Die Europäische Zentralbank berät wieder über die Leitzinsen. Sie werden wohl auf ihrem Rekordtief bleiben. Durch diese Politik gerät das zentrale Problem im Euroraum in Vergessenheit: die extrem hohen Staatsschulden. Ein Gastkommentar auf n-tv.de von Hubertus Bardt, Geschäftsführer im Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
In der Falle der niedrigen Zinsen
Aller Voraussicht nach wird die EZB die Nullzinspolitik noch eine Weile fortführen und nur sehr langsam wieder zu positiven Zinssätzen zurückkehren. Davon profitieren die öffentlichen Haushalte, die mit sehr viel geringeren Zinszahlungen belastet werden. Dies kann sich jedoch zu einer gefährlichen Falle entwickeln: Die historisch niedrigen Zinsen können in vielen Ländern zu dem Trugschluss führen, dass Schulden keine negativen Konsequenzen hätten. Ein wesentliches Problem der Eurozone - die weiterhin dramatisch hohe Staatsverschuldung - gerät dadurch in den Hintergrund.
Zu lange war es zu bequem, durch Schulden die öffentlichen Haushalte auszugleichen. Praktisch jede konjunkturelle Delle diente als Begründung für Ausgabenprogramme. Als die Handlungsfähigkeit des Staates aber wirklich gefordert war, um einen noch tieferen Einbruch in der Wirtschafts- und Finanzkrise zu verhindern, waren die Kassen leer und der Schuldenstand hoch. Trotzdem musste gehandelt werden, die Schuldenquote in der Eurozone stieg um weitere 25 Prozentpunkte auf aktuell 90 Prozent.
Die hohen Staatsschulden machen nun in einem denkbaren Krisenfall eine schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik ausgesprochen schwierig, wenn die Zahlungsfähigkeit der Länder gesichert werden soll. In 14 Euroländern liegt die Schuldenquote heute über der Maastricht-Grenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in acht Ländern sogar über 90 Prozent.
Im Vergleich zu vielen Nachbarn wirkt die deutsche Schuldenquote mit gut 70 Prozent geradezu moderat. Aber auch hier muss die aktuell gute Situation der öffentlichen Haushalte dazu genutzt werden, die langfristigen Belastungen zu verringern – zumal davon auszugehen ist, dass die EZB den historisch niedrigen Zinsen irgendwann doch ein Ende bereitet. Dabei sollten Bund und Länder sich aber nicht nur auf steigende Einnahmen verlassen, sondern dürfen auch die Konsolidierung auf der Ausgabenseite nicht aus dem Blick verlieren – getreu dem Motto: „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“.
Nur ein Viertel des heutigen Schuldenstands im Euroraum kommt aus den Krisenjahren, drei Viertel sind davor entstanden. Die dauernde Schuldenaufnahme der siebziger, achtziger und neunziger Jahre erschwert jetzt eine kreditfinanzierte Finanzpolitik - selbst wenn sie geboten wäre. Umso wichtiger ist es, finanziellen Handlungsspielraum zurückzugewinnen und den Schuldenstand in Europa zu reduzieren. Eine Lehre aus der Krise muss lauten: Leichtfertige Schuldenaufnahme ist eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität - und keine Politikoption. So wie die Inflationierung nach der Krise der siebziger Jahre als politisches Instrument verschwunden ist, muss nun die Verschuldung beendet werden. Die Nullzinspolitik der EZB darf den Blick dafür nicht verstellen.
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