Es wird viel darüber diskutiert, ob Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit zusammenpassen. 2015 haben 195 Staaten in Paris das Ziel definiert, die Erderwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Die EU strebt an, bis 2050 klimaneutral zu werden, Deutschland schon fünf Jahre früher. Gefährdet unser wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem diese Ziele? IW-Ökonom Dominik Enste erklärt im Interview mit der Nürnberger Zeitung, wie Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit zusammenpassen.
„Mit staatlichen Verboten lässt sich das Klima nicht retten”
Herr Prof. Enste, geht das menschliche Streben nach Wohlstand zwangsläufig nur auf Kosten von Natur und Umwelt, wie Kritiker einer als neoliberal bezeichneten Wirtschaftsordnung behaupten?
Nein – im Gegenteil. Anders als vielfach vermutet, gehören Wirtschaft und Ethik, Markt und Moral beziehungsweise Nachhaltigkeit und Wachstum zusammen und können sie ergänzen. Die Welt, in der wir heute leben, ist in fast allen Lebensbereichen deutlich besser als früher: Die Lebenserwartung ist Dank mehr Wohlstand, technischem Fortschritt und Wettbewerb zwischen Forschern und Nationen um bessere Lebensbedingungen weltweit deutlich gestiegen. Die rund acht Milliarden Menschen können überhaupt nur ernährt werden, weil es durch geringere Ressourcenverschwendung und mehr Nachhaltigkeit bei der Produktion von Nahrung und Kleidung effizienter zugeht. Und mit Innovationen und entsprechenden Anreizen für mehr Nachhaltigkeit geht das zukünftig noch klimaschonender.
Die Wirtschaft muss wachsen, damit der Wohlstand wächst – stimmt dieser Satz in seiner Einfachheit? Und wenn ja, werden wir dann alle weniger wohlhabend, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst?
Es gibt verschiedene Formen des Wachstums. Mehr Dienstleistungen wie Beratung, Gesundheitsvorsorge oder auch besseres Management von knappen Ressourcen, verbrauchen keine Natur und zerstören nicht die Umwelt. Nachhaltiges Wachstum ist das sinnvolle Ziel, das Wohlstand und Klimaschutz verbindet. Diese Idee stammt übrigens schon aus dem Jahr 1713, nach der die deutsche Forstwirtschaft gestaltet wurde, um auch zukünftigen Generationen einen Waldspaziergang und die Holzwirtschaft zu ermöglichen. Die Idee war nur in den Nachkriegsjahren, als es um das Überleben und einen bescheidenen Wohlstand für alle ging, etwas in Vergessenheit geraten und erlebt nun weltweit eine Renaissance. Wenn der Umweltverbrauch etwas kostet, wie durch die CO2-Steuer beziehungsweise Umweltzertifikate bereits umgesetzt, gibt es Anreize für Unternehmen und Verbraucher, CO2 zu sparen und neue Technologien zu entwickeln. Das führt auch zu Wachstum, aber eben zu ressourcenschonenden Wachstum.
Globalisierung hat mehr Vor- als Nachteile
Die Globalisierung habe die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht, heißt es. Stimmt dieses Narrativ der Globalisierungskritiker?
Nein. Die Armen sind nicht ärmer geworden. Der Anteil der Menschen, die in extremer Armut – also von weniger als umgerechnet 1,90 Doller pro Tag – leben müssen, ist weltweit in den letzten Jahrzehnten dramatisch gesunken. Der Rückgang wurde leider durch Corona gestoppt. Aber zuvor haben vor allem Länder, die in den weltweiten Handel und die Globalisierung gut eingebunden sind, durch deutliche Einkommenssteigerungen profitiert – wie beispielsweise China und andere asiatische Staaten. Es leiden genau die Länder unter anderem im subsaharischen Afrika, die nicht in die globalen Lieferströme eingebunden sind. Allerdings ist die relative Einkommensungleichheit in Ländern ohne funktionierende Soziale Marktwirtschaft, wie wir sie in Deutschland haben, angestiegen: Gut ausgebildete Menschen profitieren mehr vom weltweiten Waren- und Dienstleistungsaustausch als weniger gut gebildete, und deren Einkommen steigen deshalb schneller. Dennoch hat die Globalisierung für alle, die mitmachen, deutlich mehr Vor- als Nachteile. Aber über die Nachteile spricht man öfter. Denn Verbesserungsbedarf gibt es immer. Sei es bei der noch nachhaltigeren Gestaltung der weltweiten Lieferketten oder der Verbesserung der Chancen von ärmeren Ländern.
