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IW-Wissenschaftsleiter Hubertus Bardt
Hubertus Bardt in der Beilage der Neuen Osnabrücker Zeitung Wirtschaftskreuz Nord-West Interview 25. Juni 2020

Wie kommt der Nord-Westen durch die Zeit der Krise?

Etwa jedes siebte Unternehmen klage über Störungen in der Lieferkette. Die Politik habe aber die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Das Konjunkturprogramm der großen Koalition sei vernünftig konzipiert, sagt IW-Wissenschaftsleiter Hubertus Bardt in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Die Region ist stolz auf ihren erfolgreichen Mittelstand. Wie schlagen sich die Unternehmen in der Krise?

Wir sehen, dass die Unternehmen extrem betroffen sind. Etwa zwei Drittel von ihnen sehen sich stark durch die Wirtschaftskrise beeinträchtigt. Eine Ausnahme bildet hier nur die Bauwirtschaft. Es ist aber noch offen, ob in den nächsten Monaten auch im Bau Aufträge wegfallen, weil Unternehmen weniger investieren.

Welche Branchen stehen unter Druck, wo gibt es Corona-Profiteure?

Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor sind durch die Verbote besonders stark eingeschränkt. Dazu gehören beispielsweise Kinos, jede Art von Großveranstaltungen, der gesamte Messebau und die Unterhaltungsbranche. In der Industrie sind vor allen Dingen die Autobauer betroffen. Außerdem Chemieunternehmen mit Produkten für den Automobilbau. Im Flugzeugbau dürfte die Schwächephase wohl länger andauern. Die Autobranche wird sich erholen, auch wenn das nun schwieriger ist, als mit einer Förderung für Verbrenner. Die Unternehmen werden nicht untergehen. Allerdings stehen sie mit dem Wechsel zur Elektromobilität vor riesigen Herausforderungen. Die Modernisierung kostet Geld und das fehlt im Moment. Die Unternehmen robben sich Schritt für Schritt zurück an den Markt. Die Frage ist, wann die Kunden zurückkommen.
Die Corona-Profiteure kann man an zwei Fingern abzählen. Das sind Softwareunternehmen, Spezialisten für Digitalisierung, für Medizintechnik und natürlich der Onlinehandel. Letzteres ist strukturell sehr problematisch für unsere Innenstädte. Die Lebensmittelbranche ist relativ ungeschoren davongekommen. Ich betrachte sie aber nicht als Profiteur der Krise.

Wie steht es um die Autozulieferer?

Kurzfristig hängen die Zulieferer am Erfolg der Hersteller und damit an der Nachfrage der Kunden. Wenn die Autokäufer schnell zurückkommen, kann die Krise überwunden werden. Die große Herausforderung bleibt der Umstieg auf elektrische Antriebe. Für die Zulieferer hängt es sehr davon ab, wie gut sie es schaffen, sich auf die Elektromobilität einzustellen und wie bedeutsam die Veränderungen für das eigene Geschäft sind. Wenn ein Unternehmen Airbags herstellt, ist es egal, in welches Fahrzeug die später eingebaut werden. Anders sieht das im Motorenbau aus.  Für Hersteller von Motorteilen wird der Wandel schwerer zu bewältigen sein. Durch die Krise ist die Herausforderung größer geworden, weil die Mittel für die Innovationen und Modernisierungsinvestitionen verloren gehen. Die staatlichen Förderprogramme stärken vor allem die Unternehmen, die in Sachen Elektromobilität bereits gut aufgestellt waren.

Sind die Lieferketten gefährdet? Sehen wir das Ende der ungebremsten Globalisierung? Was bedeutet das für die Wirtschaft in der Region?

Wenn die Globalisierung nachhaltig gestört wird, ist das für das deutsche Geschäftsmodell ein großes Problem. Besonders auch für den erfolgreichen deutschen Mittelstand. Es gab große Störungen in den globalen Lieferketten, inzwischen werden die internationalen Netzwerke aber wieder in Gang gesetzt. Die Globalisierung war über Jahrzehnte ein starker Wohlstandstreiber. Regionalisierung, Diversifizierung und Produktion im Inland stellen die internationale Arbeitsteilung in Frage. Auch verstärkte Vorratshaltung ist teuer und kann nicht für alle Eventualitäten vorsorgen. Letztlich gibt keine allumfassende Sicherheit, dass immer alle Lieferbeziehungen funktionieren. Und in der Krise ist es eigentlich ganz gut gelungen, nach kurzer Zeit wieder schnell und flexibel zu produzieren. Die Unternehmen haben schnell reagiert. Aktuell sehe ich die Unternehmen nicht nachhaltig durch Störungen in der globalen Lieferkette gefährdet. Selbstverständlich sind sie betroffen, etwa jedes siebte Unternehmen sogar stark. Wir haben es aber auch mit einer weltweiten Epidemie zu tun, da ist das nicht überraschend. Und die Effekte sind rückläufig, die Ketten laufen wieder an.

