Die Steuern senken oder den Haushalt konsolidieren? Hier tut sich kein Konflikt auf. Beide Ziele können simultan verfolgt werden.
Wir benötigen Kreativität, um Wachstum zu stärken
Der Dauerbrenner „Konsolidierung gegen Steuersenkung“ kommt seit Beginn der Legislatur zur Aufführung. Diese Woche im Bundestag. Dabei gibt es zwei konträre Inszenierungen. Einmal - in der scheinbar versöhnlichen Variante - wird der Konflikt einfach geleugnet und das Hohelied umfangreicher Steuersenkungen als Wundermittel gesungen. Parallel dazu kommt die unversöhnliche Variante auf die Bühne, und es wird angesichts der Konsolidierungsnöte jeder Spielraum für eine Minderung der Steuerlast geleugnet. Offenkundig ist die Welt entweder weiß oder schwarz. Auch nach der Haushaltsdebatte gilt: Vorhang geschlossen, alle Fragen offen!
Unauflöslich ist ein Konflikt, wenn divergierende Ziele verfolgt werden. Doch welchen Zweck verfolgen Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung? Letztlich zielt beides darauf, die Wachstumsbasis der Volkswirtschaft zu stärken. Ein fiskalisch handlungsfähiger Staat begründet Vertrauen, weil er verlässlich die notwendigen öffentlichen Leistungen - Bildung, Infrastruktur, Sicherung des Mindesteinkommens und öffentliche Sicherheit - bereitzustellen vermag. Zugleich lässt dies die Erwartung zu, dass im Fall eines Notstands der schützende Arm des Staates trägt.
Steuersenkungen wirken über zwei Hebel auf das Wachstum. Einerseits konstituieren sie einen Revisionsdruck für die staatlichen Aufgaben und Ausgaben, die einer Tendenz zur bedarfsfernen Verkrustung unterliegen. Steuersenkungen sind so gesehen eine Effizienzpeitsche. Andererseits schaffen Steuersenkungen Freiraum für private Tätigkeit und erweitern den Spielraum für die Nutzung dezentraler Kompetenzen. Besonders hilfreich ist eine Senkung der Steuern, die zugleich negative Leistungsanreize des bestehenden Systems gezielt beseitigt. So weit, so gut.
Bei identischer Zielsetzung sollte die Umsetzung beider Maßnahmen konfliktfrei möglich sein. Das setzt freilich voraus, sich nicht auf einfache Wahrheiten zu verlassen. So ist es zweifellos richtig, dass Steuersenkungen sich kurzfristig nicht vollständig selbst finanzieren. Wir wären in der Welt des Barons von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpfe zieht. Doch genauso falsch wäre es, die mittel- bis langfristig eintretenden Wachstumseffekte von Steuersenkungen zu negieren.
Was also kann, was sollte getan werden? Erstens: Die Konsolidierungsaufgabe ist zu stemmen, wenn man sie unmissverständlich klarmacht. Es bedarf einer Dekade, um wieder einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen. Damit ist eine Aufgabe umrissen, die nur unwesentlich größer ist als die in den 1980er-Jahren bewältigte. Holen wir endlich die Staatsfinanzen aus der Kulisse des großen Dramas wieder in den Bereich der Gestaltbarkeit. Das ist unabhängig von der neuen Steuerschätzung bereits jetzt möglich, denn es geht ja nicht darum, konjunkturelle Defizite zu beseitigen.
Zweitens: Wachstumsorientierte Steuersenkungen sollten Anreizdefekte im Steuersystem beseitigen. Priorität muss hier die Bereinigung des Mittelstandsbauchs in der Einkommensteuer haben, die freilich mit hohen Steuerausfällen verbunden ist. Bei einer völligen Wiederherstellung des linearprogressiven Tarifs geht es um 24 Mrd. Euro. Deshalb sollte dies in Schritten - beispielsweise 2012, 2014 und 2017 - realisiert werden. Es würde die massive Ungerechtigkeit bereinigen, dass im unteren Besteuerungsbereich der höchste Progressionsgrad wirkt.
Bedeutsam ist ferner die Beseitigung der „kalten“ Progression, die bei einer Aufzehrung der Steigerung des nominellen Einkommens durch die Inflation zu einer Minderung des Realeinkommens führt und so die Kaufkraft der Bürger schmälert. Zusammen mit einer konsequenten Bereinigung der Gewerbesteuer um jene Regeln, die substanzbesteuernd wirken, ergibt sich ein Paket, das zügig zu positiven Wachstumseffekten führen sollte. Dies gilt erst recht, wenn drittens über eine Minderung der Konsumausgaben im Staatshaushalt die Konsolidierung diszipliniert eingeleitet wird.
Viertens bleibt eine Frage offen: Was können wir tun, um zugleich den Investitionsbedarf bei Bildung und Infrastruktur zu decken? Dort, wo wir ein differenziertes Nutzungsverhalten haben, sollten entsprechende Gebührenmodelle genutzt werden. Dies setzt aber voraus, dass Bund und Länder glaubwürdig ihre Verantwortung für die Grundfinanzierung erfüllen. Dass dies der zeit nicht der Fall ist, kann uns nicht davon abhalten, das Angemessene zu bedenken. Das wird zweifellos Streit auslösen, der aber wie Theaterdonner folgenlos verhallen wird, wenn man die Zusammenhänge erklärt und vermittelt. Kehren wir auf die Bühne der Realität zurück.
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