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Christina Anger im Deutschlandfunk Interview 17. Juni 2014

„Abiturienten haben andere Qualifikationen als früher”

Die Quote der Einser-Abis ist laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln in den vergangenen sechs Jahren um 40 Prozent gestiegen. Man könne aber nicht sagen, dass die Schüler deshalb gebildeter seien, sagt IW-Ökonomin Christina Anger im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Immer mehr Abiturienten in Deutschland schließen mit immer besseren Noten ab. Die Quote der Einser-Abis ist in den letzten sechs Jahren um 40 Prozent gestiegen. Wie das? Und außerdem gibt es immer mehr Studienanfänger. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat jetzt Teile einer groß angelegten Studie zum Phänomen vorgelegt - und nicht nur zu diesem Phänomen. Christina Anger hat an der Untersuchung mitgearbeitet, und ich hab sie gefragt, ob die Steigerung um 40 Prozent denn bedeutet, dass die Schüler heute wesentlich gebildeter seien als vor zehn Jahren.

Ob sie jetzt gebildeter sind, kann man so eindeutig nicht sagen, zumindest haben sie andere Qualifikationen als früher. Also was wir gemacht haben in einer Modelluntersuchung: Wir haben den Anteil der Personen, die ein Studium anfangen, mit den PISA-Kompetenzen gegenübergestellt. Wir haben das in einer Modellrechnung gemacht - um das an einem Beispiel zu erklären: Genau im Jahr 2007 haben 37 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufgenommen, haben also Abitur gemacht und sind danach an die Universität gewechselt. Und wir sind davon ausgegangen, dass ja eigentlich die Besten eines Jahrgangs auch studieren sollten, und haben dann geguckt, was hatten die drei, vier Jahre vorher als 15-Jährige für PISA-Kompetenzen. Und diese 37 besten Prozente eines Jahrgangs hatten damals 598 Punkte im Lesen. Heute gehen 51 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschule, und wenn man wieder guckt, was haben drei Jahre vorher die 51 Prozent Besten im Durchschnitt für PISA-Werte gehabt, dann sieht man, dass die zum Beispiel im Lesen um 27 Punkte gesunken sind. Also da sieht man halt, dass die Verbesserungen, die wir zwar bei PISA sehen, weniger stark gewachsen sind als die Anfängerzahlen an den Hochschulen.

Wüssten Sie da Gründe, spekulieren Sie über Gründe dafür?

Ja, was man sehen kann, ist das, was ich ja schon gesagt habe, dass die Studienanfängerzahlen deutlich größer geworden sind, und dadurch nimmt auch die Heterogenität der Studierenden zu. Das heißt, wir haben immer mehr Personen mit einem Migrationshintergrund, die studieren, und wir haben auch immer mehr Studenten, die aus der beruflichen Bildung kommen. Was wir eigentlich als eine sehr positive Entwicklung bewerten, weil das ja im Rahmen der Bildungsgerechtigkeit auch lange gefordert wurde, dass man auch gerade Personen aus der beruflichen Bildung noch den Zugang zum Hochschulstudium ermöglichen sollte. Man sieht zum Beispiel, dass immer mehr Studenten aus den beruflichen Schulen kommen, dass es also auch aus den traditionellen Gymnasien mehr gibt, aber vor allen Dingen einen starken Anstieg bei den beruflichen Gymnasien, und eben auch, dass Personen, die überhaupt kein Abitur oder Fachhochschulreife haben, ein Studium beginnen. Auch das ist möglich für beruflich Qualifizierte, und auch da steigen die Zahlen.

Sie betonen das so mit dem Positiv-Bewerten, was bewerten Sie denn negativ? Die Studienabbrecherquote oder die Überfüllung der Hörsäle würde mir da spontan einfallen.

Ja, da sind natürlich jetzt auch die Universitäten gefragt, diese heterogener gewordene Studentengruppe eben ein bisschen aufzufangen. Möglicherweise brauchen die vielleicht gerade Mathematik oder so, noch ein bisschen Nachqualifizierung, wenn man länger aus der Schule raus war, erst eine berufliche Ausbildung gemacht hat und dann wieder an die Universität wechselt. Da gibt es aber die Möglichkeit von Brückenkursen, um da eben den Übergang zu erleichtern und dann eben damit auch einen Beitrag zu leisten, dass die Abbrecherquoten nicht hoch sind und eben auch diese Personengruppen zu einem erfolgreichen Studienabschluss geführt werden. Weil benötigen tut man diese Personen ja, die einen Hochschulabschluss erreichen, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.

Aber in gewissem Sinne müsste die Studierfähigkeit sichergestellt sein, bevor die Menschen anfangen zu studieren und dann total frustriert sind, weil es dann offensichtlich doch das Falsche ist.

Ja, das heißt ja nicht nur, wenn man einen anderen Weg gegangen ist, dass man dann nicht studierfähig ist. Man hat ja andere Kompetenzen, die man dann auch noch einbringen kann, zum Beispiel wie man eben im beruflichen System gelernt hat. Und wir sehen auch, wenn man das mal sich international, also im internationalen Vergleich anguckt, dass da auch noch die Studienzugangsraten viel, viel höher sind. Und wenn man das wieder mit diesen PISA-Kompetenzen vergleicht, dass da noch Personen mit viel niedrigeren PISA-Punkten letztendlich ein Hochschulstudium beginnen. Das heißt, das Niveau in Deutschland wird immer noch im internationalen Vergleich recht hoch sein.

Also Sie neigen nicht dazu, auch zu klagen, das Abitur wird hinabgemindert und wir leiden unter Akademisierungswahn?

Nein, also wir glauben nicht, dass wir unter einem Akademisierungswahn leiden, denn wie gesagt, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist es schon wichtig, die Personen, die noch da sind, möglichst gut auszubilden. Man sollte nur nicht die akademische Bildung jetzt gegen die berufliche Bildung ausspielen, denn natürlich brauchen wir auch in der beruflichen Bildung viel Nachwuchs und viel weitere Fachkräfte. Das heißt, man sollte jetzt nicht sagen, dass jeder studieren muss, sondern jeder muss halt auch auf seine eigenen Neigungen und Fähigkeiten da vertrauen und sich das auswählen, was einem auch am meisten Spaß macht und wo man auch seine Qualifikationen gut hat.

Kein Akademisierungswahn, aber bessere Noten und mehr Studienanfänger - und das ist auch gut so, grundsätzlich gesprochen. Christina Anger vom Institut der deutschen Wirtschaft war das.

Das Interview zum Anhören auf deutschlandfunk.de

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