Ein großer Niedriglohnsektor und Abstiegsangst der Mittelschicht, gleichzeitig fast Vollbeschäftigung und hohes Wachstum: Wie gerecht ist Deutschland? Ein Streitgespräch zwischen IW-Direktor Michael Hüther und Gustav A. Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
"Es gibt kein Problem mit Altersarmut"
Herr Horn, Herr Hüther, wir haben nahezu Vollbeschäftigung, der Staat macht Milliardenüberschüsse, die Sozialkassen sind voll. Trotzdem kritisieren viele die soziale Lage im Land. Was läuft falsch in Deutschland?
Gustav Horn: Die deutsche Wirtschaft ist in einer relativ guten Verfassung. Aber es gibt immer noch viele Menschen, denen es richtig schlecht geht. Einkommen und Vermögen sind ungerecht verteilt. Diese Probleme muss die Politik adressieren. Wenn sie es nicht tut, werden die Folgen gravierend sein. Bereits heute sind die politischen Verwerfungen groß, die aus der Ungleichheit resultieren.
Michael Hüther: Der Staat unternimmt doch schon eine ganze Menge. Einfach noch mehr umzuverteilen, kann nicht die Lösung sein. In Deutschland hatten wir seit der Wiedervereinigung noch nie so viele Erwerbstätige und so wenige Arbeitslose. Die deutsche Ökonomie hat die globalen Krisen der vergangenen Jahre erstaunlich gut verarbeitet. Die Mittelschicht ist bemerkenswert stabil, die Angst vor einem Jobverlust extrem gering.
Wir haben gar kein Verteilungsproblem?
Hüther: Es ist in jedem Fall nicht so groß, wie es manche machen. Der Staat muss heute viel spezifischer und individueller helfen. Zum Beispiel Kinderarmut: Wenn sich die über mehrere Generationen in einer Familie festsetzt, dann ist das nicht allein ein Geldproblem. Es fehlt an sozialer Einbindung und gesellschaftlicher Teilhabe. Das zu organisieren, ist viel komplizierter als Geld zu verteilen.
Die Einkommen der Arbeitnehmer sind in den vergangenen zehn, 15 Jahren viel langsamer gestiegen als die Einkünfte aus Vermögen und unternehmerischer Tätigkeit. Ist das kein Missverhältnis?
Hüther: Bis 2009 ist die Lohnquote, also der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten Volkseinkommen, gesunken. Aber man darf die Lohnquote nicht isoliert betrachten. Mit ihr ist auch die Arbeitslosigkeit stark gesunken. Das ist allemal besser als umgekehrt. Und zu guter Letzt haben auch Arbeitnehmerhaushalte oft Zinseinnahmen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Horn: Natürlich können real sinkende Löhne theoretisch durch Mieteinnahmen und Zinseinkünfte kompensiert werden. Aber welcher Arbeitnehmer bezieht in relevantem Umfang solche Einnahmen? Hinzu kommt, dass auch die Verteilung der Einkommen ungerechter geworden ist. Herr Ackermann war Angestellter der Deutschen Bank und hat dafür ein Gehalt bekommen. Sein Einkommen hat sich aber sicherlich anders entwickelt als das einer Putzfrau.
Ist ein gewisses Maß an Ungleichheit nicht eine wichtige Triebfeder der Marktwirtschaft?
Horn: Bis vor zehn Jahren war dies quasi Konsens unter den meisten Ökonomen. Aber heute haben wir neuere, bessere Erkenntnisse. Untersuchungen der OECD und des IWF haben ergeben: In einer Volkswirtschaft mit starker Ungleichheit ist das Wachstum schwächer und nicht so stabil. Die wirtschaftliche Dynamik leidet.
Hüther: Diese Studien lassen sich aber nicht so einfach auf Deutschland übertragen.
Horn: Doch, sie gelten weltweit. Auch für Deutschland.
