Videokonferenzen? Können Meetings vor Ort doch niemals ersetzen! Kundenservice online? Kommt bestimmt nicht gut an! Digitale Kollaborationstechnologien? Bitte nur langsam und mit Zustimmung aller Beteiligten ausrollen! Das war einmal. IW-Digitalisierungsexpertin Barbara Engels schreibt in einem Gastbeitrag für das LfA Magazin über die beschleunigte Digitalisierung durch Corona.
Corona-Krise: Das neue Normal ist digital
Die jahrelang vorgetragenen Lamenti der Digitalisierungsskeptiker, sie finden seit einigen Wochen kein Gehör mehr – und sie werden selbst auch immer leiser. Die Corona-Krise hat innerhalb kürzester Zeit zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Arbeitswelt geführt, der in Intensität und Schnelligkeit seinesgleichen sucht – was sicherlich auch daran liegt, dass er aus der Not geboren ist.
Die Lernkurve kann nur so steil sein, wie die Netze stabil sind
Wie ein Lehrstück bringt die Pandemie die Vor- und Nachteile der Digitalisierung auf den Punkt. Innerhalb kürzester Zeit entblößt sie sämtliche digitalen Errungenschaften und Defizite. Dabei lässt sie Wirtschaft, Politik und Gesellschaft keine Zeit zur Diskussion. Pro und Contra von Homeoffice, Videokonferenzen, Technologie A oder B? „Einfach mal machen“ ist in jedem Fall die Antwort, denn die Alternative zur Digitalität in Zeiten von Social Distancing ist der Stillstand und damit das wirtschaftliche Fiasko. Digitalisierung im Eiltempo, unter Hochdruck, per Zwang, weil es eben nicht anders geht. Unternehmen investieren wie nie zuvor in die digitale Ausstattung ihrer Mitarbeiterschaft und die Stabilität ihrer Netzwerke. Die Google-Suchanfragen zu digitalen Kommunikationstechnologien wie Skype, Slack und Zoom sind in den vergangenen Wochen förmlich explodiert. Immer mehr Menschen verlagern ihren Arbeitsplatz in ihr Wohnzimmer, viele arbeiten zum ersten Mal überhaupt außerhalb des Büros. Die digitalen Lösungen, die schon lange vorhanden sind: Sie werden endlich auch flächendeckend genutzt. Das Internet, das Digitale, das von vielen bislang nur als Add-on, als „Nice-to-have“ gesehen wurde: Es wird endlich als Standard etabliert und so genutzt, wie es von seinen Gründern und Fans immer erhofft wurde, nämlich als Mittel der Vernetzung und gegenseitigen Bereicherung. Das neue Normal ist digital. So gut es denn eben geht. Die Lernkurve kann nur so steil sein, wie die Netze stabil sind. Der Online-Boom stößt schnell an technische Grenzen. Die ohnehin rückständigen Breitbandnetze vor allem in ländlichen Regionen, aber auch in Großstädten werden derzeit massiv herausgefordert. Weltweit steigt der Datenverkehr deutlich. So vermeldet der größte deutsche Internetknoten in Frankfurt Rekordwerte. Können die Netze der zusätzlichen Belastung auch in den nächsten Wochen standhalten, wenn sich immer mehr digitale Anwendungen in der Fläche durchsetzen? Welche Kosten entstehen bereits jetzt dadurch, dass die Internetverbindungen zu langsam und zu unzuverlässig sind? Die vermehrte Nachfrage führt leider nicht immer zu einem erhöhten Angebot. In der Kürze der Zeit sind Kompromisse angesagt. Streaming-Plattformen wie Netflix und YouTube drosseln beispielsweise vorsorglich ihre Bildqualität, um die zusätzlichen Abfragen überhaupt bedienen zu können.
Die Corona-Krise ist ein Realexperiment für die Digitalisierung Deutschlands
Auch beim Datenschutz und der IT-Sicherheit offenbaren sich Kompromisse – und das nicht nur, weil dezentrales Arbeiten oft mehr Einfallstore für Hacker bietet. Ohne Cloud geht inzwischen nichts mehr – und diesen Markt dominieren US-Konzerne. Der Abfluss von Know-how und die Kompromittierung von Privatsphäre sind möglich.
Digitale Technologien werden auch eingesetzt, um die Maßnahmen gegen die Corona-Krise zu implementieren und zu kontrollieren. In der chinesischen Corona-App wird Datenschutz dabei völlig ignoriert, mit potenziell weitreichenden Folgen über die chinesischen Staatsgrenzen hinaus. Auch Cyberkriminelle nutzen die Corona-Panik der Menschen und verstärken ihre Aktivitäten. Gelingt es, den Schutz und die Sicherheit der Daten auch in Krisenzeiten zu erhalten? Kann die Politik korrekt zwischen Persönlichkeitsrechten und Pandemieeindämmung abwägen? Es wird sich zeigen. Und zwar sehr bald. Die Corona-Krise ist ein Realexperiment für die Digitalisierung Deutschlands. Die Erkenntnisse aus diesem Experiment werden Wirtschaft und Gesellschaft langfristig verändern. Zum Guten. Zum ersten Mal probieren wir Digitalisierung wirklich aus, weil es keine echte Alternative dazu gibt. Das, was sich an ihr als sinnvoll, effektiv und gewinnbringend erweist, wird bleiben. Das Lehrstück Corona wird uns lehren.
„Nach Corona“ werden wir sicherlich nicht alle im Homeoffice bleiben. Wir werden wieder Meetings offline abhalten und auf Dienstreisen gehen. Denn der direkte, persönliche Austausch, offline und von Angesicht zu Angesicht: Auch ihn lernen wir in der Krise besonders zu schätzen. Diversität in Teams blüht gerade dann besonders auf, wenn sie sich im unmittelbaren, spontanen Diskurs entfalten kann – und nicht jeder erst sein Mikrofon an- und störende Hintergrundgeräusche abschalten muss. Aber nach der Krise werden wir eher wissen, was auch digital geschehen kann – und dieses dann auch digital machen. Vorbei die Zeiten, in denen Konferenzen, Seminare, Messen automatisch offline abgehalten wurden, weil es eben immer schon so war. Wir werden flexibler zwischen online und offline, digital und analog unterscheiden und entscheiden können. Das macht unsere Arbeit insgesamt produktiver. Ganz grundsätzlich werden wir offener für Neues. Und das ist die beste Voraussetzung für die Zukunft überhaupt.
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