Der geplante Brexit rückt näher, der Handelskrieg zwischen den USA und China schwelt weiter. Das schade der exportorientierten deutschen Industrie, sagt Michael Hüther im Deutschlandfunk. Dem seit 2011 laufenden Aufschwung gehe ein bisschen die Luft aus.
„Die deutsche Wirtschaft hat die Kraft zur Eigenheilung“
Seit 2016 schweben zwei Damoklesschwerter über der europäischen Wirtschaft: Der bevorstehende Brexit und der Protektionismus eines Donald Trumps. Bisher liefen die Geschäfte dennoch blendend, auch für die exportstarke deutsche Wirtschaft. Zuletzt haben viele Konjunkturforscher aber ihre Prognosen für das kommende Jahr herabgesetzt. Heute ist die letzte Studie des Jahres zum Zustand der Wirtschaft erschienen, eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft unter knapp 50 Wirtschaftsverbänden. Und vor dieser Sendung konnte ich den Direktor des Instituts fragen, ob wir angesichts der zahlreichen Risiken langsam auf eine Rezession zusteuern…
Michael Hüther: Es ist nicht der Einstieg in eine rezessive Entwicklung, aber dem sehr lange, ja eigentlich seit 2011 laufenden Aufschwung geht ein bisschen die Luft aus. Das ist nicht ungewöhnlich. Das hat aber auch ein paar Sondergründe und Effekte, die man beispielsweise im dritten Quartal gesehen hat. Die Schrumpfung hat auch was mit der Automobilbranche zu tun, mit dem neuen Prüfungsverfahren, das alles nicht so lief. Insofern greift manches ineinander, wie solche Effekte, und dann die von Ihnen genannten Unsicherheitseffekte, wobei die ja das Problem haben, in ihrer Qualität sich auch zu verändern.
Also Trump bleibt immer unberechenbar. Das hängt jetzt mittlerweile wie so ein Gewitter über uns, wo man die schwarzen Wolken sieht, aber hofft, ziehen sie vorbei, und dann kommen sie doch wieder zurück. Das andere Thema, Brexit, hat einfach über die letzten Quartale mit Blick auf den näherrückenden Termin den Bedarf, auch zu Entscheidungen und Klarheiten zu kommen, an Brisanz gewonnen. Die Briten gehen ja in volles Risiko, und damit belasten sie auch andere, wenn das so kommt, wie es im Augenblick aussieht, dass es keine Mehrheit im Unterhaus für diesen jetzt vorliegenden Deal gibt. Insofern haben sich die Dinge an der Stelle doch deutlich verschärft.
Investitionen und Beschäftigung steigen weiter
Die letzte Krise der Weltwirtschaft hat Deutschland ja vergleichsweise gut weggesteckt. Kann das noch mal gelingen?
Hüther: Na ja, die Ausgangssituation für die deutsche Wirtschaft bleibt auch unverändert gut. Das zeigt auch unsere Verbandsumfrage. Wir haben ja auf der einen Seite dieses Bild der deutlichen Stimmungseintrübung, also bei den Industriebranchen durchweg. Auf der anderen Seite aber ist das Bild für das Investieren und für den Beschäftigungsaufbau nahezu wie vor einem Jahr und wie auch schon das Jahr davor. Was darin liegt an Aussage, ist, dass es offensichtlich bei Investieren und beim Arbeitsplatzbau eine Entkopplung von, sagen wir mal, leichteren konjunkturellen Schwankungen gibt, denn wir müssen heute permanent innovativ sein, das heißt, innovative Anstrengungen unternehmen. Das ist nicht mal so nach dem Motto, machen wir mal, und dann reicht es für eine Zeit.
Man muss im Rahmen der digitalen Transformation permanent investieren in Infrastruktur, in neue Systeme, in Plattformen, wie auch immer. Auf der anderen Seite ist der Bedarf an Fachkräften weiterhin hoch. Die Unternehmen sehen den Fachkräftemangel, sie sehen die Alterung der Belegschaft, sodass von daher dieser angebotsseitige Prozess, also investieren und Beschäftigung, relativ robust ist, auch deutlich in das Jahr 2019 hinein und uns auch dann davor bewahrt vor einer schweren Krise, auf der anderen Seite aber auch zeigt, dass die deutsche Wirtschaft eine Eigenheilungskraft hat.
Wichtige Branchen wie die Metall- und die Autoindustrie, Sie haben es angesprochen, aber auch die boomende Baubranche, das Handwerk, wollen die Zahl der Mitarbeiter steigern im kommenden Jahr. Gibt der Arbeitsmarkt das überhaupt noch her?
Fachkräftemangel bleibt akut
Hüther: Na ja, wir müssen sehen, wir haben ja mittlerweile bei den 25- bis 64-jährigen, prinzipiell erwerbsfähigen Personen in Deutschland eine Integration in Beschäftigung von 80 Prozent. Im Jahr 2000 lag die bei deutlich unter 70 Prozent und wir haben an vielen Stellen einen historischen Höchststand. Nehmen Sie mal die Elektroindustrie: die hat knapp 890.000 Beschäftigte. Das ist der höchste Stand seit 1996. Wir haben beispielsweise in der Chemie gegenüber dem Tiefstand nach der Krise 2010 einen Zuwachs von 45.000 auf über 460.000. Das heißt also, in den Industriebranchen, wo man unabhängig von der Krise Anfang der 2000er-Jahre gedacht hat, na ja, das wird eher ein abnehmender Trend sein, die Deindustrialisierung setzt sich fort – all das bewahrheitet sich nicht. Insofern ist die Frage, wo kriegt man die Fachkräfte her, schon eine berechtigte. Das Fachkräftezuwanderungsgesetz, das jetzt ja vom Kabinett beschlossen wurde, ist ein wichtiges Signal, hier mehr Offenheit zu haben und mehr auch Arbeitsmarktorientierung hineinzubringen.
