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(© Foto: Carso80/iStock)
Axel Plünnecke in der Sächsischen Zeitung Gastbeitrag 25. Oktober 2016

Auch der Beste muss noch lernen

Sachsen ist Deutschlands Bildungs-Klassenprimus, schreibt IW-Bildungsökonom Axel Plünnecke in einem Gastbeitrag für die Sächsische Zeitung. Dennoch bleibt viel zu tun im Freistaat.

Der im August 2016 erschienene Bildungsmonitor – eine Vergleichsstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) – hat gezeigt, dass Sachsen im Vergleich der Bildungssysteme der deutschen Bundesländer den ersten Platz belegt. Der Bildungsmonitor bewertet in zwölf Handlungsfeldern anhand von 93 Indikatoren, wie groß der entsprechende Handlungsbedarf eines Bundeslandes im Vergleich zu den anderen Bundesländern einzuordnen ist.

Zunächst einmal erreicht Sachsen im Handlungsfeld Schulqualität im Bundesländervergleich Bestwerte. Die Einordnung beruht im Wesentlichen auf den Kompetenztests für Mathematik und Naturwissenschaften des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) , die im Auftrag der Kultusministerkonferenz von Mai bis Juni 2012 bundesweit an über 1.300 Schulen mit 44.500 Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe durchgeführt wurden. Insgesamt schneiden im Gesamtbereich Mathematik die Schülerinnen und Schüler aus Sachsen mit 536 Punkten am besten ab. Da die Teilnehmer durch eine Stichprobe gezogen wurden, sollte der Unterschied zwischen den einzelnen Rängen jedoch nicht überinterpretiert werden. Es kann aber festgehalten werden, dass die Schülerinnen und Schüler in Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Bayern und Sachsen-Anhalt in Mathematik signifikant besser abschneiden als der Bundesdurchschnitt. In den naturwissenschaftlichen Fächern erreicht Sachsen ebenfalls Spitzenwerte, die signifikant über dem Bundesdurchschnitt liegen.

Auch wenn man nur die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund vergleicht, erreicht Sachsen im Ländervergleich Spitzenwerte, wenngleich der Vorsprung geringer ist als im Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler. Dieser Erfolg ist vor dem Hintergrund besonders zu würdigen, dass im bundesweiten Vergleich der Eltern ohne Migrationshintergrund die Eltern in Sachsen etwas niedrigere Bildungsabschlüsse und einen leicht geringeren sozialen Hintergrund aufweisen als dies durchschnittlich in Deutschland der Fall ist.

Es wird spannend zu beobachten sein, ob die Stärke des sächsischen Bildungssystems sich auch Ende Oktober dieses Jahres bei der Veröffentlichung der Testergebnisse in den Fächern Deutsch und Englisch aus dem Jahr 2015 widerspiegelt. In den letzten Jahren haben nämlich einige Länder Bildungsausgaben und Infrastruktur stärker ausgebaut als Sachsen.

Die bisherigen Testergebnisse zeigen auch, dass in Sachsen der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg der Kinder sehr gering ist. Die guten Bedingungen zur Verbesserung der sozialen Teilhabe machen sich insbesondere beim Erreichen des Zieles, Bildungsarmut zu vermeiden, bezahlt. Beim oben erwähnten Mathematiktest der KMK im Jahr 2012 stellte Sachsen die niedrigste Risikogruppe aller Bundesländer. Verbesserungspotenzial besteht allerdings noch bei der Schulabbrecherquote. Diese betrug im Jahr 2014 in Sachsen 8,4 Prozent, im Bundesdurchschnitt hingegen nur 5,5 Prozent.

Die guten Ergebnisse in Sachsen können verschiedene Ursachen haben. Zum einen ging wenig Kraft und Energie in Strukturdebatten verloren. Das G8 wurde nicht erst eingeführt und wie in anderen Ländern dann verändert oder teilweise wieder abgeschafft, sondern besteht unverändert fort. Auch die Gliedrigkeit des Schulsystems wurde nicht wie in anderen Ländern mehrfach verändert, sondern es besteht ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Kontinuität. Daneben weist Sachsen hohe Ganztagsquoten in den Kindertageseinrichtungen und Grundschulen auf.