Weniger Fleisch essen, weniger Autofahren, weniger mit dem Flugzeug fliegen – ist Verzicht auf Wohlstands- und Wachstumserrungenschaften das Mittel der Wahl, um nachhaltig zu leben? Oder wird von jenen, die das fordern, der Wachstumsbegriff nur falsch verstanden?
Grundsätzlich können Menschen in den Industriestaaten versuchen, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Aber die meisten Menschen – rund 85 Prozent der Weltbevölkerung leben von weniger als 30 Dollar pro Tag – möchten sich gerne mehr leisten und wünschen sich mehr Wachstum und Wohlstand. Mit Innovationen kann dies nachhaltiger gelingen. Übrigens: Am klimaschädlichsten ist das Fliegen. Alles andere ist deutlich weniger schädlich und Verzicht weniger sinnvoll. Spannend ist, welche Bevölkerungsgruppe vor Corona besonders häufig geflogen ist: Unsere Studie zeigt, das gerade diejenigen, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen, am häufigsten ins Flugzeug steigen.
Die Soziale Marktwirtschaft hat Deutschland wohlhabend gemacht. Ist unser Wirtschaftsmodell auch geeignet, Wohlstand und Nachhaltigkeit gleichzeitig zu ermöglichen – und warum?
Ja. Denn die Soziale Marktwirtschaft verbindet den sozialen Ausgleich der heute lebenden Menschen zugleich mit den Ansprüchen der zukünftigen Generationen. Dies haben wir kürzlich auch empirisch nachgewiesen: Gestützt auf international vergleichende Daten zeigt unsere Analyse von Anfang Dezember 2021, dass das deutsche Wirtschaftsordnungsmodell der „Sozialen Marktwirtschaft“ eine gute Ausgangsposition bietet, um den Strukturwandel hin zu einer ressourcenschonenderen Produktion erfolgreich zu meistern. Bei einem internationalen Vergleich der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für 164 Länder rangiert Deutschland im Hinblick auf die Erreichung der Ziele Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf Rang vier und hat sich bei 15 der 17 Ziele auf hohem Niveau 2021 sogar noch weiter verbessert. Zwischen sozialer Gerechtigkeit und einem freiheitlichen Ordnungsrahmen gibt es dabei einen positiven Zusammenhang. Zudem zeigt sich, dass Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in der Regel Hand in Hand gehen: Mit Ausnahme der USA bieten Länder, die über einen hohen materiellen Wohlstand verfügen, zugleich mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Auch diesbezüglich hat Deutschland in der vergangenen Dekade den größten Fortschritt aller verglichenen Länder aufzuweisen.
Mit staatlichen Verboten lässt sich das Klima nicht retten
Seit dem 1. Januar 2021 wird auf Heizöl, Gas und Kraftstoffe zusätzlich zu Steuern und bisherigen Abgaben ein CO2-Preis verlangt, der mit Beginn des neuen Jahres von 25 auf 30 Euro pro Tonne erhöht wurde. Ist der CO2-Preis das richtige staatliche Steuerungsinstrument, um eine soziale Marktwirtschaft klimaneutral zu machen?
