Die Schuldenkrise in Griechenland geht weiter. Im Interview spricht IW-Direktor Michael Hüther über Fehler der Euroländer, einen möglichen „Grexit“ und die Konsequenzen für die deutschen Steuerzahler.
„Griechische Schuldenkrise belastet Steuerzahler zunächst nicht“
Herr Professor Hüther, ohne Zweifel tragen Griechenland und seine Regierungen die Hauptschuld an der Schuldenkrise. Dennoch, haben nicht auch die Euro-Partnerländer oder die internationalen Gläubiger etwas falsch gemacht?
Das Krisenmanagement begann im Frühjahr 2010 ohne jede Vorbereitung. Es gab in der Eurozone weder erfahrene Institutionen noch erprobte Instrumente. Zugleich war jedes Krisenmanagement regelwidrig. In den europäischen Verträgen sind Haftungsübernahme, Kapitalverkehrskontrolle, Parallelwährung, Austritt und Rauswurf nicht vorgesehen. Vorerst nichts zu tun war deshalb keine überlegene Strategie, wie heute gerne behauptet wird. Es sind Fehler gemacht worden, und zwar insbesondere im Falle Griechenland, wo es um eine existentielle Krise des Staates und nicht „nur“ um eine Korrektur überzogener Verschuldung ging.
Welche Konsequenzen und Lehren sollte die EU aus dem Fall Griechenland ziehen?
Grundsätzlich sollte die Eurogruppe nach der Etablierung des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), der Schärfung der Fiskalregeln (Fiskalvertrag) und der Schaffung der Bankenunion in der Lage sein die Probleme selbst zu lösen. Die Einbindung des IWF und der EZB waren der Not vor fünf Jahren geschuldet, schnell Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit herstellen zu müssen. Der ESM kann die Funktion des IWF übernehmen. Die EZB sollte keine Staatsanleihen von Krisenländern halten. Zudem muss es gelingen die Anpassung in einen längeren zeitlichen Rahmen zu stellen, so wie es im Grundsatz mit der Schuldenrestrukturierung im November 2014 eingeleitet wurde (30 Jahre Laufzeit, subventionierter Zins). Speziell für Griechenland muss aber klar sein, dass ohne Abtretung von Souveränitätsrechten weitere Hilfen nicht darstellbar sind.
Sie hoffen, dass Griechenland seine Schulden mittelfristig selbst bedienen kann. Dennoch sind Hunderte Milliarden Euro erst einmal weg. Wie belastet das die deutschen Steuerzahler?
Kurzfristig und mittelfristig ist der deutsche Steuerzahler nicht belastet. Die Zinsen wurden teilweise auf zehn Jahre gestundet und die Tilgungszahlungen beginnen frühestens nach 2020. Die dann eintretende Belastung hängt davon ab welcher Schuldenschnitt verhandelt wird. Dann erst lassen sich die künftigen Belastungen des Bundeshaushalts absehen. Die öffentlich kursierenden knapp 90 Mrd. Euro sind schon deshalb falsch, weil Verluste über die Bundesbank nicht eins zu eins auf den Bundeshaushalt durchwirken, sondern lediglich über geringere Gewinne, die sich je nach Nutzung von Rücklagen ergeben. Eine Nachschusspflicht des Bundes an die Bundesbank gibt es nicht.
Was sagen Sie zu einem sehr wahrscheinlichen dritten Hilfsprogramm für Athen?
Das ist derzeit völlig offen. Für etwaige Verhandlungen hat die Eurogruppe derzeit kein Mandat. Dieses muss von den nationalen Parlamenten erst neu erteilt werden.
Sollte Griechenland auf jeden Fall im Euroraum gehalten werden?
„Auf jeden Fall“ kann politisch nie als Grundsatz dienen, weil dann die Kosten einer Strategie völlig vernachlässigt werden und man ausbeutbar ist. Deshalb muss der Austritt – wie auch immer organisiert – mit zum Set der politischen Optionen zählen.
Kann Griechenland die Krise besser außerhalb des Euro meistern - mit eigener Währung und damit etwaigen Abwertungsmöglichkeiten?
Ein Austritt Griechenlands ist meines Erachtens nicht die beste und überzeugendste Lösung. Die Wirkung der Abwertung tritt erst sehr verzögert ein, während das Chaos zu Beginn unübersehbare Folgen haben kann. Kurzum: Der Austritt sollte vermieden werden. Er ist aber nicht ausgeschlossen. In jedem Fall aber wird die Europäische Union nicht neutral zuschauen, wenn ein Mitglied zum „failed state“ wird.
Die Griechische Schuldenkrise beherrscht die Schlagzeilen und unsere Welthandelspartner schauen inzwischen mehr mit Sorge als mit Respekt auf Europa. Was ist zu tun, damit auch künftige Generationen in Europa in Wohlstand und Sicherheit leben können?
Europa muss sich nicht wegducken. Andere Weltregionen haben keine geringeren Probleme der politischen Steuerung. Man denke nur an den ewigen Haushaltskonflikt in den USA und die gewaltigen strukturellen Probleme Chinas. Aber richtig ist, dass der Blick konstruktiv nach vorne gerichtet werden muss. Dafür müssen jedoch einige Punkte umgesetzt werden. Erstens: Durch einen Digitalraum Europa einen Binnenmarkt 2.0 schaffen. Zweitens: Durch die neuen Regeln und Institutionen die Währungsunion stabilisieren. Dies schließt eine Weiterentwicklung des ESM zu einem europäischen Währungsfonds ein. Und drittens: Durch eine europäische Verteidigungsgemeinschaft die Union politisch stärken.
Zum Interview auf deutsche-handwerks-zeitung.de
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