Die deutsche Wirtschaft wächst wieder kräftig – doch die Bürger haben bisher nicht viel davon. Sollten die Löhne jetzt also steigen? Oder würde dies den Aufschwung abwürgen? Darauf antwortet Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Brauchen wir jetzt höhere Löhne?
Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Halbjahr 2010 deutlich in Schwung gekommen, alle Industriebranchen sind auf Erholungskurs. Die Krise hat sich nicht als tiefer Strukturbruch erwiesen, sondern als Wachstumspause. Dies liegt vor allem daran, dass die Ursachen der Krise in der Finanzwirtschaft lagen – und nicht in der Realwirtschaft. Klar ist freilich auch, dass die gegenwärtig positive Entwicklung nicht einfach zum Selbstläufer wird. Denn für die Weltwirtschaft gibt es nach wie vor große Risiken.
Die gute Nachricht: Deutschland profitiert überproportional von der weltweiten Erholung. Das Land ist nicht mehr der kranke Mann Europas, sondern Wachstumslokomotive. Die hiesigen Unternehmen haben angemessen investiert – und stehen international gut da.
Nun kommt es darauf an, die Chancen für zusätzliche Produktionskapazitäten und zusätzliche Beschäftigung nicht zu verbauen. Hier ist entscheidend, welche künftigen Kosten die Unternehmen erwarten. Dabei geht es um Rohstoffkosten, Belastungen durch den Staat – und eben auch Arbeitskosten.
Manche Ökonomen vertreten die These, höhere Löhne würden die Konjunktur beleben, weil sie die Kaufkraft stärken. Wer so argumentiert, ignoriert die Kostenseite. In der Krise hatten die Unternehmen einen starken Nachfrage- und Produktionseinbruch hinzunehmen, trotzdem hielten sie die Beschäftigung weitgehend stabil. Hätte es eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik gegeben (wie sie die Gewerkschaften jetzt im Aufschwung fordern), hätten die Löhne sinken müssen. Da dies nicht der Fall war, sind in der Industrie 2009 die Lohnstückkosten um 15,6 Prozent gestiegen.
Damit sollte klar sein: Die Wirtschaft muss erst wieder produktiver werden, bevor die Löhne stark steigen können. Nur so ist eine Rückkehr zur Normalität möglich, sonst drohen dauerhaft höhere Lohnstückkosten sowie ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen. Dieser Zusammenhang ist eigentlich nicht zu kompliziert, um ihn zu erkennen.
Der Hinweis, die Arbeitnehmer hätten ihre Lasten in der Krise getragen, ist zweifellos richtig, ändert aber nichts an dem skizzierten Befund und sollte vor allem nicht dazu führen, die Anpassungsleistungen der Unternehmen zu ignorieren.
Trotzdem tragen Dauerkeynesianer erwartungstreu und unabhängig von der tatsächlichen Lage das Argument vor, Lohnerhöhungen seien aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nötig, um die Konjunktur zu stützen. Doch diese Sichtweise verengt – wie üblich – die Zusammenhänge.
Zum einen besteht die Binnennachfrage nicht nur aus Konsum, sondern ebenso aus Investitionen. Wie viel die Unternehmen in neue Bauten und Ausrüstungen investieren, wird aber von der zu erwartenden Kostenentwicklung maßgeblich beeinflusst. Für die Gesamtnachfrage ist nichts gewonnen, wenn der Konsum steigt, die Investitionen aber sinken.
Zum anderen ist schon grundsätzlich die Vorstellung verfehlt, man könne über kräftige Lohnerhöhungen die Binnenkaufkraft dauerhaft stärken. Denn für die Entwicklung der Konsumnachfrage ist weniger die Lohndynamik als vielmehr die Beschäftigungsentwicklung entscheidend. Empirische Analysen zeigen: Steigt die Beschäftigung um ein Prozent, nimmt der private Konsum um 0,8 Prozent zu, steigt der Reallohn um ein Prozent, wächst der private Verbrauch hingegen lediglich um 0,2 Prozent.
Will man den privaten Konsum stärken, braucht man also vor allem eines: eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik.
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