Die Zahlen im Bereich der Kurzarbeit sind stark gestiegen. Ist sie ein geeignetes Mittel, die Krise abzudämpfen?
 

Absolut, die Kurzarbeit ist ein ganz wichtiges Mittel. Für die Betroffenen, weil sie ihren Arbeitsplatz behalten. Für die Unternehmen, weil sie hilft, Entlassungen zu vermeiden. Das Personal bleibt erhalten, das ist wichtig um nach der Krise schnell wieder starten zu können. Auch die Einkommensverluste sind nicht so groß, die Kaufzurückhaltung wird etwas gedämpft.

Wie hat sich die Arbeitslosigkeit in der Region entwickelt? Rechnen Sie mit einer zeitnahen Entspannung am Arbeitsmarkt?

Für das laufende Jahr rechnen wir mit steigenden Arbeitslosenzahlen. Die Kurzarbeit hat ihren Höhepunkt aber bereits überschritten. Anders als von manchen befürchtet gibt es auch keinen millionenfachen Wechsel von der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit. Im Mai hatten wir dennoch 500.000 Arbeitslose mehr als im Vorjahr. Die Kurzarbeit wurde durch die Unternehmen stark in Anspruch genommen. Auf dem Peak gab es in Deutschland 7,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, das ist jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Es war ein beispielloser Einbruch. Aufs Jahr gerechnet, erwarten wir für ganz Deutschland einen Rückgang bei der Zahl der Beschäftigten um eine halbe Million; die Zahl der registrierten Arbeitslosen wird um 400.000 ansteigen. Der Abbau der Arbeitslosigkeit wird erst in 2021 beginnen.

Sind mehr Unternehmen von Insolvenzgefahr bedroht?

Die massiven Hilfsprogramme auf Bundes und Landesebene sollten diese Gefahr nach Möglichkeit verringern. Es gab Kredite und Steuerstundungen, die Pflicht zur Insolvenzanmeldung wurde ausgesetzt. Durch die jüngsten Programme werden die Unternehmen nochmals gestärkt, weil nun nicht nur Kredite zur Verfügung stehen sondern auch Zuschüsse möglich sind. Wir hoffen deshalb, dass sich die Insolvenzen in Grenzen halten werden. Unternehmen, die vor der Krise ein gutes Geschäft hatten, sollten überleben. Besonders groß ist die Gefahr allerdings in der Gastronomie und bei all denen, denen das Geschäft derzeit faktisch untersagt .

Vielfach ist zu hören, dass die Krise längst fällige Entwicklungen beschleunige, besonders im Bereich der Digitalisierung. Sehen Sie hier Chancen für den Nord-Westen?

Niedersachsen ist ein Land der weiten Wege, da helfen Videokonferenzen auch in der Zukunft. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Technik zur Verfügung steht. Jedenfalls hat man in der Krise viel darüber gelernt, was geht. Man hat das jetzt wochenlang jeden Tag praktiziert. Das trifft auch auf die vielen Hidden Champions im Land zu. Deren After Sales funktionierte, auch ohne dass man direkt vor Ort war. Die gewachsene Akzeptanz gegenüber der Digitalisierung hilft im Transformationsprozess. Allerdings müssen sich die Unternehmen ein Stück weit neu erfinden. Ich bin überzeugt davon, dass letztlich Chancen aus dieser Transformation erwachsen. Wir wissen, dass Innovation oft durch Kooperation auf regionaler Ebene entsteht. Mit der digitalen Technik kann ich mich auch überregional vernetzen und finde mehr potentielle Partner.

Bahnt sich ein Paradigmenwechsel beim Mobilitäts- und Reiseverhalten der Deutschen an?

Sicher wird jetzt mancher Inlandsflug durch technische Kommunikationsmittel ersetzt. Auch das mobile Arbeiten wird dauerhaft zu nehmen, in der Folge werden wir weniger Verkehr durch Pendler haben.  Dass aber nun alle aufs Fahrrad umsteigen und Urlaub im Inland machen, daran glaube ich nicht.

Bund und Land schütten das Füllhorn über die Unternehmen aus. Sind die Hilfen sinnvoll konzipiert, werden sie die gewünschte Wirkung entfalten?

Das Konjunkturprogramm der großen Koalition ist vernünftig konzipiert. Ich halte die Hilfen für sinnvoll. Für ein zügiges Wideranfahren der Autoindustrie als Schlüsselindustrie in Deutschland wäre eine breiter Kaufförderung hilfreich gewesen. Natürlich gibt es in solch einem Programm immer Probleme wie Umsetzungsprobleme oder Mitnahmeeffekt. Die Diskussion darüber verfällt aber teilweise in kleinliche Scharmützel. Das finde ich in der gegenwärtigen Situation nicht angemessen. Jetzt muss zügig gehandelt werden, und das tut die Bundesregierung.

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