1. Home
  2. Presse
  3. IW-Nachrichten
  4. Arbeitskosten im EU-Vergleich: Trügerische Normalität
Zeige Bild in Lightbox
(© Foto: iStock)
Christoph Schröder IW-Nachricht 23. April 2020

Arbeitskosten im EU-Vergleich: Trügerische Normalität

Laut Statistischem Bundesamt mussten die Arbeitgeber in Deutschland 2019 nur etwas höhere Arbeitskosten schultern als im Jahr davor. Doch die Zahlen liefern ein unzureichendes Bild. Denn die Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten je produzierte Einheit, sind viel stärker gestiegen – schon vor der Corona-Krise.

Durchschnittlich 40,90 Euro musste ein verarbeitender Betrieb in Deutschland im Jahr 2019 für jede geleistete Arbeitsstunde zahlen. Im EU-Vergleich liegt Deutschland damit an dritter Stelle, nur in Dänemark und Belgien kostete eine Arbeitsstunde noch mehr. Der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr wirkt auf den ersten Blick moderat: In der Gesamtwirtschaft stiegen die deutschen Arbeitskosten 2019 um 2,8 Prozent und damit nur leicht stärker als im Euroraum. Im verarbeitenden Gewerbe, das dem internationalen Wettbewerb stark ausgesetzt ist, ist Arbeit um rund zwei Prozent teurer geworden – das ist sogar weniger als im Durchschnitt des Euroraums.

Geringere Produktion bei konstanter Beschäftigung

Ist also alles gut? Nein, denn mit Blick auf die Lohnstückkosten zeigt sich, dass die deutschen Betriebe weit mehr unter Druck stehen, als es die Zahlen zeigen – dabei sind die Auswirkungen der Corona-Krise noch nicht einmal berücksichtigt.

Bereits im Jahr 2019 brach in Deutschland die Nachfrage deutlich ein. Da die Industrie bei geringerer Produktion ihre Beschäftigung annähernd konstant hielt, gab die Produktivität je Stunde um vier Prozent nach, sodass sich die Lohnstückkosten auch bei dem scheinbar moderaten Arbeitskostenanstieg um mehr als sechs Prozent erhöhten. Im internationalen Kostenwettbewerb verschlechterte Deutschland damit seine Position, denn im Euroraum und in den USA stiegen die Lohnstückkosten jeweils nur um drei Prozent.

Moderate Tarifabschlüsse sind geboten

Bereits ohne die Corona-Krise wäre daher Lohnzurückhaltung wichtig, um die Beschäftigung zu sichern und im internationalen Wettbewerb keinen Nachteil zu haben. Mit der jetzigen Rezession wird dies noch schwieriger. Das Kurzarbeitergeld kann helfen, die Unternehmen zu unterstützen und Kündigungen zu vermeiden. Als alleinige Maßnahme wird es aber nicht reichen, wie die Erfahrungen aus der Finanzkrise zeigen: Auch damals meldeten viele Industriebetriebe Kurzarbeit an. Trotzdem stiegen 2009 die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe um fast 18 Prozent. Als die Nachfrage wieder stieg, konnten auch die Lohnstückkosten schnell gesenkt werden.

Die derzeitige Krise dämpft jedoch nicht nur die Nachfrage, sondern stört auch die Wertschöpfungsketten. Um diese Folgen auszugleichen, dürften noch größere Anstrengungen als 2009 nötig sein. Neben der Politik sind daher auch die Tarifpartner gefordert, mit moderaten Abschlüssen zur Kostenstabilisierung beizutragen.

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, hat sich in der Vergangenheit vermehrt für einen höheren Mindestlohn eingesetzt.
Michael Hüther im Handelsblatt-Podcast Audio 30. Juni 2023

„Der Mindestlohn ist nicht das Instrument der Einkommensabsicherung.“

Der Eingriff der Ampel-Koalition in den Mindestlohn im vergangenen Jahr hat aus einer ökonomischen eine politische Entscheidung gemacht. Die Anhebung des Mindestlohns solle nicht als Inflationsausgleich dienen, sondern die Beschäftigung schützen und faire ...

IW

Artikel lesen
Holger Schäfer / Oliver Stettes Gutachten 29. April 2023

Zeitarbeiterbefragung: Zeitarbeit in der Pflegebranche

Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern in der Kranken- und Altenpflege steht in der Kritik. Die Vorwürfe lauten, die Zeitarbeit würde aggressiv Arbeitnehmer von Betrieben der Gesundheitswirtschaft abwerben, ihnen höhere Gehälter zahlen und die Möglichkeit geben, ...

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880