Es sind seltsame Zeiten mit ungewohnten Herausforderungen. Da kommt man schon mal auf unsinnige Gedanken. So geschehen jüngst im ZDF-"Heute Journal", als man den ganz großen historischen Bogen vom Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Corona-Pandemie spannte und damit ins Aus geschleudert wurde. Nichts ist fragwürdiger als ein unhistorischer historischer Vergleich, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastkommentar für die Welt.
Wir brauchen keinen neuen Lastenausgleich
Zur Erinnerung: Der 1952 gesetzlich begründete Lastenausgleich sollte durch Kriegszerstörung Geschädigte, Spätheimkehrer sowie jene finanziell entschädigen, die durch Flucht und Vertreibung Hab und Gut verloren hatten. Der Verlust der Lebensgrundlage sollte gemäß sozialer Gerechtigkeit und volkswirtschaftlichen Möglichkeiten unter den Beschränkungen einer Gesellschaft und Wirtschaft im Wiederaufbau geleistet werden. Finanziert wurde dies durch eine Abgabe in bis zu 120 vierteljährlichen Raten, also über 30 Jahre, auf die verbliebenen Vermögen. Die jährliche Belastung des Vermögens lag bei 1,67 Prozent, konnte also aus den Erträgen geleistet werden.
Die Corona-Pandemie ist zunächst als symmetrischer Schock über alle Branchen wirksam gewesen. Mit den Lockerungen des ersten Lockdowns ab Mai differenzierte sich die Betroffenheit der Sektoren zunehmend. Während die Industrie, auch gestützt durch den Vorlauf Chinas, wieder Fahrt aufnehmen konnte und die Bauwirtschaft sich ohnehin robust entwickelte, sind die Belastungen durch den zweiten Lockdown bei Hotels und Gaststätten, im stationären Einzelhandel, Veranstaltungsbereich und bei der Kultur heftig bis dramatisch.
Die Bundesregierung hat seit dem Frühjahr vielfältige Hilfsprogramme aufgelegt. Die Novemberhilfe und die Dezemberhilfe gewähren pauschaliert und damit oft sehr großzügig einen Ersatz für den Umsatzausfall, die Überbrückungshilfe III unterstützt durch Zuschüsse zu den Fixkosten. Klar ist, das kostet Geld. Und klar ist auch, dass dies nicht auf Dauer so weitergehen kann. Denn die November- und Dezemberhilfen sind in der Not und bei befristeter Dauer zu begründen, eine systematische Lösung auf Dauer bieten sie nicht.
Was ist zu tun? Sollte der Lockdown ins neue Jahr hineingehen, wird man sehr viel genauer auf die Lage der einzelnen Unternehmen schauen und Überförderungen vermeiden müssen. Auch muss die administrative Abwicklung besser gelingen. Eines allerdings sollte man unaufgeregt betrachten: Die finanziellen Lasten des Staates - die Corona-Schulden - rechtfertigen für sich weder Steuererhöhungen noch Ausgabenkürzungen und rufen erst recht nicht nach einem neuen Lastenausgleich. Einerseits geht es nicht um Zerstörungen, Flucht und Vertreibung, andererseits wird umfangreich geholfen. Auch ein Wohlfahrtsstaat muss nicht erst neu aufgebaut werden. Deutschland gilt an den internationalen Kapitalmärkten als Schuldner bester Bonität. Der daraus resultierende Zinsvorteil führt dazu, dass der Zinssatz auf Bundesanleihen unterhalb des zu erwartenden Trendwachstums der deutschen Volkswirtschaft liegt.
Das erlaubt es auch, die Tilgung der Corona-Schulden sehr langfristig in der zulässigen strukturellen Kreditaufnahme zu organisieren. Zukünftige Generationen werden daraus nicht belastet. Das aber wäre der Fall, wenn man die Sponti-Ideen einer Vermögensabgabe von 30 Prozent oder eines Lastenausgleichs umsetzte und die damit verbundenen Wachstumsverluste hinnähme. Alles jedenfalls kein Grund, die Bürger öffentlich-rechtlich durch historische Irrlichter zu verunsichern.
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