Hüther: Aber Ungleichheit wirkt sich erst bei einem Gini-Koeffizienten von über 0,35 negativ auf das Wachstum aus. (Anm. der Red.: Der Gini-Koeffizient misst die Einkommensverteilung in einem Land. Er kann beliebige Werte zwischen null und eins annehmen. Null bedeutet völlige Gleichverteilung. Eins bedeutet, dass eine einzige Person das ganze Vermögen besitzt.) In Deutschland liegen wir bei 0,29. Im OECD-Vergleich wie auch im europäischen Vergleich stehen wir sehr gut da. Wir haben eines der effektivsten Umverteilungssysteme.
In Deutschland ist die Arbeitslosigkeit stark gesunken. Es sind jedoch viele Jobs entstanden, deren Gehalt kaum reicht, um über die Runden zu kommen.
Hüther: Der Niedriglohnsektor ist zwischen 1997 und 2007 auf etwa 23 Prozent aller Beschäftigten gewachsen. Seit den Hartz-Reformen hat er nicht weiter zugenommen. Aber auch hier bewegt sich etwas: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Minijobs um 100.000 zurückgegangen. Und der sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplatz ist immer noch die Regel und nicht die Ausnahme.
Horn: Gerade an dieser Entwicklung wird deutlich, dass die Unterschicht und Teile der Mittelschicht zurückgefallen sind. Man könnte das alles noch hinnehmen, wenn es eine reelle Chance für einen sozialen Aufstieg gäbe. Aber die Einkommensmobilität hat in Deutschland und anderen Industrienationen abgenommen. Ich bleibe dabei: Unsere Wirtschaft ist insgesamt weniger dynamisch geworden.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Sind die Beschäftigten selbst schuld, dass die Löhne nur wenig steigen?
Horn: Selbstverständlich hätten Gewerkschaften und Arbeitnehmer mehr fordern können. Aber ob sich höhere Forderungen durchsetzen lassen, hängt ganz wesentlich von Rahmenbedingungen in Politik, Wissenschaft, öffentlicher Meinung ab. Und da herrschte jahrelang ein anderer Konsens. Man war der Meinung, dass mehr Ungleichheit den Anreiz erhöht, sich anzustrengen und die Leistungsbereitschaft insgesamt steigt. Deshalb hat die Politik den Arbeitsmarkt stark dereguliert. Nur mittlerweile merkt man, dass das vielleicht der falsche Weg war.
Hüther: Im Gegenteil, die deutschen Arbeitnehmer haben in der schweren Krise 2009 davon profitiert, dass wir eben diese flexiblen Strukturen am Arbeitsmarkt hatten und in den Jahren zuvor die Lohnerhöhungen moderat ausgefallen sind. So wurden bestehende Jobs erhalten und neue geschaffen. Es nützt nichts, wenn Sie hier die große Keule schwingen.
Wenn man Ihnen beiden zuhört, könnte man zum Schluss kommen: Die Debatte ist ideologisch viel zu stark aufgeladen.
Hüther: Natürlich haben wir Ungleichheit in Deutschland, aber sie gehört zu einer Gesellschaft der Freiheit einfach dazu. Wie hoch sie ausfallen darf, ist bei unserem Einkommensniveau am Ende eine rein politische Entscheidung.
Horn: Es ist keine Ideologie, das sind Fakten, die man zur Kenntnis nehmen muss. Zur Freiheit gehört nicht nur Ungleichheit, sondern auch die Freiheit vor sozialer Not. Wenn man ständig an die Existenzsicherung denken muss, ist man nicht frei.
Hüther: Die Sorge um die eigene wirtschaftliche Not ist so gering wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Was kann man gegen den großen Niedriglohnsektor tun?