Schon die Gründungsväter der Sozialen Marktwirtschaft haben 1945 gefordert, dass diese sogenannten negativen externen Effekte - also die Umweltverschmutzung - in die Preise mit eingerechnet werden müssen. So muss der für die Umweltschädigung bezahlen, der sie verursacht. Wer mit dem Rad in die City fährt, zahlt weniger als der Autofahrer. Ökonomisch sind Umweltzertifikate noch besser als eine CO2-Steuer; aber grundsätzlich kann man über solche Anreize die Umwelt schützen. Aber zusätzlich sind Innovationen erforderlich, die dafür sorgen, dass Menschen den Klimaschutz sich auch leisten können und wollen. Außerdem können Informationen über die weniger klimaschädlichen Produkte für mehr Klimaschutz im Alltag sorgen. Wichtig ist, dass Klimaschutz nicht nur mit Verzicht in Verbindung gebracht wird, sondern sogar Spaß machen darf!
Deutschland hat sich das Ziel gegeben, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden, die EU bis 2050. Begeben wir uns damit nicht in einen selbstgewählten wirtschaftlichen Wettbewerbsnachteil, etwa im Verhältnis zu China?
In der Tat scheinen wir zu erwarten, dass die Welt am deutschen Wesen „genesen“ wird. Das wird aber nur funktionieren, wenn Deutschland ein echtes Vorbild wird. Also ein Land bleibt, in dem die Menschen gerne leben, glücklich sind – trotz oder besser gerade wegen mehr Klimaschutz. Made in Germany wird nur dann ein Gütesiegel bleiben, wenn Klimaschutz als Innovationstreiber fungiert und es gelingt, soziale, ökonomische und ökologische Ziele gleichzeitig zu erfüllen.
Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP will „die ökonomische Stärke“ Deutschlands und Europas „angesichts eines verschärften globalen Wettbewerbs neu begründen“ – so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Welche Weichen muss die neue Ampel-Regierung stellen, um dieses Ziel zu erreichen?
Die Frage führt zum Anfang des Interviews zurück: Wir brauchen Maßnahmen, die Wirtschaft und Ethik zusammenführen und nicht den vermeintlichen Gegensatz betonen. Wachstum, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit können dabei umso besser gesichert werden, je verlässlicher der politische Ordnungsrahmen ist. Wir brauchen dafür zum Beispiel gleiche Bedingungen für die Produktion, damit die Industrie nicht einfach nach China abwandert, da dies dem Klima nicht hilft – zum Beispiel mit einem Zoll auf CO2-intensive Produkte aus dem Ausland. Außerdem müssen alle drei Ziele gleich gewichtet werden. Das heißt, der Klimaschutz sollte nicht wichtiger sein als sozialer Ausgleich oder die Wachstumsbasis, die wir brauchen, um die beiden andere Ziele zu erreichen. Wichtig ist zudem, marktwirtschaftliche Anreize zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien zu setzen.
Wird ihr das gelingen?
Ja, wenn es gelingt, wie unter der letzten rot-grünen Regierung mit der Agenda 2010, die Probleme ideologiefrei anzugehen und wissenschaftlich fundiert zu lösen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Akteuren in Berlin sind dabei noch recht groß. Bleibt zu hoffen, dass auch die Klimaaktivisten offen für freiheitliche, innovative Lösungen sind. Mit staatlichen Verboten wie bei Corona lässt sich das Klima nicht retten. Dafür ist Deutschland viel zu klein und bedeutend was die Umweltverschmutzung betrifft. Mit Mut, Kreativität und deutscher Ingenieurskunst ist nachhaltiges Wachstum möglich. Und durch weltweiten Handel können alle davon profitieren. Und am wichtigsten ist: Umweltschutz darf Spaß machen. Kindern zu sagen, dass sie bei jedem Ausatmen das Klima zerstören oder das Coronavirus verbreiten, mag zwar stimmen, hilft aber nicht bei der Lösung der Probleme.
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