Der EU-Gipfel hat sich auf einen Aufbaufonds zur Bekämpfung der Corona-Krisenfolgen und einen Finanzrahmen bis 2027 geeinigt. Die Mitgliedstaaten zeigen sich, auch bei sehr unterschiedlichen Positionen, am Ende handlungsfähig, schreibt IW-Ökonom Jürgen Matthes in einem Gastbeitrag für EURACTIV.
Gipfel-Deal zum EU-Budget: Mehr Licht als Schatten
Das ist eine gute Nachricht und hilft vor allem den stark betroffenen Südeuropäern – und auch der deutschen Wirtschaft. Doch an manchen Stellen sind die erzielten Kompromisse zu wenig zielführend. Das gilt für die nur sehr schwammige Rechtsstaatlichkeitsklausel und fragwürdige Ausgabenprioritäten.
Doch zunächst zu den positiven Seiten der Einigung:
Mit der Schaffung eines Aufbaufonds von 750 Milliarden Euro zusätzlich zum EU-Haushalt von knapp 1,1 Billionen Euro bis 2021 sendet die EU ein starkes Signal. Das schafft Vertrauen, stabilisiert die Märkte und trägt damit auch psychologisch zur Erholung bei. Der DAX hat die Marke von 13.000 Punkten deutlich hinter sich gelassen.
Obwohl die Transfermittel von zuvor geplanten 500 auf 390 Milliarden gekürzt wurden, erhalten vor allem die stark von der Corona-Krise betroffenen südeuropäischen Staaten die ursprünglich geplante kräftige Unterstützung bei der mittelfristigen Erholung von den Krisenfolgen.
Die Stabilisierung Europas ist gut für die deutsche Wirtschaft mit ihrer exportorientierten Industrie.
Gewisse Kürzungen bei den Transfers wurden unter anderem bei Geldern vorgenommen, die vor allem in die östlichen Mitgliedstaaten für die Agrarwirtschaft und deren klimafreundlichen Umbau vorgesehen waren. Das ist verschmerzbar, weil diese Staaten überwiegend weniger stark von der Krise betroffen sind.
Gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission haben die Staats- und Regierungschefs die Kontrollmechanismen über die Mittelvergabe deutlich stärker zu sich und weg von der Kommission verlagert. Die von den Mitgliedstaaten aufzustellenden Aufbau- und Resilienzpläne müssen nach einer maximal zweimonatigen Prüfung durch die Kommission innerhalb eines weiteren Monats vom EU-Finanzministerrat mit qualifizierter Mehrheit gutgeheißen werden. Die Gelder werden in Tranchen ausgezahlt, nachdem vorab erst die zufriedenstellende Umsetzung der Pläne zu prüfen ist. Die Kommission muss sich dabei mit einer Ratsarbeitsgruppe abstimmen. Wenn einzelne Mitgliedstaaten ernste Zweifel haben, können sie eine Auszahlung verzögern und eine Diskussion zwischen den Staats- und Regierungschefs über die Probleme erzwingen. Ein echtes Veto oder eine Notbremse, wie die Niederlande wollten, ist das allerdings nicht.
Um eine Einigung zu erreichen, waren schmerzhafte Kompromisse nötig:
Zwar wird erstmals die Auszahlung der Gelder des Aufbaufonds und des EU-Haushaltes an eine Einhaltung von Rechtstaatlichkeitskriterien geknüpft. Doch sind die Formulierungen im Vergleich zum ursprünglich strengen Vorschlag der Kommission mehrfach aufgeweicht und verwässert worden. Der Europäische Rat unterstreicht lediglich die Bedeutung, die der Achtung der Rechtsstaatlichkeit zukommt. Ungarn und Polen haben sich damit weitgehend durchgesetzt. Der Aufbaufonds war eigentlich eine große Chance, die jetzt aber vertan wurde. Es wäre besser gewesen, den Aufbaufonds nicht so eng mit dem EU-Haushalt zu verbinden, sondern auf einer freiwilligen Beteiligung der Mitgliedstaaten aufzubauen. Dann hätten Ungarn und Polen keine Vetomacht gehabt.
Aus dem Aufbaufonds wurde im Zuge der Transferkürzungen das von der Kommission vorgeschlagene Solvenzinstrument gestrichen, mit dem die EU Unternehmen hätte stabilisieren können, die unter der Krise und einer höheren Schuldenaufnahme zusammenzubrechen drohen. Damit verzichtet man auf eine der wenigen Maßnahmen mit direktem Krisenbezug.
Rund 70 Prozent der Transferauszahlungen haben nichts mit der Corona-Krise zu tun, weil sie sich nach Kriterien der Jahre 2016-2019 vergeben werden. Die Gelder werden damit letztlich ähnlich wie normale EU-Gelder verwendet. Die Staats- und Regierungschefs haben also quasi einen zweiten EU-Haushalt neben den ersten gestellt. Das ist zwar angesichts der auch mittelfristigen Krisennachwirkungen verständlich. Doch wenn so viel mehr Mittel für die nächsten 3 Jahre zur Verfügung stehen, hätte man wesentlich mehr auf eine Stärkung der EU setzen müssen. Stattdessen wurden im Vergleich zu vorigen Vorschlägen die Mittel für Forschung, Infrastruktur und Außengrenzenschutz sogar noch leicht gekürzt. Die Agrarförderung bleibt dagegen bis 2027 viel zu hoch. Der EU fällt es weiter zu schwer, konsequent auf die Zukunft statt auf die Vergangenheit zu setzen.
Es ist noch völlig ungeklärt, wie die Schulden,die die EU für die Finanzierung der Transfers aufnehmen wird, später zurückgezahlt werden. Die EU soll dazu neue eigene Einnahmen erhalten, etwa eine Plastiksteuer, klimaschutzbezogene Grenzabgaben oder eine Digitalsteuer. Doch die Mitgliedstaaten müssen hier einstimmig entscheiden. Ob das gelingt, erscheint sehr fraglich. Wenn die Zeit der Rückzahlung kommt, droht damit die Gefahr, dass neue Schulden aufgenommen werden, um die alten zurückzuzahlen. Das ist ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft.
In der Debatte über neue Einnahmen der EU liegt allerdings auch die Chance, die EU für die geopolitischen Herausforderungen der Zukunft gegenüber zunehmend eigennützig agierenden Staaten wie China, Russland, der Türkei und auch den USA nachhaltig zu stärken. Doch umso mehr muss dazu endlich die Bereitschaft entstehen, die mobilisierten Gelder auch in die richtigen Kanäle zu lenken, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und strategische Autonomie zu stärken statt der überkommenen Agrarpolitik.
Zum Gastbeitrag auf euractiv.de
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