Die Energiepreise in ungeahnten Höhen machen die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine für die Menschen und Unternehmen in Deutschland und ganz Europa deutlich spürbar. Insbesondere die hohen und schwankenden Gaspreise bringen Knappheiten und unsichere Erwartungen am Gasmarkt zum Ausdruck.
Klima- und Energiewende: Antworten auf die Energiepreiskrise – Reichen die Maßnahmen aus Berlin und Brüssel aus?
Über die letzten Monate führte der zunehmende Rückgang der Pipelineimporte aus Russland zu einer deutlichen Verknappung des Angebots und entsprechend enormen Preisanstiegen. Für Deutschland konnte die Auslastung der bestehenden Lieferkapazitäten aus Norwegen und aus den Niederlanden nur einen Teil davon kompensieren.
Deshalb braucht es zusätzlich Gaseinsparungen und LNG-Importe, über im Winter funktionsfähige LNG-Terminals, um eine Gasmangellage in Deutschland verhindern. In diesem Winter geht die Bundesnetzagentur inzwischen in mehreren Szenarien davon aus, dass diese vermieden werden kann. Dass die Temperaturen im Oktober und November 2022 ungewöhnlich hoch ausfielen, hat kurzfristig für Entspannung hinsichtlich der Erwartungen für diesen Winter und damit auch bei den Preisen gesorgt. Wird es dagegen in den nächsten Wochen und Monaten deutlich kälter als im Durchschnitt der letzten Jahre, droht die gegenteilige Entwicklung und erneute heftige Preisausschläge werden wahrscheinlicher. Für den Winter 2023/24 bleibt die Unsicherheit jedoch hoch, denn anders als in 2022 sind keine russischen Gaslieferungen mehr zum Auffüllen der Speicher zu erwarten. Die neuen LNG-Kapazitäten sind ein wichtiger Faktor, werden den Ausfall jedoch nur zu einem Teil kompensieren können.
Der Blick auf die Gas- und Strompreisfutures zeigt mittelfristig eine Erholung an, weil sowohl eine insgesamt niedrigere Gasnachfrage als auch ein, dank der schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin, höheres Angebot erwartet werden. Die Bundesregierung hat eine Kommission eingesetzt, um Maßnahmen zur Abmilderung der hohen Energiepreise zu entwickeln. Die von dieser Gas- und Strompreiskommission vorgeschlagenen Höhen für Preisbremsen legen nahe, dass sie sich an diesen Futurepreisen orientieren. Damit wird deutlich, dass mittelfristig von einem höheren Preisniveau für Strom und Gas auszugehen ist als im Durchschnitt der letzten Jahre. Dies ist schon allein deshalb plausibel, weil Flüssiggas aufgrund des aufwendigeren Transports und der Notwendigkeit der Regasifizierung teurer ist als Pipelinegas. Auch der Ausbau der Erzeugungskapazitäten für in Europa stark gestiegene Nachfrage nach LNG muss erst noch erfolgen. Ohne grundlegende Änderung des Strommarktdesigns und der Stromerzeugungskapazitäten bleibt der Gaspreis häufig maßgebend für den Strompreis. Demnach übernimmt die Bundesregierung mit den vorgeschlagenen Energiepreisbremsen die vorübergehenden Risiken hoher Preisausschläge im nächsten Jahr.
Die Preisbremsen sind so konzipiert, dass das marginale Preissignal und damit der Einsparanreiz erhalten bleibt. Es wird ein Rabatt in Höhe der Differenz zwischen gesetzlich festgelegtem und tatsächlichem Arbeitspreis für 80 (Haushalte und kleine Unternehmen) beziehungsweise 70 Prozent (Großverbraucher) des Vorjahresverbrauchs gewährt, so dass auf jede zusätzliche Kilowattstunde der volle aktuelle Arbeitspreis wirksam wird. Angesichts der Kommunikation als Preisbremse bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit die Konsumenten tatsächlich auf diesen Mechanismus reagieren oder ob sich insbesondere viele Haushalte an den moderateren Durchschnittskosten für Gas und Strom orientieren. Dagegen spricht, dass selbst die gebremsten Preise deutlich höher ausfallen als in der Vergangenheit und somit zum Sparen anregen. Hier hätte eine andere Ausgestaltung der Preisbremsen jedoch dafür sorgen können, dass die Maßnahme in erster Linie oder wenigstens überproportional einkommensschwachen Haushalten zugutekommt. In begrenztem Rahmen wird dieser Effekt dadurch erreicht, dass die Entlastung steuerlich wirksam wird.
Für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen und ihre deutlich gestiegenen Energiekosten bestenfalls teilweise an ihre Kunden weitergeben können, sind die neuen Preisniveaus selbst mit den Preisbremsen dauerhaft kaum zu tragen. Besonders energieintensive Unternehmen beispielsweise in der Ammoniak- und Aluminiumherstellung konnten ihre Produktion in vielen Fällen schon nicht mehr wettbewerbsfähig aufrechterhalten und musste deshalb drosseln. Dies betrifft im Falle von Ammoniak auch die bei der Produktion anfallenden Nebenprodukte wie Kohlendioxid, was in der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie bereits zu Engpässen geführt hat. Die enge Verflechtung der deutschen Industrie in bestehenden Liefer- und Wertschöpfungsketten wird dadurch in einer Weise gestört, die Standorte dauerhaft in Frage stellen könnte. Die geplanten Energiepreisbremsen mildern die Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit dementsprechend ab, dürften aber vermutlich nicht für alle energieintensiven Produktionsstandorte ausreichen.
