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Arndt Kirchhoff im Kölner Stadt-Anzeiger Interview 20. November 2017

„Dreht uns nicht den Saft ab”

Arndt Kirchhoff, IW-Präsident und Chef des Autozulieferers Kirchhoff, äußert sich im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger über Energie, notwendige Investitionen in die Infrastruktur des Landes und den Tarifstreit.

Herr Kirchhoff, gerade haben die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie begonnen. Die Positionen liegen weit auseinander. Wie hart wird die Auseinandersetzung in NRW?

Sechs Prozent sind viel zu viel. Man muss hier auch mal die Kirche im Dorf lassen. Die Forderung, bestimmten Gruppen, die weniger arbeiten, auch noch mehr zu bezahlen, entbehrt jeder Logik. Das wäre ungerecht gegenüber den von vorneherein teilzeitbeschäftigten Kollegen, die diese Aufschläge nicht bekommen. Wir brauchen ein höheres Arbeitsvolumen, das den Bedarf der Betriebe berücksichtigt. Die Gewerkschaft denkt aber nur in der Kategorie Arbeitszeitverkürzung.

Am Anfang der Tarifrunde gehen traditionell beide Tarifpartner mit Maximalforderungen in die Gespräche, am Ende einigt man sich meist irgendwo in der Mitte. Sind all die Rituale noch zeitgemäß?

Zeitgemäßer als alle Alternativen. Die Alternative wären staatliche Lohnfestsetzungen - wie in vielen anderen Ländern. Das ist die deutlich schlechtere Lösung. Es ist das beste System, wenn der Staat die Finger da rauslässt.

Was würde denn den Arbeitgebern mehr weh tun? Sechs Prozent mehr Lohn oder die geforderte Arbeitszeitverkürzung?

Wir werden ja über beides reden und versuchen eine Lösung zu finden, die für beide Seiten akzeptabel ist. Im Moment erschließt sich mir die Logik der Gewerkschaft aber nicht. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn Löhne und Energiekosten hier so hoch sind, dass Unternehmen abwandern.

Womit wir beim Stichwort Politik wären. Wie sind Ihre Erwartungen an die neue Landesregierung in NRW?

Wir müssen endlich von den unteren Plätzen wegkommen. Wir können mehr. Die Rahmenbedingungen müssen wirtschaftsfreundlicher werden. Unser Industriestandort muss gestärkt werden. Seit dem Regierungswechsel läuft in NRW schon einiges besser. Gut finde ich, dass Ministerpräsident Armin Laschet zum Stichwort Kohle sagt: "Das Wichtigste ist, dass meine Industrie immer Strom hat." Jede Sekunde. Er will nicht von Stromlieferungen aus dem Ausland abhängig sein. Stellen Sie sich mal vor, das Ausland entscheidet am Ende, ob unsere Industrie in NRW produzieren kann oder nicht? Wenn der Strom nur eine Sekunde ausfällt, stehen in meinem eigenen Betrieb sämtliche Roboter. Ich brauche eine ganze Schicht, um die hochzufahren.

Für Versorgungssicherheit werden Sie sicher auch in Berlin plädieren?

Ja sicher. Wir als Industrie denken ja auch grüner als früher. Aber wir sagen auch: Dreht uns nicht den Saft ab. Wir brauchen ausreichende Reservekapazitäten. Nur wenn die Versorgungssicherheit absolut sichergestellt ist, können auch Kohlekraftwerke vom Netz.

Was fordern Sie noch?

Die digitale Infrastruktur muss deutlich ausgebaut werden. Die Netze sind viel zu langsam. In Westfalen etwa ist die Situation unterirdisch. In meinem Zulieferbetrieb funktioniert es nur, weil wir viel selbst investiert haben und mit Richtfunk arbeiten. Wir sind das stärkste Industrieland und das bevölkerungsreichste Bundesland.

Nordrhein-westfälische Interessen müssen in Berlin stärker vertreten werden. Auch in Bezug auf dringend notwendige Verkehrsprojekte. Das Geld darf nicht nur in den Osten fließen oder dank eines bayerischen Verkehrsministers in den Süden. Es muss auch nach NRW. Wir haben das größte Straßennetz, das aber auch sehr reparaturbedürftig ist. Warum also sollte der nächste Bundesverkehrsminister nicht aus NRW kommen? Ein Wirtschaftsminister aus NRW wäre auch nicht schlecht.

Herr Pinkwart vielleicht?

Der soll mal lieber hierbleiben. Ihn brauchen wir in NRW.

