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(© Foto: Jessica Morelli/iStock)
Judith Niehues auf Xing Gastbeitrag 9. Mai 2016

Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird überschätzt

Die Mehrheit der Bürger sieht Einkommensunterschiede kritisch. Doch die tatsächliche Situation sieht hierzulande wesentlich positiver aus, schreibt IW-Verteilungsexpertin Judith Niehues auf der Xing-Debattenplattform "Klartext".

Eigentlich ist die wirtschaftliche Situation in Deutschland sehr gut, das ist unbestritten. Vom „kranken Mann Europas“ ist die deutsche Wirtschaft zum Vorbild für die europäischen Nachbarländer geworden. Darüber hinaus haben sich auch die Verteilungsindikatoren in letzter Zeit wieder günstiger entwickelt: Nachdem die Armutsquote und die Ungleichheit der Einkommen um die Jahrtausendwende noch deutlich zugenommen haben, lässt sich seit 2005 eine weitgehend stabile Entwicklung beobachten – bis 2012 haben sich die realen Einkommen der Ärmeren sogar positiver entwickelt als die der Reichen.

Auch die Konzentration der Vermögen – die zunehmend ins Zentrum der Verteilungsdebatten gerückt ist – hat sich gemäß der Haushaltsbefragungsdaten des Sozio-ökonomischen Panels zwischen 2002 und 2012 nicht erhöht. Dies gilt auch dann, wenn die Vermögen der Superreichen mithilfe der Forbes-Reichenliste großzügig hinzugeschätzt werden. Angesichts der deutlichen Verluste der Vermögenden während der Finanz- und Wirtschaftskrise ist dies auch eigentlich nicht überraschend. Eine kürzlich veröffentlichte Vermögensstudie der Deutschen Bundesbank zeigte nun, dass sich selbst nach der Finanzkrise, zwischen 2010 und 2014, bei der Höhe der Vermögensungleichheit wenig getan hat – und das obwohl viele Studien vorhergesagt haben, die aktuelle Nullzinspolitik der EZB würde vor allem die Reichen begünstigen.

In die öffentliche Wahrnehmung schaffen es die stabilen Verteilungsbefunde des letzten Jahrzehnts nicht. „Werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer?“ – kaum ein Bundesbürger würde dies infrage stellen, würde er zu der wahrgenommenen Verteilungsentwicklung befragt. Passend dazu kommen Befragungen zum subjektiven Gerechtigkeitsempfinden einheitlich zum Ergebnis, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse hierzulande mehrheitlich als ungerecht bewertet werden. Inwieweit kann die Bevölkerung aber überhaupt einordnen, wie gleich oder ungleich die Gesellschaft ist?

Verteilungsforscher diskutieren zwar immer wieder darüber, ob die Mittelschicht hierzulande stabil ist oder schrumpft – einig sind sich aber die Studien darin, dass in Deutschland die meisten Menschen in der Mitte leben. Unabhängig davon, ob man die Gesellschaft nach dem Einkommen, sozio-kulturellen Merkmalen oder auch subjektiver Schichtzuordnung abgrenzt: Deutschland ist eine Mittelschichtsgesellschaft. Befragungen zur wahrgenommenen Gesellschaftsform zeigen hingegen, dass die Mehrheit der Bundesbürger die Gesellschaft als Pyramide sieht, mit einer kleinen Elite oben, mehr Menschen in der Mitte und den meisten Menschen unten. Die gesellschaftliche Ungleichheit wird somit überschätzt.

Daraus folgt nicht zwangsläufig, dass die momentanen Verteilungsverhältnisse als gerecht akzeptiert werden müssen. Ist dies nicht der Fall, sollte die Politik zuvorderst die Chancengerechtigkeit erhöhen. Denn ein weiterer Blick auf die Wahrnehmung zeigt, dass Einkommensunterschiede eher akzeptiert werden, wenn sie auf Leistungen und nicht auf glückliche Umstände wie beispielsweise ein gut situiertes Elternhaus zurückgehen.

Zum Artikel auf xing.com

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