Vor diesem Hintergrund ist noch nicht ausgemacht, wie die deutsche Wirtschaft durch die Krise kommt. Während die jüngste konjunkturelle Entwicklung dafür spricht, dass der Einbruch der Konjunktur glimpflicher ausfällt als zunächst befürchtet, sind sinkende Auftragseingänge in der Industrie ein Warnsignal. Das Produktionsniveau liegt weiterhin über fünf Prozent niedriger als 2019 – dem Jahr vor dem Beginn der Corona-Pandemie. Ob die Haushalte auch bei kalten Temperaturen genug Gas einsparen, ist noch unklar. Und die Unsicherheitsfaktoren mit Blick auf den darauffolgenden Winter bleiben, wie beschrieben, hoch. Dabei spielt die Wirksamkeit der Preisbremsen eine entscheidende Rolle.
In absoluten Zahlen haben die deutschen Entlastungsmaßnahmen das größte Gewicht in Europa, wobei auch andere Länder wie z.B. die Niederlande gemessen an ihrem BIP ähnlich umfangreiche Pakete schnüren. Die deutschen Maßnahmen haben zudem positive Spillover-Effekte auf die in den Wertschöpfungsketten engverflochtenen Nachbarländer. Dennoch wünschen sich viele EU-Mitgliedstaaten eine stärkere Koordination der Maßnahmen, die derzeit in Brüssel auch verhandelt wird. Am vielversprechendsten ist dabei der koordinierte Einkauf von LNG-Mengen, um einen gegenseitigen Überbietungswettbewerb zu vermeiden. Auf europäischer Ebene soll das REPowerEU-Paket zusätzliche Impulse geben, insbesondere für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und damit dem entscheidenden Schritt zu einer deutlich unabhängigeren Energieversorgung. Neben der Anpassung von Effizienz- und Einsparzielen werden auch Mittel, die teilweise als Corona-Hilfen nicht abgerufen wurden, umgewidmet und aufgestockt, so dass insgesamt etwa 300 Milliarden Euro an Investitionsmitteln zur Verfügung stehen.
Die deutschen und europäischen Maßnahmen müssen sich im internationalen Wettbewerb messen, insbesondere mit den USA. Die Biden Administration hat mit dem Inflation Reaction Act ein umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, das weniger der Bekämpfung der Inflation dient, als vielmehr den Kurs der Industriepolitik in Richtung einer stärkeren Vermeidung von Emissionen lenkt. Mit unbürokratischen Steuerentlastungen für batterieelektrische Fahrzeuge und den Einsatz erneuerbarer Energien soll nicht nur die Klimapolitik vorangetrieben, sondern insbesondere die heimische Wirtschaft gestärkt werden. Für die Verwendung einheimischer Komponenten fallen diese Steuererleichterungen noch um einiges größer aus.
Während die USA damit vor allem auf Subventionen setzt, ist das zentrale europäische Klimaschutzinstrument der Emissionshandel, der die Emissionen begrenzt und bepreist. Auch in der EU und seinen Mitgliedstaaten gibt es zahlreiche Förderprogramme wie beispielsweise die IPCEIs. Für die Beantragung von Fördermitteln sind jedoch in der Regel sehr detaillierte Bedingungen und nicht zuletzt das Beihilferecht zu beachten. Die europäische Beihilfekontrolle sorgt grundsätzlich dafür, dass Fördermaßnahmen nicht die Wettbewerbsbedingungen auf dem europäischen Binnenmarkt verzerren, kann aber bei allzu kleinteiliger Ausgestaltung auch als Wettbewerbsnachteil in der Konkurrenz zu außereuropäischen Standorten wirken. Insbesondere für global agierende Konzerne mit Standorten in den USA und in Europa können verstärkte Investitionen in Übersee dadurch deutlich attraktiver werden als die Stärkung und der Erhalt europäischer Standorte.
Sowohl der US-amerikanische Inflation Reduction Act als auch der von der EU-Kommission geplante Grenzausgleichsmechanismus, mit dem die CO2-Emissionen importierter Güter bepreist werden sollen, sind nicht zuletzt protektionistische Maßnahmen, die jeweils die einheimischen Produktionsstandorte schützen sollen. Für die globale Herausforderung der Reduktion von Treibhausgasemissionen ist jedoch die internationale Koordination von Maßnahmen unerlässlich. Eine Produktionsverlagerung dient nur dann dem Klimaschutz, wenn beispielsweise durch einen höheren Einsatz erneuerbar erzeugter Energie Emissionen eingespart werden können. Ein zunehmender industriepolitischer Standortwettbewerb führt jedoch nicht unbedingt zu mehr Klimaschutz. Vielmehr droht der Aufbau neuer Handelsbarrieren und eine Verschlechterung der Anreize zur Treibhausgasreduktion. Mehr Klimaschutz könnte vor allem dann gelingen, wenn einer der durchaus vorhandenen Ansätze zur Koordination mehr Fahrt aufnehmen würde. Während ein weltweit einheitlicher CO2-Preis und international gültige Regeln zur Abgrenzung von Emissionen utopisch erscheinen, wirken Bemühungen um einen Klimaclub vielversprechender. Möglicherweise können sektorspezifische Vereinbarungen in bilateralen Handelsabkommen dazu ein erster Schritt sein, der den Weg für weitere Kooperation bereitet.
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