Die EU spannt die Banken zunehmend zur Lenkung klimaschützender Investitionen ein. Das macht die Klimapolitik widersprüchlicher statt besser. Groß ist die Gefahr, dass Kreditgeber Moralurteile über die Realwirtschaft fällen und wichtige Innovationen verhindern, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für das Unternehmermagazin Creditreform.
Banken sollten keine Klimainvestitionen lenken
Lange hat sich die EU-Klimapolitik über den europäischen Emissionshandel auf Industrie und Energieerzeuger konzentriert. Doch um die Ziele zu erreichen, sind nun alle Branchen gefordert, ihren Beitrag zu leisten.
Durch die EU-Taxonomie wird auch die Finanzbranche im Sinne einer Investitionslenkung einbezogen. Dabei drohen jedoch Orientierung und Augenmaß verloren zu gehen, Fehlsteuerungen werden wahrscheinlich. Aber bei der klimaneutralen Transformation von Produktion und Konsum können wir uns keine Ineffizienzen leisten.
Zertifikate als Marktinstrument für alle Sektoren
Der ökonomische Ansatz beruht auf der Idee, dass bei einer marktbasierten Bepreisung von CO2 durch den Emissionszertifikatehandel Klimaneutralität auf effiziente und effektive Weise erreichbar ist. Der Zertifikatehandel zielt darauf, realwirtschaftliche Anstrengungen in Gang zu bringen.
Dazu müssen alle Sektoren einbezogen werden; dem nähert man sich mit der Berücksichtigung von Verkehr und Wohnen an. Die Unternehmen passen sich an den CO2-Preis gemäß ihren spezifischen Grenzkosten der Emissionsminderung an. Die gewählte Strategie kann je nach Marktbedingungen und Produktionsmöglichkeiten unterschiedlich sein. Um Ausweicheffekte bei rein europäischen Lösungen zu vermeiden, könnte ein regional weitgreifender Klimaklub „Leckagen“ verhindern.
Der Strukturwandel funktioniert nur dann zu geringstmöglichen volkswirtschaftlichen Kosten, wenn jede Branche ihren Weg selbst gestalten kann. Dazu gehört, dass auf Innovationen und unvorhersehbare Entwicklungen flexibel reagiert wird. Klimaneutralität kann als Ziel eindeutig beschrieben werden, der Weg dorthin ist aber offen.
Dort, wo schnelle Umstellungen technisch möglich sind, werden bald weniger Zertifikate benötigt. Dort, wo Innovationsprozesse erst zur Marktreife gebracht werden müssen – etwa in der Zementproduktion – oder Umstellungen wie in der Chemieindustrie wegen des hohen Energiebedarfs voraussetzungsabhängig sind – Stichwort grüner Wasserstoff –, werden mehr Zertifikate benötigt, die anderen abgekauft werden müssen. Um die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze zu sichern, braucht es eine Abmilderung der Kosteneffekte.
Klimapolitik als marktwirtschaftlicher Entdeckungsprozess
Zu Recht setzt die Politik nicht auf Verzicht, sondern auf die Mobilisierung von Wissen über marktwirtschaftliche Mechanismen. Denn eine Transformation dieses Ausmaßes verlangt Märkte zur „Verwertung des Wissens in der Gesellschaft“ (Friedrich August von Hayek), also Innovation.
Dabei führt jede unsystematische Intervention, jede Verzerrung der Marktpreise dazu, dass Wissen ungenutzt bleibt. Genau das aber droht jetzt: Die Politik mobilisiert die Finanzwirtschaft als Instrument der Investitionslenkung. „Sustainable Finance“ und „Environment – Social – Governance (ESG)“ heißen die dafür entwickelten Verfahren.
Zum 1. Januar ist die EU-Verordnung für die entsprechende Taxonomie in Kraft getreten. Dort wird klassifiziert, welche Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle nachhaltig sind. Gestritten wird derzeit noch darüber, wie Atomkraft und Gas einzuordnen sind. Der Anleger, der in der marktwirtschaftlichen Ordnung aus Freiheit und Verantwortung Souveränität erlangt hat, wird skeptisch befragt, ob er wirklich die richtigen Entscheidungen trifft.
Doch wenn der Handel mit den in der Menge gedeckelten CO2-Zertifikaten zu einem Preissignal führt, sollten Konsumenten und Anleger sowie Investoren und Innovatoren daraus selbständig ihre Schlüsse ziehen können. Was umweltpolitisch geboten ist, müsste sich mit der richtigen Bepreisung automatisch auch in der Finanzwelt entsprechend niederschlagen. Eine Abweichung von diesem ordnungspolitischen Rahmen könnte die Transaktionskosten deutlich erhöhen.
Die Reaktion findet lange statt
Warum sollte es jetzt zusätzlich einer spezifischen klimapolitischen Regulierung der Finanzwirtschaft und der Kreditvergabe bedürfen? Die unzureichende Verfügbarkeit von Kapital für nachhaltige Investitionen taugte nur dann als Argument, wenn die bestehende Regulierung nicht funktionierte.
Das ist nicht der Fall: In den vergangenen zwei Jahren hat ein Bewusstseinswandel der Finanzwelt stattgefunden. Viele Asset-Manager haben auf die schon im März 2021 in Kraft getretene EU-Verordnung zur Offenlegung der ESG-Konformität reagiert und bereits rund 20 Prozent der deutschen Publikumsfonds sind nach Artikel 8 („mit ökologischen und sozialen Merkmalen“) gekennzeichnet.
Überregulierung der Finanzmärkte bremst Innovationen
Die einer höheren Transparenz für die Anleger dienende Offenlegungspflicht ist zu begrüßen, weitergehende Vorgaben könnten jedoch zu einer Verengung der Anlageziele führen, die Innovationen behindert. Mit Anwendung der komplexen ESG-Taxonomie in den Bereichen „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ seit Jahresanfang sind Informationsasymmetrien entstanden.
Die Finanziers sind dafür auf Wissen angewiesen, das teils nicht vorhanden ist. Die Bewertung von Innovationen, die für die Erreichung der Klimaneutralität essentiell sind, dürfte die Experten an den Rand ihrer Beurteilungsmöglichkeiten bringen. Damit besteht das Risiko, dass die angestrebte technologische Offenheit an der Finanzierung scheitert.
Moralurteile in der Finanzbranche können Klimaziele gefährden
In der Regulierung sollten Fehl- und Übersteuerungen verhindert werden. Der europäische Streit um die Einstufung von Gas- und Kernkraftwerken macht deutlich, dass es hier in der Taxonomie schnell um moralische Wertungen geht: Für die einen „darf“ die CO2-freie Kernkraft nicht positiv eingestuft werden, für die anderen nicht die für eine Abschaltung von Kohlekraftwerken notwendige Gasnutzung – nicht mal als Übergangslösung. Durch den Konflikt drohen aber Investitionsblockaden, die letztlich eine Laufzeitverlängerung älterer Kohle- und Kernkraftwerke erfordern könnten.
Wenn die Finanzwirtschaft politisch in die Rolle der moralischen Instanz der Realwirtschaft gedrängt wird, läuft sie Gefahr, ihre ureigene Funktion als Produzent von Informationen zu verlieren. Bleibt die Verwertung des Wissens aber unter ihren Möglichkeiten, drohen ökonomische und politische Reibungsverluste.
Der Möglichkeitsraum für Investitionen würde verengt statt ausgeweitet. Volkswirtschaftlich drohte eine Überforderung im Strukturwandel, wenn die Politik in die Falle detailversessener Investitionslenkung tappt.
Zum Beitrag auf creditreform-magazin.de
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