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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 9. November 2010

Schneller aus der Krise als gedacht

In ihrem Jahresgutachten prognostiziert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für dieses Jahr ein Wachstum von 3,7 Prozent. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, hält allerdings eine Spanne von drei bis dreieinhalb Prozent für realistisch. Vorab wurde bereits bekannt, dass die Wirtschaftsweisen für 2010 mit einem Plus von 3,7 Prozent rechnen und 2,2 Prozent im nächsten Jahr. Ist das aus Ihrer Sicht eine realistische Erwartung?

Das liegt sicherlich an der oberen Kante der Prognosen. Wir haben eine Bandbreite von knapp über drei bis jetzt zu diesen 3,7. Ich denke, eine gute drei, dreieinviertel bis dreieinhalb ist realistisch, zwei Prozent fürs nächste Jahr ebenfalls. Also ein Bild, das schon in den Konsens passt und deutlich macht: Die Krise ist schneller überwunden, die Krise ist bezogen auf die industrielle weltweite Arbeitsteilung eine Wachstumspause und kein Strukturbruch, denn nur so ist es erklärbar, dass wir wieder auf dem kräftigen Weg nach oben sind.

Was würde ein solches Wachstum bedeuten? Ist Deutschland dabei, seine Einbußen in dem Bereich wieder wett zu machen?

Ja, das ist so. Wir werden relativ zügig das Produktionsniveauvon vor der Krise wieder erreichen, wobei man immer erinnern muss: Das Auslastungs- und Produktionsniveau kurz vor dem Ausbruch der Krise, das heißt im Sommer 2008, war arg überdehnt. Wenn Sie die Unternehmen fragen, ist daskeine Normalsituation. Deswegen ist auch die Stimmung schon im Laufe 2010 so deutlich ins Positive übergegangen, weil sie sich durch die Auslastung eigentlich in einem langfristig schon angemessenen Niveau wieder befinden.

Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund das Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vollbeschäftigung zu erreichen?

Vollbeschäftigung wird ja nicht bedeuten, dass wir keine Arbeitslosen mehr haben, sondern dass wir eine Arbeitslosenquote, sage ich mal, in der Größenordnung von fünf Prozent realisieren. Das halte ich in absehbarer Zeit durchaus für realistisch. Das würde bedeuten, dass wir Richtung zwei Millionen kommen. Dann scheint mir aber auch das strukturelle Problem der Arbeitslosigkeit zu dominieren, das heißt die fehlenden Qualifikationen, die fehlende Passgenauigkeit zu den Stellen, die dann gefragt sind.

Worauf kommt es jetzt an, Herr Hüther, um den Aufschwung auch nachhaltig zu machen? Muss da die Binnenkonjunktur stärker angekurbelt werden, etwa durch höhere Löhne, wie das ja auch Bundeswirtschaftsminister Brüderle fordert?

Die Binnennachfrage ist ja schon im zweiten Quartal 2010 in Gang gekommen: Einmal durch die Inlandsinvestitionen und zum anderen auch durch den privaten Verbrauch. Wir haben auch gesehen, das Konsumklima im Herbst dieses Jahres ist schon wieder auf einem sehr hohen Stand. Hier reflektiert sich die gute Lage am Arbeitsmarkt, das geringere Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist dominant für die Stärkung des Konsums. Das wird auch nächstes Jahr so sein. Es kommt hinzu: Kurzarbeit fällt nahezu weg, das heißt der damit auch verbundene Einkommensentzug, und es sind ja schon Lohnerhöhungen definiert, nehmen Sie die Metall- und Elektrobranche mit2,7 Prozent. Hinzu werden sicherlich viele Sonderzahlungen kommen, dort wo die Auslastung hoch ist, dort wo die Knappheit an Fachkräften hoch ist.Insofern wird die Lohnseite hier mit unterstützen, einfach ganz normal aus dem Zyklus heraus. Da braucht man aber keine besonderen Hinweise des Bundeswirtschaftsministers und das ist auch kein allgemeines Phänomen, sondern es wird sich sehr stark differenzieren. Die Aussichten für den Konsum und die ganze Inlandsnachfrage 2011 sind gut.

Die Koalition, Herr Hüther, debattiert derzeit wieder über Steuersenkungen. Die FDP sieht offenbar wieder Spielraum.

