Die CDU ist von ihrer ursprünglichen Absicht abgerückt, eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze einzuführen, die sich am Branchenmindestlohn der Zeitarbeit orientiert. Nun soll eine Lohnuntergrenze in solchen Branchen festgelegt werden, in denen es keine Tarifverträge gibt. Damit geht die Partei nicht über die bestehenden Möglichkeiten hinaus, Lohnuntergrenzen einzuführen.

Einsicht mit halber Kehrtwende
In Branchen mit geringer oder ohne Tarifbindung ist es schon heute nach dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz möglich, eine Lohnuntergrenze festzulegen. Bislang wurde von dieser Möglichkeit aber noch kein Gebrauch gemacht. Für den neuen Vorschlag spricht, dass es verfahrensmäßig einfacher und unbürokratischer ist, tariffreie Zonen durch eine einheitliche Lohnuntergrenze zu regeln. Die ursprünglich vorgesehene Orientierung an der Zeitarbeit macht wenig Sinn, weil die Arbeitnehmerüberlassung zwar viele Geringqualifizierte beschäftigt, diese aber längst nicht in allen Branchen einsetzt, sondern nur dort, wo es sich auch lohnt. Das Geschäftsmodell der Zeitarbeit basiert auf einem Stundenlohn von mindestens 7 Euro, der eben nicht überall erwirtschaftet werden kann.
Die nun vorgeschlagene Ausrichtung an den vorhandenen tariflichen Branchenmindestlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist allerdings auch problematisch: Mit rund 7 bis 11 Euro ist der Korridor in der untersten Mindestlohnstufe schon sehr breit. Die Gewerkschaften könnten ihre Verhandlungspartner in Branchen mit einem geringen tariflichen Mindestlohn unter Druck setzen, höheren Löhnen zuzustimmen - mit dem Ziel, den Weg für höhere Lohnuntergrenzen freizumachen.

Streiks: „Wir haben hier keine französischen Verhältnisse“
Im Moment werde in Deutschland mehr und spürbarer gestreikt, sagt IW-Experte für Tarifpolitik Hagen Lesch im Gespräch mit dem WDR. Es handele sich aber nicht um französische Verhältnisse, sondern um ganz normale Tarifauseinandersetzungen.
IW
Tarifpolitischer Bericht 2. Halbjahr 2022: Konzertiert gegen die Lohn-Preis-Spirale
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen durch die hohe Inflation verlief das erste Halbjahr 2022 vergleichsweise harmonisch (Lesch, 2022a). Dieser Trend setzte auch im zweiten Halbjahr fort.
IW