1. Home
  2. Presse
  3. Deutsche Konjunktur: „30 Prozent Rezessionsrisiko”
Zeige Bild in Lightbox
IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther in der Wirtschaftswoche Interview 10. Februar 2020

Deutsche Konjunktur: „30 Prozent Rezessionsrisiko”

Die Wirtschaft fühlt sich angesichts der großen Strukturumbrüche – De-Karbonisierung, Klimapolitik, digitale Transformation – von der Politik etwas allein gelassen, sagt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit der Wirtschaftswoche.

Herr Hüther, Deutschland ist 2019 haarscharf an einer Rezession vorbeigeschrammt, zuletzt aber zeigten einige Frühindikatoren wieder nach oben. Wie geht es der deutschen Wirtschaft wirklich?

Wir erleben eine Phase der großen Unsicherheit und des rezessiven Flackerns, die das ganze Jahr über anhalten dürfte. Gleichwohl glaube ich nicht an einen Absturz der Konjunktur. Der Konsum ist stabil, das kann Probleme im Export kompensieren. Insgesamt dürfte die deutsche Wirtschaft 2020 mäßig zulegen, und zwar um rund 0,5 Prozent...

... und damit weniger als die Euro-Zone insgesamt. Verliert Deutschland seinen Nimbus als Konjunkturlokomotive Europas?

Die Gefahr besteht. Wir haben an Dynamik verloren – und noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie wir Dynamik zurückgewinnen können.

Könnte die Ausbreitung des Coronavirus das Wachstum in Deutschland drücken? Bei unserem Handelspartner China drohen ja empfindliche Einbußen der Wirtschaftsleistung. Und niemand weiß, wie lange das Virus die Welt noch in Atem hält.

Da die Ausmaße dieser Erkrankungswelle noch nicht absehbar sind und sowieso viel Unsicherheit bei dem Thema herrscht, traue ich mir hier keine fundierte Antwort zu.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass es 2020 doch zu einer Rezession in Deutschland kommt?

Die Wahrscheinlichkeit liegt bei nur rund 30 Prozent. Nötig für eine negativere Prognose wäre eine selbstverstärkende ökonomische Mechanik in der Volkswirtschaft, dass also Unternehmen permanent Vertrauen verlieren und sich die Angst durch alle Sektoren frisst. Die sehe ich hierzulande so noch nicht. Die größten Risikofaktoren sind exogener Natur, etwa die globalen Handelskonflikte.

Der GAU für die deutsche Exportwirtschaft wären Autozölle der USA. Könnte es passieren, dass US-Präsident Donald Trump morgens schlecht gelaunt aufwacht und per Twitter einen 25-Prozent-Zoll auf deutsche Autoimporte verkündet?

Bei Trump ist so ziemlich alles denkbar. Selbst seine eigenen Leute wissen ja offenbar abends nicht, was der Präsident morgens verkündet oder des Nachts twittert. Die Autozölle sind aktuell zwar ausgesetzt, können aber jederzeit wieder auf die Agenda kommen. Ich glaube allerdings, dass Trump zumindest vor den Präsidentschaftswahlen im November keinen großen Konflikt mit Europa wagen wird – und wagen kann. Denn die möglichen Gegenmaßnahmen der EU, etwa im Agrarbereich, würden Trumps Wählerklientel empfindlich treffen.

Von Ludwig Erhard ist der Satz überliefert, Wirtschaft sei zu 50 Prozent Psychologie. Wie ist denn aktuell die Seelenlage in den Führungsetagen der Wirtschaft?

Die Wirtschaft fühlt sich angesichts der großen Strukturumbrüche – De-Karbonisierung, Klimapolitik, digitale Transformation – von der Politik etwas allein gelassen. Die Bundesregierung wird primär als politisch gelähmt wahrgenommen. Leider tut insbesondere die Bundeskanzlerin wenig, diesen Eindruck zu revidieren; sie scheint an Wirtschaftsfragen nicht mehr interessiert zu sein. Angesichts der Berliner Reformmüdigkeit mache ich mir weniger Sorgen um die aktuelle Konjunktur als um unseren langfristigen Wachstumstrend.

Es gibt ein Segment der Volkswirtschaft, das sich vom Abschwung bislang unbeeindruckt zeigt – der Arbeitsmarkt. Wird das 2020 so bleiben?

Im Prinzip ja. Der Arbeitsmarkt ist – auch wegen des Fachkräftemangels – robuster als in früheren konjunkturellen Schwächephasen. Er wird uns 2020 nicht wegbrechen. Es wird bei der Beschäftigung allerdings auch keine großen Zuwächse mehr geben, abgesehen vielleicht von der Bauwirtschaft. Im November hat es etwa in der Metall- und Elektroindustrie erstmals seit Langem einen Rückgang gegeben. Das zeigt: Der scheinbar endlose Boom ist vorbei.

Zum Interview auf wiwo.de

Mehr zum Thema

Artikel lesen
Computerprogrammierer arbeitet an neuem Softwareprogramm.
Stefanie Seele IW-Kurzbericht Nr. 39 24. Juni 2024

Trotz schwacher Konjunktur: Betriebe möchten teils mehr Personal einstellen

Jeder achte Betrieb plant, die Beschäftigung auszubauen, obwohl ein gleichbleibendes oder sogar sinkendes Produktionsniveau erwartet wird. Das offenbart die IW-Konjunkturumfrage im Frühjahr 2024.

IW

Artikel lesen
Michael Grömling / Stefanie Seele IW-Report Nr. 27 21. Mai 2024

Determinanten der Personalplanung in Deutschland

Der deutsche Arbeitsmarkt ist seit dem Jahr 2005 auf Wachstumskurs. Eine Ausnahme bildet die Corona-Delle zwischen 2020 und 2022. Schon im Jahr 2023 erreichte der deutsche Arbeitsmarkt die neue Rekordmarke von fast 46 Millionen Erwerbstätigen.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880