Deutschland braucht eine Investitionsoffensive in die Infrastruktur, um nicht den Anschluss zu verlieren. Ein staatlicher Fonds könnte das nötige Geld bereitstellen – aber es braucht noch mehr, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für Focus.de.
Ein Deutschlandfonds mit 450 Milliarden Euro macht unser Land fit für die Zukunft
Zum Jahreswechsel bietet Deutschland ein Bild der Unentschlossenheit und der mangelnden Orientierung: In der Politik wird hektisch, doch ohne systematischen Blick auf das Notwendige entschieden; Umsetzungschancen sind unbekannt und scheinbar uninteressant.
Die Wirtschaft hält sich im weltpolitischen Trubel und angesichts unklarer Bedingungen im digital wie klimapolitisch getriebenen Strukturwandel nur mühsam über Wasser. Die Gesellschaft streitet nicht miteinander, sondern gegeneinander; moralische Selbstüberhöhung wird auf der Straße zelebriert und die Welt zweifelsfrei in Gut und Böse unterteilt.
Wie lässt sich in dieser Kulisse eine gemeinsame Perspektive entfalten? Was kann gelingen, um den gut umrissenen Handlungsbedarfen Rechnung zu tragen? Dafür ist zu erkennen, dass Unterlassungen der jüngeren Vergangenheit dabei ebenso zu adressieren sind wie neu definierte Bedingungen für die Zukunft.
Die Investitionslücken sind für jeden offenkundig, in allen Infrastruktursystemen verfehlen wir den eigenen Anspruch und verlieren den internationalen Anschluss. Klimapolitisch wurde lange zugewartet, jetzt überstürzt und unzureichend gehandelt; demografiepolitisch wurde wider alle Vernunft gehandelt und auf die Illusion doppelter Haltelinien für Rentenbeitrag sowie Rentenniveau gesetzt.
Deutschland muss mehr investieren, klug regulieren und die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Wenn Alterung, digitale Transformation und Dekarbonisierung zusammen bewältigt werden sollen, dann kann es jedenfalls keine Tabus mehr geben, ideologische Verkrustungen sind aufzulösen und Blockadeargumente beiseite zu schieben. Das fordert jede Partei, und das fordert offene gesellschaftliche Diskurse.
Fonds mit einen Volumen von 450 Milliarden Euro
Im Einzelnen: Es geht dringlich darum, die staatliche Investitionstätigkeit zu entfesseln. Der Verweis auf Rekordbudgets trägt angesichts der Versäumnisse und der Aufgaben nicht. Deshalb brauchen wir einen Deutschlandsfonds mit einem Volumen von 450 Milliarden Euro, um in der kommunalen Infrastruktur, für Verkehr, Energie und digitale Netze, für Bildungsinfrastruktur und für die Klimapolitik auch nur das Gebotene zu erreichen.
Dagegen steht die grundgesetzliche Schuldenbremse nicht, wenn man dies in einem eigenen Fonds mit eigener Rechtsperson organisiert, der dem Bund gehört. Eine Verschiebung von laufenden Budgetposten dorthin wäre nicht zulässig. Man könnte einen Infrastrukturrat beauftragen, die Sinnhaftigkeit der einzelnen Projekte vorab zu prüfen (Nutzen-Kosten-Analysen). Jedenfalls geht es nicht darum, die Schleusen für öffentliche Kreditaufnahme bedingungslos zu öffnen. Und klar sollte auch sein, dass ein Fonds an sich die Probleme der Umsetzung nicht lösen kann. Deshalb bedarf es zwei begleitender Handlungspakete.
1. Kommunale Finanzen ertüchtigen
Einerseits müssen die kommunalen Finanzen ertüchtigt werden, wo strukturelle Verwerfungen (Übernutzung von Kassenkrediten) die Handlungsfreiheit einschränken. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz muss nun dringend wie schon in Hessen („Hessenkasse“) und im Saarland („Saarlandpakt“) dieses Problem angegangen werden.
Überall ist durch die Gestaltung der Steuerverteilung und des Kommunalen Finanzausgleichs dafür zu sorgen, dass den Gemeinden hinreichend freie finanzielle Mittel verfügbar sind. Denn dort manifestiert sich die staatlichen Leistungsbereitschaft ganz konkret für die Bürgerinnen, dort erleben sie die Sicherung der Zukunft hautnah.
2. Hemmnisse abbauen
Andererseits sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verschlanken und zu vereinfachen. Was in anderen europäischen Staaten funktioniert, kann auch bei uns nicht den Rechtsstaat in Frage stellen. Der Hinweis auf die bestehenden Hemmnisse wird gerne als Argument gegen zusätzliche Investitionsbudgets vorgebracht, da ja deshalb das gebilligte Geld gar nicht abfließe. Die Reform der Verfahren führt für sich genommen jedoch nur dazu, dass die budgetierten Gelder genutzt, nicht aber dazu, dass die zusätzlich identifizierten Bedarfe in Höhe von 450 Milliarden Euro finanziert werden.
Wird dieser Fonds verlässlich auf zehn Jahre angelegt, dann werden in der Bauwirtschaft auch die Kapazitäten gesteigert, was bisher unterblieb und so die Umsetzung der Investitionspläne ebenfalls behinderte.
Eine zukunftsfähige Infrastruktur schafft einen Ermöglichungsraum für private Innovationen und Investitionen. Damit der genutzt wird, muss unternehmerischer Mut gesellschaftlich gewürdigt und darf nicht diffamiert werden. Nur über Innovationen können wir die Herausforderungen meistern. Das erfordert neben einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung auch eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die sowohl strukturell (z.B. Gewerbesteueranrechnung) ansetzt als auch die Gesamtbelastung absenkt.
Wie soll, so mag man fragen, dies alles politisch umsetzbar sein? Wenn jede Seite ein Tabu aufgibt, sollte es gelingen: Die Union stimmt dem Deutschlandfonds zu, die SPD akzeptiert die Unternehmenssteuerreform, die Grünen verlassen ihre Umfragekomfortzone und geben ihre Blockade gegen eine Verschlankung der Planungs- und Genehmigungsverfahren auf. So wird ein rundes Paket daraus, mit dem Deutschland die Zukunft trotz der größten Herausforderungen gewinnen kann. Ganz nebenbei würde der Glaube an die Handlungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie durch Kompromissfähigkeit gestärkt.
Zum Gastbeitrag auf focus.de
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