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Hubertus Bardt / Jürgen Matthes IW-Nachricht 29. November 2019

Industriestrategie: Ein schmaler Grat

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat seine neue Industriestrategie präsentiert. Der Entwurf wurde zu Beginn des Jahres vielfach kritisiert – die finale Version ist deutlich ausgewogener. Altmaier plant unter anderem, in Zukunft Unternehmensübernahmen aus dem Ausland genauer zu prüfen und gegebenenfalls zu untersagen, um die nationale Sicherheit besser zu schützen. Der Ansatz ist richtig – allerdings muss die Umsetzung verlässlich und rechtssicher erfolgen.

In einem Industrieland wie Deutschland braucht die Politik eine klare Orientierung, wie die Entwicklung der Industrie unterstützt wird. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die Industrie durch grundlegende Veränderungsprozesse wie der Digitalisierung oder dem Klimaschutz vor einem erheblichen Strukturwandel steht. 
In seiner Industriestrategie setzt Altmaier zu Recht einen Schwerpunkt auf sogenannte horizontale Industriepolitik, die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für alle Industriebranchen verbessern soll. Ob die Maßnahmen jedoch auch ausreichen und umgesetzt werden, ist zumindest zweifelhaft. Die geforderte Senkung der Unternehmenssteuern und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags widersprechen der bisherigen Regierungspolitik. In der Energie- und Klimapolitik wird zurecht eingefordert, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen berücksichtigt werden muss. Wie ein wirklicher Umbau mit Blick auf treibhausgasneutrale Produktion in der Industrie realisiert werden kann – ohne Beschäftigung und Produktion in Deutschland zu verlieren – wird in der Industriestrategie noch nicht klar. Die Förderung von Batterieproduktion in Deutschland wird jedenfalls nicht ausreichen, um die Autoindustrie weiterhin erfolgreich zu machen.

Schutz der nationalen Sicherheit

Von besonderer Bedeutung für den zukünftigen Wohlstand ist die Innovationsfähigkeit der Industrie. In diesem Zusammenhang möchte Altmaier auch Unternehmensübernahmen aus dem Ausland künftig genauer prüfen und im Zweifelsfall unterbinden können. Das soll die nationale Sicherheit besser schützen – und dem Ausverkauf von innovativer Technologie einen Riegel vorschieben.

Bisher breitet die Europäische Union für ausländische Investoren ihre Arme aus: Es gilt grundsätzlich die sogenannte Kapitalverkehrsfreiheit, auch für Drittstaaten – zumindest solange die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht gefährdet sind. Damit kann ein ausländischer Investor bislang ungehindert innovative Unternehmen übernehmen. Das gilt auch, wenn hinter der Übernahme ein ausländischer Staat mit einer aggressiven Industriepolitik steht, wenn die Übernahme direkt oder indirekt subventioniert ist und wenn die Technologie die eigene Wirtschaft innovativer gestalten soll. 

Bürokratie und Abschreckung für Investoren

Nun hat die EU im Frühjahr eine neue Verordnung beschlossen, die den Begriff nationale Sicherheit erweitert und auch kritische Technologien einbezieht. Diese neue Ausnahmeklausel will Bundeswirtschaftsminister Altmaier nutzen. Mit dem neuen Eingriffsrecht bewegt sich Altmaier auf einem schmalen Grat und erzeugt ungewollte Nebenwirkungen: Es entstehen neue bürokratische Hürden und Meldepflichten, Investoren könnten abgeschreckt werden, zudem droht ein Einfallstor für Protektionismus. Deshalb müssen die Vorschriften möglichst transparent, rechtssicher und frei von Diskriminierung erfolgen. Vor allem braucht es eine klare Definition, was kritische Technologien sind.

Altmaier hat aber zu Recht im Blick, dass ein massiver Transfer kritischer Technologien mittelfristig die nationale Sicherheit gefährden kann und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Produktions- und Beschäftigungsstandorts Deutschland erodieren könnte. Das würde zumindest dann gelten, wenn der Heimatstaat des Investors seine mit dem Technologietransfer immer innovativer werdenden Unternehmen auch in Zukunft umfangreich subventioniert und somit weiterhin massiv den Wettbewerb auf dem Weltmarkt verzerrt. Diese neue Sichtweise ist sicherlich nicht unproblematisch, erscheint aber angesichts eines zunehmenden Systemwettbewerbs inzwischen unverzichtbar. „Wir müssen leider in diesen sauren Apfel beißen“, sagt IW-Experte Jürgen Matthes.
 

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