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Michael Hüther in der Welt Interview 2. März 2016

"Was wir sehen, ist kein kurzfristiger Einbruch"

Zombie-Unternehmen, die Millionen Stellen streichen, sinkende Exporte und eine miese Konjunktur: IW-Direktor Hüther sieht Chinas Wirtschaft vor einer Trendwende – und spricht im Interview mit der Welt über die Folgen, die er für Europa erwartet.

Die Stimmung in den chinesischen Unternehmen rauscht nach unten, und in den vergangenen zwölf Monaten sind die chinesischen Importe um fast ein Fünftel abgesackt. Die wirtschaftliche Lage in dem Land scheint weit schlimmer, als es die Führung in Peking zugibt.

Ich mache mir auch Sorgen um die wirtschaftliche Verfassung Chinas, aber meine Sorgen gehen weit über die aktuellen Verwerfungen hinaus. Was wir in China sehen, ist kein kurzfristiger Konjunktureinbruch, nach dem es wieder einen Aufschwung geben wird mit einer Stärke wie zuvor. Das wird erst einmal nicht passieren.

Immerhin wächst die chinesische Wirtschaft aber immer noch weit stärker als die deutsche. Sind wir vielleicht einfach verwöhnt vom hohen Wachstumstempo der Vergangenheit?

Sicher, es ist klar, dass eine Volkswirtschaft auf Dauer nicht mit zehn Prozent wachsen kann. Und es ist klar, dass sechs Prozent vom jetzigen Niveau mehr sind als zehn Prozent vor zehn Jahren. Aber es geht um die Perspektive: Es ist völlig unklar, wohin die Entwicklung geht. China hat eine politische und wirtschaftliche Ordnung, die das geradezu explosionsartige Wachstum der vergangenen 30 Jahre gefördert hat. Aber jetzt bremst diese Ordnung.

Was fehlt?

Hinter China liegt eine Phase marktwirtschaftlicher Öffnung, die in den vergangenen Jahrzehnten einen enormen Zuwachs an Wohlstand gebracht hat. Aber die staatliche Lenkung ist immer noch sehr ausgeprägt. Seit der Öffnung der Wirtschaft unter Jiang Zemin Ende der 80er-Jahre sind zwar 35 Jahre vergangen, aber die wirtschaftliche Diskussion kreist immer noch um die Staatsunternehmen. Wir reden über deren mangelnde Wettbewerbsfähigkeit oder über die Kreditpolitik der Staatsbanken, die unter politischem Druck die Staatsunternehmen mit günstigen Krediten finanzieren.

Ihnen ist das turbokapitalistische China also nicht marktwirtschaftlich genug?

In China mag ein Turbokapitalismus herrschen, aber tatsächlich ist jetzt der Zeitpunkt, an dem China sich entscheiden muss, ob es wirklich eine Marktwirtschaft sein will. Das System wird bisher zu sehr vom Staat dominiert und ist zu autoritär. Ohne politische Freiheiten, ohne Rechtsstaatlichkeit und ohne eine verlässliche Justiz kann es in China keine dauerhaft funktionierende Marktwirtschaft geben. Wenn China das politisch nicht schafft, dann schafft es auch den Sprung zu einer entwickelten Volkswirtschaft nicht.

Aber warum sollte es nicht? Bisher hat sich China doch wirtschaftlich sehr erfolgreich entwickelt.

Bisher ja, aber China hat bisher auch nur die erste Stufe wirtschaftlicher Entwicklung durch Kostenvorteile genommen. Jetzt aber ist der Wohlstand so stark gewachsen, dass auch die Wettbewerbsfähigkeit gelitten hat. Sie können heute in Osteuropa teilweise günstiger produzieren als in China, weil dort die Löhne so stark gestiegen sind. Das ist auch völlig in Ordnung, bedeutet aber auch, dass sich das Wachstumsmodell ändern muss. Das hat die Führung zwar begriffen und will das Exportgeschäft durch mehr Konsum im Land ersetzen und innovativere Unternehmen schaffen, die mehr Geld für ihre Produkte verlangen können. Aber wer mehr Innovation will, muss mehr unternehmerischen Geist freilassen, und dafür muss sich der politische Führungsstil ändern. Nötig ist auch eine stärker dezentrale politische Struktur, um 1,4 Milliarden Chinesen gleichermaßen einzubinden.

In der Vergangenheit hat die autoritäre Ordnung deutsche Unternehmen aber nicht davon abgehalten, dort zu investieren und dort auch zu produzieren.

Natürlich, alle fanden es ganz toll, dass die Verwaltung in China alles so schnell entschieden hat, und fanden es klasse, wenn sie schnell bedient wurden. Aber auch als Unternehmer muss man akzeptieren, dass in einem demokratischen Umfeld Zeit für Diskurse sein muss. Ich muss mich als Unternehmer auch der Zivilgesellschaft stellen. In China muss ich das erst einmal nicht, aber langfristig unterstützt man damit eine Politik, die nicht nachhaltig ist. Am Ende des Tages wird es irgendwann teuer zurückkommen. Allein schon dadurch, dass sich die Korruption hält. Wenn man sich den Korruptionsindex von Transparency International oder ähnliche Indikatoren anschaut, hat sich seit dem Jahr 2000 dort nichts getan.

Die Reformen, die Sie fordern, wird es in den kommenden Jahren nicht geben.

Ich glaube auch nicht, dass die Führung das wirklich will. Aber das sind nicht nur schlechte Nachrichten für die Menschen in China, sondern auch für die Wirtschaft, denn so lange wird die wirtschaftliche Entwicklung dort immer wieder stocken.

Was heißt das für die deutsche Wirtschaft?

Die Unternehmen in Deutschland müssen sich neue Kunden im Ausland suchen. Das findet seit 2012 bereits statt, die Exporteure orientieren sich stärker nach Nordamerika. Aber problematisch ist die Gesamtlage schon, weil auch die rohstoffreichen Schwellenländer als Kunden ausfallen. Auf jeden Fall sind jetzt all jene richtig beraten, die immer gesagt haben: Sie stellen sich so auf, dass sie nicht umfallen, selbst wenn China umfällt. Und das gilt auch für jene, die sich immer geweigert haben, nach China ihre neuesten Technologien zu liefern und nur begrenzt mit der Produktion dorthin gegangen sind.

Zum Interview auf welt.de

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