IW-Präsident Arndt Günter Kirchhoff spricht im Interview mit der Rheinischen Post über die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektro-Industrie, Häkelkurse und die Lage der Branche.
„5,5 Prozent mehr Lohn sind realitätsfern“
Herr Kirchhoff, wie laufen Ihre Geschäfte?
Grundsätzlich ist weltweit die Geschäftslage in der Automobilindustrie gut. Davon profitiert auch mein Unternehmen. Aber je nachdem, für welches Modell oder in welche Region man liefert, kann die Situation extrem durchwachsen sein.
Das müssen Sie genauer erklären.
Es gibt Problemmärkte wie Russland. Da liegen die Geschäfte sanktions- und krisenbedingt 15 bis 20 Prozent zurück. Insgesamt muss man sagen, dass von den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China einzig China noch als Markt interessant ist. Dort haben wir in diesem Jahr wieder ein zweistelliges Wachstum. Auch die USA, Zentral-, Ost- und große Teile Westeuropas funktionieren gut. Allerdings machen uns Italien und Frankreich Sorgen. Beide haben beim Thema Staatsschulden ihre Hausaufgaben versäumt. Das schlägt sich im geringsten Autoabsatz in Europa nieder.
Was bedeutet die wirtschaftliche Lage für die anstehende Tarifrunde?
Bezogen auf die Autoindustrie ist das Bild ganz differenziert. Es gibt diejenigen, denen die Sonne lacht, viele Marken haben einen guten Lauf. Andere wiederum müssen Werke schließen oder beantragen Kurzarbeit.
Die Forderungsempfehlung der IG Metall beträgt 5,5 Prozent. Begründung: Der Produktivitätszuwachs liege bei 1,5 Prozent, die Zielinflation bei zwei Prozent. Hinzu kommt eine nebulöse „zusätzliche Verteilungskomponente“ von zwei Prozent. Ist das aus Ihrer Sicht schlüssig?
Was sich da als Forderung abzeichnet, ist völlig realitätsfern. Die Inflation liegt seit drei Quartalen bei 0,8 Prozent. Ich wage mal den Tipp, dass sie bis Jahresende allenfalls bei einem Prozent liegen wird. Der Produktivitätszuwachs wird bei unseren energieintensiven Betrieben von den hohen Energiekosten aufgezehrt. Von der Umverteilungskomponente müssen wir gar nicht erst sprechen.
Die Gewerkschaft verlangt außerdem eine Bildungsteilzeit. Laut IG Metall entscheidet bislang nur die Erstqualifikation über die berufliche Entwicklung. Stimmt das?
Kirchhoff Das ist Blödsinn. Meine Branche gibt Jahr für Jahr acht Milliarden Euro für Weiterbildung aus. Das ist auch erforderlich. Wenn sie eine Erstqualifikation einmal erworben haben, dauert es beim heutigen Fortschritt nur zwei bis drei Jahre, bis neue Maschinen und Prozesse eine Nachschulung erfordern. Wer seine Mannschaft nicht auf Stand hält, droht die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.
Dann spricht nichts gegen einen verbindlichen Anspruch.
Kirchhoff Wir befürchten, dass wir dann über Weiterbildungsmaßnahmen reden, die nicht dem Betrieb nützen. Das darf nicht passieren.
Aber die IG Metall wird keine Häkelkurse für die Mitarbeiter verlangen.
Vielleicht nicht so etwas Absurdes, aber der Verdacht liegt nahe, dass sie auch über nicht-betriebsnotwendige, aber vielleicht wünschenswerte Weiterbildungsgänge sprechen will. Das wäre dann aber ganz klar kein Thema der Unternehmen. Bei uns gibt es nur betriebsnahe Weiterbildung - und das ist vollkommen ausreichend.
Neben der Bildung soll auch über eine Neuregelung der Altersteilzeit gesprochen werden.
Das bieten wir ja bereits an. Wenn einer nicht mehr kann, dann muss er auch früher ausscheiden dürfen. Das Gros der über 60-Jährigen will aber sogar länger arbeiten. Vielleicht nicht Vollzeit.
Heißt das, Sie haben Sympathien für die Arbeitszeitverkürzung für Ältere, wie sie gerade die IG BCE in der Chemiebranche fordert?
Sowas machen wir doch schon längst. Dafür benötigen wir aber keine tarifvertraglichen Regelungen. Das lässt sich individuell klären.
Altersteilzeit, Bildungsteilzeit und Entgelt, was ist der kritischste Punkt?
Schwierig ist die Entgeltfrage. Für die Altersteilzeit müssen wir ein vernünftiges Modell finden. Das Thema Bildungszeit gehört in die Gespräche über eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit.
Rechnen Sie mit Streiks ab Februar?
Um das zu beurteilen, ist es ein bisschen früh.
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