Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundsteuer gekippt. Im Interview mit procontra spricht IW-Ökonom Ralph Henger über die Gründe für diese Entscheidung und erklärt, wie eine gerechte Reform aussehen sollte.
„Die Grundsteuer ist willkürlich und ungerecht“
Im April hat das Bundesverfassungsgericht die Grundsteuer in ihrer jetzigen Form für verfassungswidrig erklärt. Warum hat das höchste deutsche Gericht überhaupt über diese Steuer verhandelt?
Basis für die Berechnung der Grundsteuer ist der sogenannte Einheitswert. Damit bewertet das Finanzamt den Wert eines Grundstücks. Weil der sich über die Zeit ändert, müssten die Einheitswerte eigentlich regelmäßig neu angepasst werden – laut Gesetz war hierfür einmal ein Zeitraum von sechs Jahren vorgesehen. Das ist aber nie geschehen. Letztmalig wurden die Einheitswerte in Westdeutschland im Jahr 1964 und in Ostdeutschland im Jahr 1935 ermittelt. Die heutige Grundsteuer errechnet sich damit also auf Basis völlig veralteter Zahlen.
Einheitswert ist ungerecht
Warum ist das ein Problem?
Nehmen wir als Beispiel ein Einfamilienhaus in Köln. Der Einheitswert beläuft sich auf 40.000 Euro, der Verkehrswert – also der aktuelle Wert eines Gebäudes – liegt bei 400.000 Euro. Das baugleiche Haus in einem anderen Viertel kann heute ebenfalls 400.000 Euro wert sein und dennoch viel niedriger besteuert werden, weil der Einheitswert geringer ist. Solche Unterschiede bei der Besteuerung sind willkürlich und ungerecht.
Der Einheitswert ist ein Faktor, der die Höhe der Grundsteuer bestimmt. Ein anderer ist der Hebesatz, den jede Kommune individuell festlegt. Hätten die Städte und Gemeinden nicht einfach ihren Hebesatz erhöhen können, um auszugleichen, dass Grundstücke ungleich bewertet werden?
Pauschal die Hebesätze zu erhöhen, hat mit zu den Ungerechtigkeiten beigetragen, die das Verfassungsgericht kritisiert. Schließlich haben sich die Grundstückswerte in verschiedenen Lagen und je nach Grundstückstyp in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich entwickelt. Der Hebesatz aber gilt immer für eine Kommune als Ganzes. Für den einzelnen Eigentümer kann die Kommune damit keine Verbesserung erreichen.
Welche Vorgaben macht das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber jetzt?
Inhaltlich nur wenige: Die Grundsteuer muss nun „gleichheitsgerecht“ ausgestaltet werden, dabei besteht aber viel Gestaltungsspielraum. Die Karlsruher Richter haben der Regierung vor allem eine Frist gesetzt. Bis Ende 2019 muss sie eine neue Lösung finden. Für die Umsetzung bleibt der Regierung bis zum Jahr 2024 Zeit.
Ein Teil der Länder hat bereits im Jahr 2016 vorgeschlagen, die 35 Millionen Grundstücke und Immobilien in Deutschland neu zu bewerten und dabei den Wert des Gebäudes und den Bodenrichtwert zu berücksichtigen. Die Idee ist damals gescheitert. Zu Recht?
Das Modell hatte erhebliche Schwächen. Gebäude wurden pauschal und undifferenziert bewertet. Beim Alter der Immobilie wurde beispielweise einfach linear abgeschrieben, ohne Sanierungs- oder Ausbauarbeiten am Gebäude zu berücksichtigen. Dies hätte vor allem Neubauten benachteiligt. Gescheitert ist das Modell aber nicht nur an seinen Schwächen, sondern am Widerstand Bayerns und Hamburgs, die Nachteile für ihre Wähler befürchteten.
Grundsteuer: Bessere Lösung?
Was wäre eine bessere Lösung?
Wir vom IW zusammen mit der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ favorisieren eine Bodenwertsteuer. Dabei wird die Grundsteuer allein auf Basis der Bodenwerte ohne die Gebäude erhoben. Entscheidend wäre dann nicht mehr, ob und wie ein Grundstück bebaut ist, sondern nur noch, wie groß und wie viel ein Grundstück wert ist. Die hierfür erforderlichen Bodenrichtwerte liegen bereits fast flächendeckend für Deutschland vor.
Welche Vorteile hätte ein solches Modell?
Das Modell ist vor allem einfach und spart enorme Kosten, da die Gebäude nicht mehr erfasst und bewertet werden müssen. Zudem belohnt der Fiskus aktuell Spekulanten, die auf weiter steigende Grundstückspreise setzen und ihre Grundstücke deshalb nicht bebauen. Gleichzeitig werden Eigentümer mit höheren Steuern bestraft, die ihre Immobilie ausbauen oder sanieren und so ihren Wert steigern. Bei einer Bodenwertsteuer würden Investitionen am Gebäude nicht mehr zu einer höheren Steuerlast führen. Spekulanten müssten hingegen mehr Grundsteuer zahlen.
Gentrifizierung schreitet voran
Inwiefern?
Eine Bodenwertsteuer besteuert im Prinzip die Nutzungsmöglichkeiten und nicht die tatsächliche Nutzung des Grund und Bodens. Wer sein Grundstück brach liegen lässt und auf einen Verkauf in der Zukunft spekuliert, zahlt also genauso viel wie derjenige, der das Grundstück bebaut.
Mehrfamilienhäuser stehen in Metropolen oft auf teuren Grundstücken. Wenn diese noch teurer werden, dann kann sich bald niemand mehr das Wohnen in der Großstadt leisten und die Gentrifizierung schreitet voran.
Nein, im Gegenteil. Die Bodenwertsteuer fördert die effiziente Nutzung von Gebäuden und entlastet somit Eigentümer, die in die Höhe bauen. Bewohner von Geschossbauten würden also durch die Steuer weniger belastet. Sie machen laut Statistik den größten Anteil der Menschen in Deutschland aus.
Wie hoch sind die Chancen, dass sich die Regierung für eine Bodenwertsteuer entscheidet?
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungspielraum gelassen. Wir rechnen unserem Modell gute Chancen aus, weil es schnell umzusetzen, gerecht und praktikabel ist. Stand heute ist aber noch völlig offen, welches Modell am Ende das Rennen macht.
Zum Interview auf procontra-online.de
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