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Michael Hüther auf WDR5 Interview 21. Januar 2015

"Staatsanleihenkäufe nicht kategorisch ausschließen"

Die Inflationsrate in der Euro-Zone ist so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. IW-Direktor Michael Hüther findet, man müsse daher auch über unkonventionelle Maßnahmen nachdenken, wie beispielsweise Staatsanleihenkäufe – auch wenn das nicht der Schlüssel der Weisen sei.

Morgen tagt die Europäische Zentralbank und da schauen diesmal alle ganz besonders gespannt hin. Wird doch erwartet, dass die EZB ihre Geldpolitik weiter lockern und vor allem massenhaft Staatsanleihen ankaufen wird. Von 750 Milliarden Euro ist die Rede und sogar von 1 Billion – Riesensummen also. Und schon bevor die Entscheidung fällt, gibt es viel Kritik. Aber auch positive Stimmen von prominenter Seite, zum Beispiel von Prof. Michael Hüther, dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Herr Hüther, warum finden Sie es denn gut, wenn die EZB jetzt Staatsanleihen kauft?

Nun, es ist ja nie eine grundsätzliche Frage, sondern es ist ja immer von den Bedingungen, von den Umständen her zu begründen. Wir haben seit Herbst letzten Jahres eine Verschärfung der Entwicklung, dass die niedrigen Inflationsraten sich auch in den entsprechenden Inflationserwartungen all der Akteure niederschlagen. Und damit entsteht ein Problem für die Europäische Zentralbank, denn sie deutet den Auftrag, den sie hat – Preisniveaustabilität zu sichern – so, dass die Inflationserwartungen fest verankert sein sollen, stabil verankert sein sollen bei Inflationsraten zwischen 1,7 und 1,9. Das ist seit geraumer Zeit nicht der Fall und das kann die Notenbank nicht ignorieren. Ich sage nicht, dass man deswegen mit fliegenden Fahnen darauf zulaufen muss – auf das Aufkaufprogramm. Aber man kann ein solches Glaubwürdigkeitsproblem, das sich dann einstellt, wenn man die selbstgesteckten Ziele nicht erreicht, nicht ignorieren und muss deshalb sehr genau über solche Dinge nachdenken. Man kann sie auch nicht kategorisch ausschließen und muss überlegen, wie man es denn tut.

Nun sagen die Kritiker, die Inflation ist zwar niedrig, aber vor allem wegen der Energiepreise, die stark gesunken sind. Die Gefahr einer Deflation ist gar nicht so groß.

Natürlich haben wir im Moment einen Impuls durch den Ölpreis, wir haben ihn durch die Preise für Nahrungsmittel, aber die sogenannte Kerninflationsrate, die das Beides nicht berücksichtigt, ist ebenfalls unter 1. Das heißt, auch die ist weit entfernt vom Inflationsziel der Europäischen Zentralbank und damit wird sichtbar, dass schon unabhängig von den externen Effekten Öl und Nahrungsmittel, auch sich im System ein Druck auf einen Rückgang der Inflationsrate sich eingestellt hat, dessen Ende wir noch nicht sehen. Also, es ist nicht richtig zu sagen, es hat nur etwas mit dem Öl zu tun.

Normalerweise werden dann die Zinsen weiter gesenkt, das geht aber jetzt nicht mehr, die sind schon so niedrig. Wieso können jetzt diese massiven Anleihekäufe dagegen helfen?

Nun, die zinspolitischen Maßnahmen zuletzt habe ich eher auch schon kritisch gesehen, weil ich deren Wirkungsgrad nicht mehr erkennen konnte. Wir sind in einer sogenannten Liquiditätsfalle. Das heißt, wir sind in einer Situation, wo sich die Unternehmen – auch die privaten – im Kern Europas stark entschuldet haben, Liquidität halten. Da sind Zinsentscheidungen nicht mehr greifbar, nicht mehr wirksam. In den Südländern haben wir Probleme bei den Banken. Dann denkt man über unkonventionelle Maßnahmen nach. Diese quantitativen Maßnahmen sind in anderen Währungsräumen leichter üblich und natürlich auch in einer Währungsunion auf der anderen Seite schwerer vermittelbar und müssen auch besser begründet werden. Aber die Erfahrung, auch der USA, zeigt, dass man mit solchen Maßnahmen als Notenbank dann schon deutlich macht, wo man hinwill mit den Inflationsraten, nämlich in das Inflationsziel. Und dass man dadurch über die Mechanik auch in den verschiedenen Märkten entsprechende Wirkungsketten auslöst. Das geht nicht von eins auf Mittag, aber man setzt diesen Prozess in Gang. Es ist, glaube ich, auch ganz wichtig zu sehen: Je länger man den Rückgang der Inflationsraten hinnimmt – wir sind ja bei 0,2 und dürfen für dieses Jahr Deflation im Durchschnitt erwarten – umso schwerer wird es, das zu korrigieren, weil es ein selbstverstärkender Prozess ist. Man wird in einer solchen Ökonomie dann prämiert, wenn man als Konsument nicht kauft und zuwartet, wenn man in der Zukunft kauft. Man wartet immer weiter auf sinkende Preise.

Besteht denn die Gefahr von Preisblasen, wenn die EZB jetzt die Märkte mit Geld flutet?

Wir haben natürlich immer Kollateralwirkungen zu sehen, das ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen. Das gilt für die Richtung Finanzpolitik, das gilt für die Preisbildung an Märkten für Vermögenswerte, aber das kann, wenn man das alles zusammen nimmt, nicht per se in Frage stellen, dass die Notenbank ihr Mandat ernst nehmen muss, nämlich ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen. Insofern muss man sehr genau abwägen. Das kann man dann auch mit im Blick haben. Die Notenbank ist andernfalls bei Fehlentwicklungen in anderen Märkten auch handlungsfähig. Es ist ja nicht so, dass sie ihre Handlungsfähigkeit dann verlieren würde.

Die Wirtschaftsverbände, die ja auch Ihr Institut finanzieren, die sehen das zum Teil ganz anders und kritisch – der Bankenverband zum Beispiel, heute auch der Bundesverband der Industrie. Nehmen Sie das in Kauf?

Wir haben ja als Ökonomen eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte Meinung vorzutragen und es ist ganz wichtig zu sehen, dass wir hier eine Institution in einer Dilemma-Situation haben. Ich sage ja nicht, dass das der Schlüssel der Weisen ist. Aber was mir an der deutschen Diskussion gelegentlich fehlt, das nach dem Motto „Was nicht sein kann, was nicht sein darf“, solche Maßnahmen ausgeschlossen werden, man mit sehr eigenartigen Argumenten kommt. Da muss man ganz nüchtern sehen, die Notenbank hat eine Situation, in der sie abwägen muss. Es ist ein Risiko. Sie hat aber vor allem auch das Risiko ihres Glaubwürdigkeitsverlustes und das Risiko deflationärer Entwicklungen können wir nicht von der Hand weisen. Wir sehen nicht, dass das durch starke Produktivitätsentwicklungen und große Investitionen erklärt ist, das haben wir im Augenblick nicht. Sondern es ist eine Deflationsgefahr, die sich dann wirklich auch in eine negative Wirtschaftsentwicklung überführen kann und dann wäre uns allen nicht geholfen. Denn wenn man in einer solchen Situation ist, das zeigt Japan, dann wird es sehr, sehr schwierig und noch viel kostspieliger, das zu korrigieren.

Das Interview zum Anhören auf WDR5.de

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