Horn: Früher haben wir über working poor als ein amerikanisches Phänomen diskutiert, jetzt haben wir es im eigenen Land. Erst mit dem Mindestlohn haben wir etwas dagegen unternommen. Aber das wird nicht reichen: Wir müssen die Machtbalance auf dem Arbeitsmarkt wieder gerechter gestalten. Gewerkschaften müssen wieder die Chance haben, höhere Löhne durchzusetzen. Wenn Unternehmen aber sehr leicht auf Leiharbeit ausweichen können, dann haben Sie als Gewerkschaft das Gefühl, mit einem löchrigen Eimer zu arbeiten.
Hüther: Die siebziger und achtziger Jahre werden immer als Blütezeit des Wohlfahrtsstaates gepriesen. Seitdem sei nur noch abgebaut worden. Nur sehe ich den riesigen Sozialabbau nicht. Richtig ist: Damals wurde keine reine Sozialpolitik betrieben, sondern Gesellschaftspolitik. Es ging nicht allein um den Ausgleich sozialer Härten. Das Ziel war, die Teilhabe an der Gesellschaft zu erhöhen. Dieses Versprechen können wir heute nicht mehr ohne Weiteres erfüllen, wir stehen im globalen Wettbewerb. Andere Länder haben aufgeholt, das können wir nicht ignorieren. Wir müssen beim gegebenen Sozialsystem lernen, mit einem größeren Niedriglohnsektor zu leben.
Horn: Damit behaupten Sie, dass die moderne Zeit automatisch eine Zeit der Ungleichheit ist. Ich behaupte das Gegenteil. Gerade weil die Zeiten so unsicher sind, weil wir im Zeitalter der Globalisierung leben, weil diese Zeit viele Risiken birgt, brauchen wir einen Wohlfahrtstaat, der diese Risiken auffängt. Das ist keine Sehnsucht nach den siebziger Jahren, sondern eine zwingende Notwendigkeit.
Hüther: Wir müssen ihn aber auch bezahlen können.
Besonders stark zeigt sich die Ungleichheit in der Vermögensverteilung. In Deutschland besitzen geschätzt zehn Prozent der Bevölkerung bis zu 60 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Ist das normal für eine soziale Marktwirtschaft?
Hüther: Für Gerechtigkeit gibt es kein Normalitätsmaß. Was gerecht ist und was nicht, ist immer ein Werturteil. In den skandinavischen Ländern, die für viele ja ein Vorbild sind, ist die Vermögensungleichheit noch größer. Die Länder kommen aber ausgesprochen gut damit zurecht. Und in den Vermögensstatistiken werden die Rentenansprüche nicht berücksichtigt. Aber auch das ist faktisch Vermögen. Werden die Rentenansprüche einbezogen, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Deutschland hat eines der am besten ausgebauten Rentensysteme unter den Industrienationen.
Horn: Da gebe ich Ihnen recht. Man kann nicht sagen, wann genau eine Vermögensverteilung gerecht oder optimal ist. Darüber muss die Gesellschaft eine Verabredung treffen. Aber in Deutschland scheuen wir viel stärker als in anderen Ländern davor zurück, Vermögen und Erbschaften zu besteuern. Das verschärft die Ungleichheit im Land.
Muss man immer anderen etwas wegnehmen, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen? Der Staat könnte doch auch dabei helfen, Vermögen aufzubauen.
Horn: Dem einen etwas wegzunehmen, kann dabei helfen, dass am Ende alle mehr haben. Ein Beispiel: Würden die Einnahmen aus einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer in ein besseres Bildungssystem investiert, hätte die gesamte Volkswirtschaft etwas davon, auch die Vermögenden.
Hüther: Ich halte es für populistisch, Bildungsinvestitionen mit einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer zu verknüpfen. Wenn der Wille vorhanden wäre, mehr Geld für Bildung auszugeben, dann wäre das möglich, ohne eine neue Steuer. Die Debatte um die Erbschaftssteuer ist auch völlig verdreht: Wir akzeptieren gerne die hohen Freibeträge bei privaten Erbschaften, aber dort, wo es um die Sicherung eines Betriebes geht, will man die Freiräume stark einschränken. Warum? Wir wollen doch die Arbeitsplätze erhalten.
