Sigmar Gabriel hatte die Tengelmann-Übernahme durch Edeka erlaubt, trotz Bedenken des Kartellamts. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Entscheidung nun kassiert – der Wirtschaftsminister hat rechtswidrig gehandelt. Stattdessen den Bundestag künftig über Fusionen und Übernahmen verfügen zu lassen, wäre aber ein Schritt in die falsche Richtung, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in der Börsen-Zeitung.
Arbeitsplätze im Wettbewerb
Der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat Geschichte geschrieben: Die "Besorgnis der Befangenheit des Bundeswirtschaftsministers" und deshalb "seiner fehlenden Neutralität" reichte im Zusammenspiel mit anderen Gründen aus, um bereits im Eilverfahren die Ministererlaubnis zur Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka als rechtswidrig zu bewerten und außer Kraft zu setzen. Befangenheit und fehlende Neutralität sind Kriterien, die auf die Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit von Institutionen zielen. Es sind schwerwiegende Vorwürfe.
Das Bundeswirtschaftsministerium gilt bei Bescheiden über Anträge auf Ministererlaubnis von Fusionen oder Übernahmen als Kartellbehörde, das heißt, es muss sich den Kriterien und Verfahrensvorgaben des Wettbewerbsrechts stellen. Das sorgt wenigstens für Transparenz und ein Mindestmaß an Nachvollziehbarkeit. Anders wäre es, würde man in diese Prozedur sachfremd das Parlament einbinden, wie es derzeit gefordert wird. Die Einbindung des Bundestages würde nach politischer Tageslaune und je nach medialer Inszenierung das Gegenteil von Transparenz bewirken. Dies verbaute zudem die Beschwerdemöglichkeit, die bei einem kartellrechtlichen Verwaltungsakt ganz geordnet gegeben ist.
Die Verfahrenssicherheit ist in diesem Zusammenhang deshalb so bedeutsam, weil die Ministererlaubnis nur eine seltene und vor allem gut begründete Ausnahme von der Regel darstellen kann. Bei der Einfügung der Fusionskontrolle in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahre 1973 wurde zugleich die Ministererlaubnis ergänzt. Das war dem Gedanken geschuldet, dass die Untersagung einer Fusion für sich genommen einen Eingriff in die Vertragsfreiheit darstellt und damit die Verfügungsrechte über das Privateigentum beschränkt. Zudem gab es keine Erfahrungen mit der Fusionskontrolle, so dass es durchaus plausibel war, eine Art Exit-Option zu eröffnen. Dies gilt im Grundsatz unverändert, insbesondere um mögliche Wettbewerbsverbesserungen auf Drittmärkten berücksichtigen zu können. Seit 1973 ist die Anzahl der Anträge auf Ministererlaubnis mit 22 (davon neun positive Bescheide) überschaubar.
Ordnungspolitische Frage
Ordnungspolitisch spannend ist freilich die Frage, ob und inwieweit der Arbeitsplatzerhalt ein sinnvolles Kriterium für eine Ministererlaubnis ist. Das GWB (§ 42 Abs. 1) setzt für einen positiven Bescheid des Ministers Bedingungen, die darauf zielen, dass anderweitige Vorteile die aus einem Unternehmenszusammenschluss resultierenden Nachteile aus der Wettbewerbsbeschränkung aufwiegen. Diese Vorteile müssen allgemeiner Natur sein, indem ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen dominiert oder "ein überragendes Interesse der Allgemeinheit" begründbar ist, und die marktwirtschaftliche Ordnung darf nicht gefährdet werden. Ein Vorteil für einzelne Gruppen, Unternehmen oder Vereinigungen reicht hierbei nicht aus. Die Interessen der beteiligten Unternehmen oder deren Belegschaften sind vielmehr nur insoweit relevant, wie sie mit den gesamtwirtschaftlichen Vorteilen übereingehen.
Maßgeblich für das Gemeinwohlverständnis ist das zugrundeliegende Wettbewerbskonzept. In der Ökonomik steht das Bild des dynamischen Wettbewerbs im Mittelpunkt, der einen funktionsfähigen Preismechanismus sichert. Die Informationsqualität der Preissignale ist somit weitgehend unverzerrt, die Steuerung der privaten Entscheidungen über die relativen Preise effizient. Wichtig sind die Offenheit der Märkte und die Bestreitbarkeit der Marktpositionen. Das ist als Kern unserer marktwirtschaftlichen Ordnung zu sehen. Arbeitsplätze, die so entstehen, sind im Wettbewerb fundiert und nicht durch Protektion gesichert. Gleichwohl eröffnet die Ministererlaubnis mit den Gemeinwohlkriterien der Politik die Möglichkeit, als Retter von Arbeitsplätzen aufzutreten, die ansonsten im Wettbewerb gefährdet wären.
Genau diese Position hat der Bundeswirtschaftsminister im vorliegenden Fall der Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka eingenommen. "Das Beschäftigungsargument wird in nahezu jedem Ministererlaubnisverfahren vorgetragen und ist grundsätzlich als Gemeinwohlgrund berücksichtigungsfähig", so die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zum aktuellen Fall.
Marktmacht ist gefährlich
Doch die Kommission weist zugleich darauf hin, dass an dieses Argument besondere Anforderungen zu stellen sind, da eine Fusion weder die nachfrageseitigen noch die angebotsseitigen Gründe für die Arbeitsplatzgefährdung beseitigen kann. Zudem vermag jede Form der Marktmacht, da sie den Strukturwandel behindert, mittel- bis langfristig Arbeitsplätze zu gefährden. Dagegen können - und sollen - Unternehmen in der Marktwirtschaft keine Beschäftigungsgarantie stellen.
Schließlich bewertete das Gericht die Begründung des Ministers, dass durch die Übernahme kollektive Arbeitnehmerrechte erhalten würden, als irrelevant im Sinne einer Gemeinwohlargumentation. Denn das Grundgesetz gewährt nicht nur uneingeschränkt das Recht, Vereinigungen wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu bilden, sondern ebenso uneingeschränkt die negative Koalitionsfreiheit, also das Recht, einer solchen Vereinigung nicht beizutreten. "Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit könnten der Erhalt und die Sicherung bestehender kollektiver Arbeitnehmerrechte kein Gemeinwohlbelang sein", so das Gericht.
Die Ministererlaubnis verlangt von der Politik die Bescheidenheit, als Kartellbehörde zu fungieren, und die Fähigkeit, Gemeinwohl interessenneutral zu verstehen. Einer Gesetzesänderung bedarf es nicht, nur der Bereitschaft, die Monopolkommission ernst zu nehmen.
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