Die Wirtschaft boomt, die Auftragsbücher der Industrie sind gut gefüllt. Machen Sie sich nicht Sorgen, wie lange das noch anhält?

Die aktuelle Lage ist natürlich sehr erfreulich. Der Arbeitsmarkt ist derzeit unsere einzige Bremse, denn uns gehen die Fachkräfte aus. Der Aufschwung darf kein Strohfeuer sein: Wir müssen zusehen, dass er anhält. Wir hatten in den vergangenen Jahren nicht gerade ein wirtschaftsfreundliches Klima in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir hier auch zu wenig Gründermentalität.

In Ihrer Branche schreitet die Automatisierung fort. Die Digitalisierung treibt derzeit viele Unternehmen um. Sehen Sie Ihre Branche hier gut aufgestellt?

Die Autoindustrie ist viel weiter digitalisiert als viele andere Branchen. Wir könnten gar nicht anders arbeiten als digital. Das entwickelt sich ganz automatisch: Jede neue Maschine, die ich kaufe, ist mehr digitalisiert als ihre Vorgängerin. Jede neue technische Entwicklung bringt aber natürlich auch Ängste bei den Beschäftigten mit sich. Da müssen wir unsere Mitarbeiter mitnehmen.

Derzeit arbeiten 700 000 Beschäftigte in der NRW-Metall- und Elektrobranche. Wie viele werden es in zehn Jahren sein?

Wenn wir keine großen Fehler machen, werden wir nicht weniger haben. Aber wahrscheinlich werden sich 50 Prozent der Berufsbilder verändern. Wir brauchen weniger Menschen, die Maschinen bedienen und mehr Menschen, die Maschinen entwickeln und steuern.

Man hat oft den Eindruck, dass die Zulieferer beim Thema Elektromobilität schon viel weiter sind als die Autohersteller, die hier lange gebremst haben und nach wie vor auf den Verbrennungsmotor setzen. Daimler-Chef Zetsche etwa spricht vom Renditekiller E-Auto.

Wir sind beide weit. Die Deutschen machen ein Prozent der Weltbevölkerung aus, stellen 20 Prozent der Autos her und haben 50 Prozent sämtlicher Patente in der Elektromobilität, beim autonomen Fahren 35 Prozent aller Patente. Aber solange der Markt noch nicht richtig läuft, dürfen Sie keine Produkte ins Schaufenster stellen. Die Produkte müssen dann fertig sein, wenn der Markt anzieht. Und das macht er jetzt langsam.

Wie wird sich die E-Mobilität in Deutschland entwickeln?

Bis 2025 könnten E-Autos bei den Neuzulassungen auf einen Anteil 25 Prozent kommen - wenn der Preis stimmt. Ich würde mich freuen, wenn Autos auch mal billiger würden und nicht immer nur teurer. Mobilität für alle muss auch mal wieder preiswerter werden. Bis Ende 2017 werden wir 100 Elektromodelle in Deutschland haben. Kein anderes Land hat so ein großes Angebot.

Tesla macht Ihnen keine Angst?

Nein. Die haben tolle Ideen. Aber bis sich das Thema Qualität und Zuverlässigkeit so einschleift - das ist noch ein langer Weg.

Haben deutsche Hersteller nicht zu lange auf Verbrennungsmotoren gesetzt? In Großbritannien gibt es dafür schon ein Ausstiegsdatum.

Das wird hier hoffentlich nicht kommen. Man sollte das Thema Elektromobilität ganzheitlich betrachten und etwa schauen, wie viel CO2 bei der Batterieproduktion verbraucht wird. Das Thema kommt in der Debatte zu kurz. Viel besser als ein reines E-Auto ist aus meiner Sicht eine Kombination aus Batterie und Motor oder Brennstoffzellen. Ich setze da mehr auf synthetische, CO2-freie Kraftstoffe. Da kann man gerne ein Energieeffizienz-Etikett dranhängen wie bei Waschmaschinen. Die Kunden sollen dann selbst entscheiden, was sie kaufen wollen.

Welches Auto fahren Sie eigentlich?

Benziner. Ich fahre Fahrzeuge aller Hersteller - und zu Geschäftsterminen immer mit der Marke unseres Kunden. Wenn ich in Köln unterwegs bin, fahre ich mit einem Mondeo, für den wir Teile liefern.

Wie sehen Sie Kölns Chancen, E-Auto-Standort für Ford zu werden?

Gut. Der Standort hat sich sehr verbessert. Ich würde das Auto auch in Deutschland bauen. Wir haben das ganze Know-how hier. Das geht hier schneller und besser.

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