Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank, schreibt IW-Direktor Michael Hüther auf spiegel.de. Die zentrale Frage ist: Sind diese durch das Mandat der EZB gedeckt? Die Antwort fällt nicht leicht.
"Das Nein geht nicht so leicht über die Lippen"
Die Erwartungen an das Bundesverfassungsgericht sind groß, denn es steht in diesen Tagen ein wichtiges Element und ein zentraler Akteur der europäischen Krisenpolitik auf dem Prüfstand: die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre prinzipielle, aber konditionierte Bereitschaft, Staatsanleihen von Krisenstaaten auf dem Sekundärmarkt zu erwerben.
Die Grundsatzfrage lautet: Ist das durch das europavertragliche Mandat der Notenbank gedeckt? Unabhängig von Raum und Zeit wird man diese Frage verneinen müssen. Im Bewusstsein der krisenhaften Zuspitzung der Euro-Krise im Sommer 2012 geht dieses Nein allerdings nicht so leicht über Lippen.
Einerseits gehört es zur Aufgabe jeder Notenbank, die Währung nicht nur gegen Wertverlust durch Inflation zu schützen, sondern ebenso deren elementare Existenz zu sichern. Angesichts der Tatsache, dass in einer Währungsunion (teil-)souveräner Staaten ein globaler Akteur auf Seiten der Finanzpolitik fehlt oder zumindest nicht zeitnah handlungsfähig ist, wird die Rolle der Notenbank besonders betont - auch wenn die Existenzsicherung der gemeinsamen Währung eigentlich die Aufgabe der Finanz- und Währungspolitik der Staaten ist.
Andererseits haben Interventionen in den Sekundärmärkten für Regierungsanleihen in einer Währungsunion andere Konsequenzen als in einem Staatswesen. Da es um die Minderung der Zinslast geht, werden gezielt die Anleihen konsolidierungspolitisch problematischer Staaten erworben. Das hat zweifach fragwürdige Anreize zur Folge:
Einmal für die Defizitstaaten - wie man an der erlahmenden Sparbereitschaft der Regierung Berlusconi im August 2011 erkennt, als die EZB begonnen hatte, in großem Umfang italienische Staatspapiere aufzukaufen.Zweitens haben die Anleihekäufe auch Folgen für die Staaten, denen nicht geholfen werden muss, da sich deren Haftungsrisiko über das Euro-System erhöht.
Gerade das Beispiel Italiens unter Berlusconi macht deutlich, dass die Kapitalmärkte über angemessene Zinsunterschiede in einer Währungsunion schlechte Finanzpolitik sanktionieren - so wie es vor Beginn der Währungsunion allenthalben erwartet worden war, aber zunächst nicht eintrat. Die neue Sensibilität der Märkte sollte nicht zum Anlass für die Notenbank werden, Staatsanleiheprogramme aufzulegen.
Allerdings darf nicht übersehen werden, in welchem Umfeld Mario Draghi am 26. Juli 2012 in London sein Versprechen gab ("Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough").
Im Sommer 2012 war die Wette auf einen Zerfall der Euro-Zone an den internationalen Kapitalmärkten dominant. Der Eindruck, insbesondere aus der deutschen Politik, man sei bereit, an Griechenland ein Exempel zu statuieren, hatte Öl in das entsprechende Feuer gegossen. Die Folge war, dass die Renditen für spanische und italienische Regierungsanleihen und die Prämien für die entsprechenden Kreditausfallrisiken nach oben schossen. Insofern reflektierten die hohen Renditen nicht nur das Solvenzrisiko der entsprechenden Staaten, sondern zugleich das Existenzrisiko der Euro-Zone.
Das hatte weitreichende Konsequenzen sowohl für die Staatsfinanzierung als auch für die Unternehmensfinanzierung in diesen Staaten, da die Verzinsung für Regierungsanleihen auch das Niveau für die Verzinsung von Unternehmenskrediten und -anleihen begründet. Dies verfestigte die "Re-Nationalisierung" der Finanzsysteme, so dass sich in den Krisenländern die Finanzierungskonditionen für die Wirtschaft von den Zinsen der EZB entkoppelten. Das kann, da ist Draghi uneingeschränkt zuzustimmen, der Notenbank in einer Währungsunion nicht egal sein.
Diese Kulisse für das am 6. September 2012 vom EZB-Rat beschlossene OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) macht deutlich, dass dies keine schlichte Schwarzweiß-Entscheidung der EZB war, was entsprechend auch vom Bundesverfassungsgericht eine differenzierte Entscheidung verlangt. Die Gefahren von Anleihekäufen durch die Notenbank einer Währungsunion sind evident, die Gefahren des Nichthandelns in der Kriseneskalation 2012 aber auch. Es liegt schon eine gewisse Perfidie in den warnenden Äußerungen mancher deutscher Politiker vor der EZB-Strategie. Diese Warnungen kommen häufig von denselben Politikern, die vor einem Jahr mit leichtfertigen Forderungen nach einem Ausschluss von Krisenstaaten maßgeblich zur Existenzkrise der Euro-Zone beigetragen haben.
Am plausibelsten erscheint die Erwartung, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesbank für ihre Teilnahme an dem OMT-Programm Auflagen macht, um unabsehbare Haftungsfolgen einzudämmen oder gar auszuschließen. Dabei hilft, dass im Rahmen des neuen Programms noch keinerlei Staatspapiere aufgekauft wurden. Bislang wirkt die Geldpolitik allein durch die Kommunikation, was auch so bleiben kann, wenn die Staaten ihre finanzpolitische Verantwortung weiterhin ernst nehmen.
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