Das gilt ja nur vorläufig erst mal für zwei Jahre, zweieinhalb, wenn es in Kraft tritt. Ist das mutig genug, dieses Gesetz?
Hüther: Nein, es ist nicht wirklich mutig genug, was den Teil angeht. In der Gesamtstruktur ist es mutig, weil es wirklich ein Schritt nach vorne ist. Man muss ja immer sehen, die Union ist als Partei dem Thema nicht wirklich gut aufgestellt. Sie ist mit Ängsten ausgestattet. Sie hat vor allen Dingen auch Angst vor dem Rechtsausleger. Die AfD hat ja auch dort Einfluss, wo sie nicht selbst mitwirkt, aber einfach als Kulisse mit im Raum ist, und das schwächt hier auch den Mut. Das ist sicherlich nicht klug, denn wir sehen ja gerade, dass beispielsweise seit 2012 der Beschäftigungsaufbau vor allen Dingen schon durch Zuwanderung aus Europa noch gelungen ist. Also das Fachkräfteversorgungsthema ist virulent.
Besonders pessimistisch blickt aktuell die Industrie in die Zukunft, optimistisch Baubranche und Handwerk. Entwickeln sich die beiden Säulen exportorientierte Wirtschaft und binnenkonsumgetriebene Wirtschaft da auseinander?
Baubranche profitiert von Investitionen in die Infrastruktur
Hüther: Das scheint so. Die Industriebranchen – Sie haben es erwähnt – haben durch die Bank wirklich den Wechsel von gut zu schlecht, was die Erwartungen für die nächsten 12 Monate zum Jahreswechsel angeht. Die sind auf den internationalen Märkten zu Hause, spüren das am ehesten, merken natürlich schon auch den Sand, der im Getriebe drin ist durch den Konflikt beispielsweise, den Trump mit China inszeniert. Auf der anderen Seite gilt aber auch für die Branchen, dass sie beim Investieren robust bleiben oder sogar mehr investieren. Beim Bau haben wir nun in der Tat die Situation einer rein binnenwirtschaftlichen Erklärung. Wir haben Bedarf an Wohnungsbau, wir haben Bedarf an Infrastrukturinvestitionen im Straßen- und Tiefbau, Brückenbau und all diese Dinge. Das findet statt. Also aus zwei Quellen wird das getragen. Also insofern sind das auch eigene Erklärungsmuster. Natürlich ist der Bau auch vom Gewerbebau mitgetragen. Wenn die Unternehmen investieren, ist er da auch positiv betroffen. Das ist im Augenblick etwas, was nicht kurzfristig scheinbar wegbricht.
Sie haben eingangs die Automobilbranche erwähnt wegen des Einbruchs in der Branche wegen der neuen Abgasprüfnorm, ist auch im dritten Quartal die gesamtwirtschaftliche Leistung zurückgegangen. Wie gefährlich ist denn die anhaltende Krise und auch die Transformation in dieser Branche für die deutsche Wirtschaft insgesamt?
Automobilbranche steht vor Herausforderungen
Hüther: Die Automobilbranche ist schon von hohem Gewicht, gar keine Frage. Sie ist auch eine Leitbranche, sie ist eine innovationsstarke Branche, und insofern ist ein epidemisches Problem dort auch ein volkswirtschaftliches relativ schnell. Im Augenblick haben wir so eine Mischung von Problemen: Wir haben Übergangsprobleme, wie diese Messkonzepte, wir haben Dieselgate als selbstverschuldetes Reputations- und Kommunikationsdesaster der Automobilbranche, wir haben auf der anderen Seite eine Klimaschutzpolitik, die sie zu überfordern droht, wir haben dann den digitalen Wandel, von dem noch nicht ganz klar ist, wie das in der Arbeitsteilung ist: Wer macht die Maschinen oder wer baut das Gehäuse, und wer geht mit den Daten wie um, und welche Informationen entstehen wo, was letztlich dann auch die Wertschöpfung für sich sichert. Schließlich haben wir dann noch die Energiewende, also die anderen Antriebstechniken, die im Raume stehen. Insofern ist es eine Branche, die umfassend unter Druck steht, und das erfordert jetzt schon viel und kluge Managementkompetenz und vor allen Dingen auch klare Kommunikation. Da würde man sich doch mehr wünschen, denn ein paar der Fragen wie, wohin führt die Veränderung der Antriebstechniken, was heißt digitale Transformation, die sind nicht morgen einfach beantwortet.
Bleibt Deutschland Automobilstandort?
Hüther: Deutschland ist Automobilstandort, wird es auch bleiben, weil die Entwicklungsleistungen hier im Wesentlichen erbracht werden und wir gar nicht von hier aus die Welt bedienen könnten, das ist ja gar nicht möglich bei den Absatzzahlen, die heute realisiert werden gegenüber vor 30 Jahren, und da muss man auch marktnah sein. Man muss in den USA sein, man muss in China sein, und entsprechend gibt es eine Arbeitsteilung dort, aber wenn wir hier die Standorte nicht aus anderen Gründen gefährden, gibt es eigentlich keinen Grund dafür, nicht weiterhin Deutschlands Automobilstandort zu sehen.
Zum Interview auf deutschlandfunk.de.
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