Horn: Natürlich muss man die Steuer so ansetzen, dass kein Unternehmen in seiner Existenz gefährdet ist. Aber ich sehe da doch viel Luft noch oben – auch bei den privaten Erbschaften.
Die oberen zehn Prozent besitzen sehr viel, die unteren 40 Prozent so gut wie nichts. Dabei sollen alle privat fürs Alter vorsorgen. Die Riesterrente hat hier nicht wirklich funktioniert. Was kann der Staat noch tun?
Hüther: Die Riesterrente ist besser als ihr Ruf. Die Durchschnittsrendite liegt nach Steuern bei 3,5 Prozent. Das ist mehr, als man derzeit am Markt vergleichbar erzielen kann. Wenn Politiker die Riesterrente verteufeln, dann glauben manche, sie müssten morgen ihren Vertrag auflösen. Und das ist das Dümmste, das man tun kann. Die Riesterrente ist und bleibt trotz Reformbedarf – so bei der unsinnigen Garantieregelung – ein wichtiges Element der privaten Altersvorsorge.
Leider schließen aber genau jene, die eine Riesterrente bräuchten, keine ab, weil ihnen dafür das Geld fehlt.
Hüther: Das stimmt nicht. Die Verteilung ist weitaus breiter, als wir denken. Man muss den Menschen nur klarmachen, dass es sich langfristig schon lohnt, wenn ich pro Monat 25 Euro zurücklege.
Horn: Die Riesterrente hat vor allem Vermögen bei den Versicherungsgesellschaften aufgebaut. Sie hat die Versprechen, die mit ihr verbunden waren, nicht erfüllt. Aber in der Tat sollte man deshalb niemandem empfehlen, einen schon bestehenden Vertrag aufzulösen.
Unser größtes Problem ist die gesetzliche Rente: Im europäischen Vergleich haben Geringverdiener in Deutschland die geringsten Rentenansprüche. Wir müssen das Rentensystem zu einer Erwerbstätigenversicherung umbauen. Alle müssen einzahlen – auch die Beamten und Selbstständigen. Das ist sicher kompliziert, aber in Österreich hat es funktioniert.
Hüther: Hat es nicht. Aber davon einmal abgesehen: Wenn auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente einzahlen, werden die demografischen Probleme in Deutschland allenfalls ein wenig in die Zukunft verschoben. Gelöst wird damit nichts, denn deren Ansprüche müssen irgendwann auch bedient werden.
Viele Menschen fürchten, im Alter in die Armut abzugleiten. Ist die Angst berechtigt?
Hüther: In der Vergangenheit wurde hier viel Panik gemacht. Schon heute leben 50 Prozent der Rentner mit Rentenbezügen unter oder auf dem Niveau der Grundsicherung. Gleichwohl erhalten nur drei Prozent eine staatliche Aufstockung. Der Rest lebt mit einem Partner, der eine hohe Rente bezieht oder hat noch andere Einkünfte. Der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums hat einmal berechnet, wie stark der Anteil der Rentner zunehmen wird, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Das Ergebnis: Er steigt von drei auf vier bis fünf Prozent. Das ist sehr wenig und deutlich unter dem Niveau, das wir bereits heute unter den Erwerbstätigen haben. Es gibt kein Problem mit Altersarmut, auch wenn es immer wieder behauptet wird.
Horn: Zwischen der Renten- und der Lohnentwicklung besteht ein direkter Zusammenhang. Wer über Jahre schlecht entlohnt wird, zahlt auch wenig in die Rente ein. Deshalb brauchen wir eine Mindestrente, die in Teilen aus Steuern finanziert wird.
Die eine Seite ist, was die Menschen monatlich an Lohn oder Rente bekommen, die andere Seite ist, was sie für notwendige Dinge ausgeben müssen. Viele Klagen über die aus ihrer Sicht rasant steigenden Mieten.
