelinegas ausbleiben, entstünde laut des Thinktanks Bruegel eine Lücke von 1.550 TWh. Dem gegenüber standen 2021 freie LNG-Kapazitäten von etwa 1.160 TWh. Das Problem dabei: Die tatsächlich nutzbaren Kapazitäten sind deutlich geringer. Neben den begrenzten Produktionskapazitäten in den Exportländern und den meist langfristigen LNG-Verträgen hapert es vor allem am innereuropäischen LNG-Weitertransport. Das europäische Gasnetz kann die besonders an LNG-Häfen in Spanien und Frankreich ankommenden Mengen nur zu einem Teil in besonders betroffene Länder in Mittel- und Osteuropa transportieren. In diesen Ländern fehlt es auch an Infrastruktur wie Speichern, um eine kurzfristige Umstellung der Gasversorgung zu ermöglichen.
Industrie-Verbrauch lässt sich kurzfristig kaum einschränken
Darüber hinaus verweist die Leopoldina als kurzfristige Lösung auf einen geringeren Verbrauch: Das würde vor allem die Industrie treffen, die über einen längeren Zeitraum erhebliche Einschränkungen ihrer Produktion hinnehmen müsste. Damit einher ginge ein hohes wirtschaftliches und soziales Risiko: Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit werden von der Leopoldina nicht thematisiert. Zudem ist unwahrscheinlich, dass deutsche und europäische Privatverbraucher und Unternehmen ihren Verbrauch aus Solidarität zur Ukraine einschränken – sogar über Jahre. Dadurch droht die Gefahr, dass Sanktionen nicht durchgehalten werden und rückgängig gemacht werden müssten.
Gemeinsam für günstigere Preise
Eine gemeinsame europäische LNG-Beschaffung könnte etwas Luft verschaffen: Würde Europa gemeinsam LNG auf dem Weltmarkt einkaufen, wäre die Verhandlungsstrategie deutlich komfortabler, als wenn Länder wie Deutschland oder Polen für sich allein verhandeln. Alternativ könnte auch der Staat möglichst viel am LNG-Markt kaufen und marktgerecht im Inland anbieten, das würde die Nachfrage nach russischem Gas senken, während der Staat Defizite selbst finanzieren würde. „Verantwortliche Politik muss die Gesamtwirkung, die durch Kollateraleffekte beim Import kritischer Rohstoffe und weiter ausgeweiteten Produktionsausfall drohen kann, beachten“, sagt IW-Direktor Michael Hüther. „Mittelfristig müssen wir alles tun, um vom russischen Gas unabhängig zu werden und dafür den Ausbau erneuerbarer Energien forcieren.“

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