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Michael Hüther auf SWR2 Interview 18. August 2012

„Rückwirkungen wären gravierend.“

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, warnt im SWR2-Interview vor den Folgen eines Euro-Austritts der Griechen.

Herr Hüther, in der nächsten Woche besucht der griechische Regierungschef Samaras Bundeskanzlerin Merkel in Berlin. Es wird erwartet, dass er um Aufschub für die vereinbarten Reformen bittet. Halten Sie das grundsätzlich für machbar? Und wenn ja, halten Sie es für sinnvoll?

Ich glaube, wir müssen sehr viel grundsätzlicher über die Art und Weise der Programmumsetzung nachdenken. Denn es ist nicht wirklich erbaulich, wenn die Troika alle drei Monate nach Griechenland fährt, guckt, was passiert ist, feststellt: Es sind keine 100 Prozent. Es sind mal weniger, mal mehr. Und dieses Mal ist es ganz wenig, weil durch die Parlamentswahlen, die zweimal stattgefunden haben, im ersten Halbjahr vier, fünf Monate fast nichts passiert ist, alle wie gebannt auf die Ergebnisse der Troika schauen, allgemeine Unsicherheit eintritt und man sich dann überlegt, was kann man tun. Es ist eigentlich ein Entwicklungsprozess, in den Griechenland hineingebracht werden muss. Ein Prozess moderner Staatlichkeit, moderner Verwaltung, offener Märkte. Und das geht nicht von Quartal zu Quartal. Also: Die Antwort wäre eigentlich zu sagen, gar nicht Mal aufschieben in dem Sinne wie er das meint, sondern das Angebot umzusetzen in einer langfristigen Betrachtung, lass es uns Mal auf fünf Jahre denken. Und dann ein laufendes Monitoring und nicht, dass man alle drei Monate vorbei kommt, sondern laufend eine Gruppe, ein Monitoring in Griechenland zu haben die dieses begleitet um immer auch sofort interveniert und auch intervenieren kann wenn etwas schief läuft.

Wie beurteilen Sie denn die Reformanstrengungen der griechischen Regierung?

Wenn man den Zeitraum nimmt bis zu diesen Stillstands-Perioden, die wir jetzt im ersten Halbjahr hatten, müssen wir schon sagen, dass Einiges passiert ist, aber natürlich alles in allem unzureichend. Passiert ist etwas bei den Ausgaben, die Primär-Ausgaben im öffentlichen Haushalt, also die ohne Zinsausgaben, sind um etwa 17 Prozent zurückgeführt worden, das ist durchaus beachtlich. Das hieße für den Staatshaushalt in Deutschland 180 Milliarden Kürzung. Auf der anderen Seite stellen wir allerdings fest - und das ist auch anekdotisch immer wieder überliefert - das Verwaltungshandeln ist eine schiere Katastrophe, es ist eine Vetternwirtschaft. Entscheidungen der Regierung werden nicht konsequent umgesetzt. Und was hinzu kommt, ist: Wir erleben im Grunde das Versagen einer politischen Klasse. Ein Versagen, das sehr lange währt – in der Zeit, in der sie es mit Geld überdecken konnten. Und jetzt müssen sie handeln ohne Geld und dieser Findungsprozess macht die Sache natürlich schwierig und erklärt auch zum Teil, dass die Dinge unbefriedigend sind.

Die sogenannte Troika von Fachleuten aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds will Anfang September ihren Bericht über die Reformfortschritte in Griechenland vorlegen. Welches Ergebnis erwarten Sie? Und welche Reaktionen der Geber-Staaten erwarten Sie?

Der Bericht wird Vieles als unzureichend beschreiben, manches als funktionierend. Also, er wird ein gemischtes Bild zeigen, mehr Grautöne sicherlich als helle Töne. Er wird aber der Politik nicht die Entscheidung abnehmen. Und wir sind politisch gesehen damit in einer sehr heiklen Situation, weil natürlich nach der Logik des bisherigen Vorgehens die Frage steht: Kann man jetzt überhaupt noch mal Geld verfügbar machen? Das ist auch der Zusammenhang, wo ich sage: Es macht nicht wirklich Sinn, alle drei Monate neu darüber nachzudenken. Aber der politische Wille, soweit ich sehe, auch in Berlin ist eher begrenzt. Man muss nur wissen, was passiert, denn die Rückwirkungen für die gesamte Eurozone wären mit Sicherheit gravierend. Also, insofern ist die Situation die dann im September, beziehungsweise für den europäischen Gipfel, 8. Oktober, der dafür anberaumt ist, durchaus heikel und durchaus eine Situation, wo es „Spitz auf Knopf“ kommen kann.