Hüther: Im Bundesdurchschnitt sind die Einkommen stärker gestiegen als die Mieten. Eine Ausnahme ist Berlin, hier ist die Dynamik bei den Mieten höher als bei den Einkommen. Aber selbst für München gilt das nicht mehr. Ja, in Ballungsgebieten ist es schwierig, eine Wohnung zu finden. Das Problem ist aber nicht primär die Miethöhe, sondern der Mangel an Baufläche, der von den Kommunen bereitgestellt wird.
Viele Menschen meinen, ein Facharbeiter hätte früher ein Haus bauen und eine Familie ernähren können. Heute sei das kaum noch möglich. Stimmt dieser Eindruck?
Hüther: Man darf sich nicht nur von Gefühlen leiten lassen, sondern sollte auf die Fakten schauen. Ich kann diese Entwicklung mit Blick auf unterschiedlichste Indikatoren nicht feststellen. Ein Beispiel: Wer heute 25 Prozent seines verfügbaren Haushaltseinkommens für Miete ausgibt, bekommt durchschnittlich 94 Quadratmeter Wohnfläche, das sind zwei mehr als vor sechs Jahren.
Horn: Ja, es stimmt, bundesweit sind die Mieten nicht so stark gestiegen wie die Einkommen. Die Probleme tauchen aber nicht im Durchschnitt, sondern an den Rändern auf. Einer Familie in München mit geringem Einkommen nützen alle Durchschnittswerte nichts. Sie kann vielleicht in eine billige Gegend am Stadtrand ziehen, muss aber dann in Kauf nehmen, dass sich ihr soziales Umfeld erheblich verschlechtert.
Damit sich die Lebensverhältnisse der unteren Schichten verbessern, wird immer Bildung ins Feld geführt. Von 100 Arbeiterkindern schaffen es aber nur 23 an die Universität. Was machen wir falsch?
Hüther: Wir haben bisher zu wenig in die individuelle Förderung der Kinder investiert. Der Weg von der Schule zur Universität öffnet sich für viele nur, weil sie zu Hause unterstützt werden. Lehrer sollten mehr Zeit bekommen, die Kinder, die einen speziellen Lernplan benötigen, individuell zu fördern. Auch der zweite Bildungsweg muss gestärkt werden. Die Hochschulen haben sich hier nicht sehr kooperativ verhalten.
Horn: Wir haben im Bildungssystem immer noch gravierende Probleme, etwa bei der frühkindlichen Erziehung. Alle Kinder in Deutschland müssen Zugang zu kostenfreien Kindertagesstätten haben. Gerade für Kinder aus einem sozial schwierigen Umfeld ist das sehr wichtig. Das deutsche Bildungssystem ist überdies noch zu sehr auf Selektion getrimmt. Schulen müssen lernen, besser mit Heterogenität umzugehen. Das erfordert teilweise neue pädagogische Konzepte, aber auch mehr Personal.
Wenn Sie sich die soziale Lage in Deutschland insgesamt anschauen: Was ist aus Ihrer Sicht das drängendste Problem?
Horn: Die über Jahre vernachlässigte Integration von Beziehern niedriger Einkommen in Kombination mit der abnehmenden sozialen Mobilität. Dies führt zu ökonomischen und sozialen Verkrustungen, die am Ende auch politische Verwerfungen nach sich ziehen, wie wir gerade in diesen Tagen sehen. Eine bessere Teilhabe der Beschäftigten am wirtschaftlichen Wachstum, ein sozial offeneres Bildungssystem und eine prononcierte Steuerpolitik zur Bekämpfung übermäßiger Ungleichheit wären wünschenswerte Antworten.
Hüther: Das höchste Armutsgefährdungsrisiko haben immer noch Alleinerziehende. Darauf muss durch den Ausbau frühkindlicher Betreuung weiter reagiert werden. Und bedenklich ist die Vererbung von Armut – sogenannte Hartz-IV-Karrieren. Hier muss gezielt mit Sozialarbeit und durch Bildungspolitik interveniert werden.
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