Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will die Strafzahlungen für Unternehmen verdoppeln, wenn sie nicht genügend Schwerbehinderte beschäftigen. Doch das ist kaum nötig – bereits jetzt wird die Pflichtquote von 5 Prozent fast erreicht. Statt auf Strafen sollte die Politik lieber auf Aufklärung der Unternehmen setzen.

Aufklärung statt Bestrafung
Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland ist schwerbehindert, beispielsweise aufgrund einer schweren Krebserkrankung, Seh- oder Hörbehinderung, Asthma oder Diabetes. Menschen mit Behinderungen stehen in Deutschland unter einem besonderen Schutz – auch in der Arbeitswelt: Jeder Arbeitgeber ist bei der Neubesetzung einer Stelle verpflichtet zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Bewerber besetzt werden kann. Insgesamt sollen 5 Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden. Diese gesetzlich vorgeschriebene Quote gilt für alle Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen. Firmen, die das nicht schaffen, müssen Strafe zahlen – 2013 summierte sich diese auf mehr als 530 Millionen Euro.
Für Finanzminister Schäuble ist das offenbar zu wenig. Er plant, die sogenannte Ausgleichsabgabe von derzeit durchschnittlich 2.000 Euro auf rund 4.000 Euro pro Jahr zu erhöhen. Mit dem Vorstoß will Schäuble die Beschäftigungschancen behinderter Menschen steigern: Werden die Strafzahlungen teurer, steigt vielleicht die Bereitschaft, Behinderten eine Chance zu geben, so das Kalkül.
Dabei kann sich die Bilanz der deutschen Unternehmen bereits jetzt sehen lassen: Aktuell sind 4,7 Prozent der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt. Insbesondere große Betriebe erfüllen die Quote – acht Großkonzerne übererfüllen sie sogar deutlich mit 6,4 Prozent. Schlechter fällt die Bilanz allerdings bei kleinen und mittleren Unternehmen aus. Ob diese allerdings über höhere Strafzahlungen „bekehrt“ werden können, ist äußerst fraglich. Häufig fehlt es den Firmen schlicht an Wissen über die verschiedenen Pflichten, aber auch über Fördermöglichkeiten. Beispielsweise wissen wohl nur die Wenigsten, dass die Ausbildung von schwerbehinderten Jugendlichen für die Pflichtquote doppelt zählt. Hier bietet REHADAT, ein Projekt des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und gefördert vom BMAS, Unternehmen eine Orientierungshilfe: Mit seinen zahlreichen Portalen informiert REHADAT über gelingende Integration von Schwerbehinderten in die Arbeitswelt, über Fördermöglichkeiten und Hilfsmittel. Mit der neuen REHADAT-Elan-App kann jedes Unternehmen prüfen, wie hoch seine aktuelle Ausgleichsabgabe ist und welche Kosten jährlich eingespart werden könnten, wenn die Firma Schwerbehinderte einstellt oder ausbildet – bei einem Unternehmen mit 100 Beschäftigten wären das pro Jahr 10.200 Euro.
Fast jeder Zehnte ist schwerbehindert
Menschen sind schwerbehindert, wenn einen Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 50 vorliegt. Die nach Landesrecht zuständigen Behörden stellen den Grad der Behinderung auf Antrag fest.
Pflichtquote fast erreicht
In Deutschland müssen fünf Prozent aller Arbeitsplätze in Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen mit schwerbehinderten Menschen besetzt sein; ansonsten müssen Unternehmen eine Ausgleichsabgabe zahlen. Die Grafik zeigt schwerbehinderte Erwerbstätige in Betrieben mit mindestens 20 Arbeitsplätzen.
Schwerbehinderte inklusive gleichstellte Personen: Personen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40 können auf Antrag bei der Agentur für Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht bekommen oder nicht behalten können.
Wichtigste Arbeitgeber im produzierenden Gewerbe
Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten, nach Wirtschaftszweigen, Jahresdurchschnitt 2013

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