Wenn wir versuchen die gesamte Gemengelage zu überschauen: Wie weit sind wir bei der Lösung dieser Eurokrise bisher gekommen? Wo liegen wir im Moment Ihrer Meinung nach?

Also, ich glaube, wir sind weiter als vielfach öffentlich diskutiert wird. Denn man muss sehen: Was ist die Logik der Krisenpolitik gewesen? Wir haben es bereits angesprochen, die eine Säule der Krisenpolitik ist strikte Konditionalität. Man gewährt Hilfe gegen Auflagen, gegen Bedingungen die in Form von Reformprogrammen und Sanierungsauflagen für den Haushalt sich äußern. Nehmen wir Portugal, wir sind dort deutlich nach vorne gekommen, die Regierung macht das umfassend. Sie hat die Perspektive nächstes Jahr an den Kapitalmarkt zurückzukehren, ähnliches gilt für Irland. Das heißt also, wir sehen, dass im Prinzip dieser Teil der Krisenpolitik funktioniert. Die zweite Säule der Krisenpolitik war, neue Institutionen zu begründen. Der Fiskalpakt, die Schuldenbremse und der europäische Stabilisierungsmechanismus, all das beschreiben neue Institutionen, und die sind im Prinzip dauerhaft gedacht um diese Logik einer Währungsunion souveräner Staaten zukunftsfest zu machen, ohne hier in eine unrealistische Lösung politischer Union hineinzulaufen. Ich glaube, dass wir da auch richtig unterwegs sind. Eine Lücke bleibt, in einer Art Notstandsrecht, so wie wir das jetzt in Griechenland beobachten. Dort muss dann ein Land, für eine befristete Periode, von vornherein dann auch mal verzichten auf Souveränitätsrechte, weil es dann eine ganz andere Form der Hilfe benötigt als über die, die wir hier in Portugal oder Irland beispielsweise reden. Also, insofern sind wir eigentlich weiter als vielfach diskutiert. Aber es bleibt kritisch, „Spitz auf Knopf“. Und ich kann nur ein bisschen davor warnen, so zu tun als müsste man jetzt mal die „Muskeln spielen lassen“, es geht um eine kluge Perspektive für diesen Reformprozess. Am Ende, wenn das gelingt, steht eine Eurozone, die stabiler ist als zuvor.

Sie sagen, wir sind weiter als das allgemein so wahr genommen wird, trotzdem zahlen die Staaten relativ hohe Zinsen für ihre Staatsanleihen. Sigmar Gabriel, würde das gerne lösen in dem er gemeinschaftliche Haftung für die Staatsschulden übernimmt. Macht das im Moment Sinn?

Es macht im Moment keinen Sinn, weil wir dafür nicht die politischen Institutionen haben. Eine gemeinsame Haftung setzt eine politische Union voraus. Wer nur eine Haftungsunion einführt, der schafft falsche Anreize. Und am Ende kommt es zu einer Degeneration des finanzpolitischen Verhaltens in den schwierigen Ländern, denn sie haben günstige Zinsen zu Lasten der kräftigeren Länder. Und sie müssen sich nicht anstrengen, sie müssen ihre Probleme nicht bereinigen, sie sozialisieren dann ihre Probleme. Das ist eine Zukunftsmusik, man kann ja mal in Jahrzehnten denken und sagen: Irgendwann haben wir eine politische Union. Man wird das auch verfassungsrechtlich wirklich mal diskutieren müssen, was das bedeutet. Aber wir haben sie nicht, wir haben sie im Hier und Jetzt nicht. Und die Arbeit muss dezentral in den verantwortlichen Ländern geführt werden, sie sind für ihre Finanzpolitik verantwortlich. Dass das funktionieren kann, sieht man auch in Krisenzeiten, das Beispiel Portugal ist erwähnt worden, und das muss im Grunde verstetigt werden. Man darf sich auch nicht täuschen lassen über die Klagen Italiens und Spaniens, was die Zinsausgaben angeht: Das sind völlig unspektakuläre Daten, die kommen im Grunde damit zu Recht. Und es kann beiden Regierungen nur der Rat gegeben werden, eine andere Geschichte zu erzählen. Sie müssen sich vorstellen: Ein Unternehmen in einer schwierigen Lage und ein Investor kommt, und dem Investor sagt er: Also, ich habe ziemliche Lasten aus der Vergangenheit die ich selbst verschuldet habe, statt zu erzählen was die Zukunftsstory, was die Strategie ist. Beide Regierungen haben enorme Reformen gemacht. Das ist die Strategie, die muss erzählt werden und dann kann man auch an den Kapitalmärkten Wirkung erzielen.