Zur Stärkung des Wachstums auf Dauer gehört auch, dass die Konsolidierung gelingt und dass man sich wirklich in die Bedingungen der Schuldenbremse einfügt. Das sind trotz der jetzt verbesserten Lage und trotz der nur knapp 50 Milliarden Verschuldung im Bundeshaushalt statt 80 Milliarden erhebliche Anforderungen, die da zu erfüllen sind. Deswegen bei der Steuersenkung sehr genau hinzuschauen, was geht, was hilft auch dem Wachstum. Das ist einmal die Schieflage in der Unternehmensbesteuerung, wo wir immer noch Fehlanreize haben mit Verlustbesteuerung, mit Funktionsverlagerungsthemen, Zinsschranke und Ähnlichem, und auf der anderen Seite in der Einkommenssteuer mal zu schauen, wie können wir beispielsweise die Kalte Progression herausbauen. Das kann man über einen mehrjährigen Pfad machen. Das zu eröffnen, ist schon realistisch. Konsolidierung und Steuersenkung gehen durchaus übereinander. Aber man muss jetzt erst mal den Pfad festklopfen, den die Regierung vorgegeben hat.

Ab morgen findet das G-20-Gipfeltreffen in Seoul statt. Da geht es auch um den Währungsstreit zwischen den USA, der EU und auch China. Ist das möglicherweise eine Bedrohung für das Wachstum in der Weltwirtschaft in Zukunft?

Wenn diese ganzen Konflikte nicht gelöst werden, sicherlich; aber ich glaube, die Einsicht trägt doch weiter. Wir haben ja diese Krise vor allen Dingen auch deshalb eigentlich auch global so gut in den Griff bekommen, weil in der internationalen Kooperation im Herbst 2008 undim Frühjahr 2009 gehandelt wurde. Es ist halt nicht wie in der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre zu einem Rückfall in die Autarkie gekommen, sondern das gemeinsame Verständnis der Krise dominiert.Ich glaube nicht, dass das jemand wirklich gefährden will. Diese Lektion ist relativ eindeutig. Und die Amerikaner wissen eigentlich auch, dass sie durch währungspolitische Manipulationen über die Geldpolitik nichts gewinnen. Sie haben Strukturprobleme, denen müssen sie sich stellen, und es hat sichim Vorfeld jetzt schon gezeigt, dass die ganz kruden Vorstellungen der Amerikaner – feste Grenzen für Leistungsbilanzdefizite und Überschüsse –nicht durchsetzbar sind. Und wir sehen ja auch: Auch China nimmt eine ganz andere aktive Rolle wahr. Alle haben ein Interesse daran, dass es hier nicht zu einem Konflikt kommt, denn die Amerikaner mit Abwertungsperspektiven für ihre Währung würden ja bedeuten, dass die Chinesen die amerikanischen Staatspapiere so nicht mehr mit Interesse halten, die sie allerdings halten. Insofern gibt es da eigentlich einen Konsens. Die Amerikaner sind etwas irritiert durch ihre schwierige Bewegung aus der Krise heraus, aber das müssen sie zu Hause lösen.

Aber dennoch ist es ja so, dass die amerikanische Zentralbank den Markt mit 600 Milliarden US-Dollar flutet. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nennt das trostlos und die USA untergrüben ihre Glaubwürdigkeit. Ist diese Kritik berechtigt?

Diese Kritik ist durchaus berechtigt. Man muss auf der anderen Seite sehen: die Amerikaner haben dort eine andere Tradition. Diesen Sündenfall des Aufkaufs von Staatsanleihen durch die Notenbank haben wir in Europa in diesem Jahr mit Blick auf die Griechenland-Krise überhaupt das erste Mal gemacht und auch nur vorübergehend. Das wird auch nicht so weitergehen. Das ist für die Amerikaner durchaus gängig, auch eine höhere Inflation mit drei Prozent als bei uns knapp unter zwei. Aber es ist richtig: Das was hier an Flutung der Märkte passiert, weil es auch keine Probleme löst, kann dazu führen, dass die Liquidität, die dann in den privaten Händen ist, zu Fehlentscheidungen, in Fehlallokationenführt. Deswegen muss man eigentlich darauf drängen, dass sehr schnell erkannt wird, das ist nur ein Placebo und es wird letztlich die amerikanische Konjunktur nicht wenden und die Gefährdungen international sind sehr viel höher. Aber mein Eindruck ist, dass die Amerikaner keinen Durchmarsch mit solchen Strategien mehr machen können.

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