Der deutschen Wirtschaft geht es trotz der Eurokrise im Verhältnis immer noch prima, können wir vielleicht sagen. Und wir haben eine sehr niedrige Arbeitslosenquote. Trotzdem schafft es Finanzminister Schäuble nicht, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Herr Hüther, wenn nicht jetzt, wann dann?

Völlig richtig. Das Ergebnis der Finanzpolitik des Bundes ist nicht befriedigend, ist nicht ambitioniert genug. Und wir sehen auch jetzt mit Blick, ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl 2013, sind die üblichen Begehrlichkeiten wieder zu greifen, keiner steckt zurück. Es kommen dann noch so tolle Ideen wie das Betreuungsgeld auf, das auch in Milliardenhöhe den Haushalt belastet. Also, das ist in der Tat etwas, was völlig unbefriedigend ist. Auch eingedenk der Tatsache, dass durch das niedrige Zinsniveau der Bund in den letzten drei Jahren Ersparnisse bei den Zinsausgaben von mindestens, nach unserer Rechnung, 55 Milliarden Euro hatte. Gleichzeitig eine starke konjunkturgeschuldete Entwicklung der Steuereinnahmen, die man auch nicht so einfach fortschreiben kann. Das heißt, hier sind in der Tat Chancen vertan worden. Hier hätte man deutlich ambitionierter sein können. Wäre das auch gemacht worden, dann hätte man auch in Europa noch eine ganz andere Position. Das also ist nicht wirklich überzeugend. Hier kann man nur hoffen, dass wenigstens das politische Argument trägt, im Wahljahr dann einen ausgeglichenen Haushalt für das Jahr nach der Wahl anzukündigen oder zu planen, dann würde man wenigstens einmal einen Pflock einschlagen. Aber bei allen Verpflichtungen die Deutschland eingehen musste – auch die Bareinlagen in der ersten Stufe für den ESM, die dann kommt: Das begründet nicht, dass wir keine besseren Haushaltszahlen haben.

SPD und Grüne wollen das Problem anders lösen. Sie wollen hohe Einkommen höher besteuern. Spielraum wäre da, der Spitzensteuersatz ist seit 1998 deutlich gesunken.

SPD und Grüne sind im Bereich der Steuerpolitik eine völlig irrlichternde Truppe. Das kann man gar nicht anders sagen, denn wir haben ein all-time-high der Steuereinnahmen. Wir sehen keine Unterfinanzierung des Staates, wir sind gut ausgestattet. Wir haben ein Steuersystem das zusammen mit dem Transfersystem effektiv von oben nach unten umverteilt, in der Einkommenssteuer die unteren Gruppen kaum noch belastet. Das heißt, es gibt hier überhaupt keinen Grund über Steuererhöhungen nachzudenken. Und all dieser Unfug der, auch leider von Kollegen, zum Teil in die Öffentlichkeit gebracht wird – wir müssen jetzt für Deutschland eine Vermögensabgabe inszenieren – führen in eine Debattenlage, die weder etwas löst, sondern Probleme schafft. Denn es wäre noch fataler für Europa, wenn die deutsche Wirtschaft, wenn die deutsche Volkswirtschaft ihre Stärke verlöre. Und das können wir am besten durch eigene Fehler verursachen. Diese immer wieder wie ein Mantra vorgetragene Notwendigkeit ‚Wir müssen die Steuern erhöhen‘ entbehrt jeder Grundlage. Und ist einfach so billig, dass ich mich immer frage, dass sich da keiner schämt, das so immer wieder zu wiederholen.

Das Interview zum Anhören

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