So besuchten in Sachsen 85,6 Prozent der Grundschüler im Jahr 2014 eine offene oder gebundene Ganztagsschule (Bundesdurchschnitt: 32,9 Prozent). Dies ist die zweithöchste Quote aller Bundesländer. Deutlich überdurchschnittlich fiel mit 72,8 Prozent auch der Anteil der Schüler an Ganztagsschulen im Sekundarbereich I aus (Bundesdurchschnitt: 39,6 Prozent). Darüber hinaus wurden 81,0 Prozent der Kinder im Jahr 2015 in der Altersklasse der Drei- bis Sechsjährigen in Sachsen ganztägig betreut (Durchschnitt: 43,7 Prozent). Untersuchungen zeigen, dass vorschulische Bildung entscheidend dazu beitragen kann, vor allem benachteiligte Kinder gut auf ihre spätere Schullaufbahn vorzubereiten.

Mit Ganztagsschulen sind eine Reihe an Vorteilen verbunden: mehr Individualisierungsmöglichkeiten, eine stärkere Schulentwicklungsorientierung, mehr Innovations- und Kooperationsbereitschaft des Lehrpersonals, eine bessere Lernkultur sowie eine Verzahnung des Unterrichts mit außerunterrichtlichen Angeboten. Zusätzlich bestehen Chancen für eine Verbesserung des Sozialverhaltens, für die Motivation und das Selbstkonzept der Schüler sowie für die sozialen Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern. Es können Ausgleichseffekte in Bezug auf herkunftsbedingte Ungleichheiten und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf insbesondere für alleinerziehende Eltern erreicht werden.

Ist das Zeugnis für Sachsen also durchwegs positiv? Bei weitem nicht. Das sächsische Bildungssystem weist im Bundesländervergleich auch erhebliche Handlungsbedarfe auf. Problematisch ist dabei erstens der hohe Anteil der ausländischen Schulabsolventen ohne Abschluss. Im Jahr 2014 beträgt der Anteil ausländischer Absolventen ohne Abschluss 16,7 Prozent (Bundesdurchschnitt: 11,9 Prozent) und ist seit dem Jahr 2011 deutlich gestiegen (2011: 11,7 Prozent).

Zweitens wirkt sich auch die Altersstruktur der Lehrer problematisch aus. Im Jahr 2014 waren in Sachsen 34,2 Prozent der Lehrer an allgemeinbildenden Schulen 55 Jahre alt oder älter. In den kommenden zehn Jahren ist dieser Anteil an Lehrern zu ersetzen. Bereits aktuell kommt es zu Engpässen beim Ersatzbedarf. Im Zeitraum von 2010 bis 2014 haben sich die Betreuungsrelationen an Grundschulen und in der Sekundarstufe I verschlechtert, auch wenn im Vergleich der Bundesländer über alle Bildungsstufen hinweg noch eine vergleichsweise günstige Situation besteht. Außerdem bedeuten Inklusion und Integration einen zusätzlichen Investitionsbedarf im Bildungssystem. Berechnungen des IW zeigen, dass in Sachsen für die Integration der Geflüchteten von KITA bis Berufsvorbereitung im Jahr 2017 zusätzlich rund 174 Mio. Euro benötigt werden.

Was ist folglich zu tun? Zunächst sind die Hausaufgaben bei der Flüchtlingsintegration zu erledigen. Hier gibt es hervorragende Beispiele aus anderen Bundesländern, von denen gelernt werden kann. So ist Bayern vorbildlich im Bereich der Berufsvorbereitung und der Berufsorientierung.

Neben zusätzlichen Bildungsausgaben sind auch die Rahmenbedingungen für Schulen zu verbessern. Bildungsökonomische Studien zeigen, dass mehr Autonomie der Schulen, das Durchführen von Vergleichsarbeiten und zentralen Abschlussprüfungen sowie ein wenig gegliedertes Schulsystem zu guten Ergebnissen bei den Schülerinnen und Schülern führt. Die Zweigliedrigkeit hat sich in Sachsen bewährt, zentrale Abschlussprüfungen bestehen bereits seit langem. Strukturentscheidungen sollten vor allem im Konsens erfolgen und für einen längeren Zeitraum tragen.

Qualität setzt in jeder Struktur Steuerungswissen voraus. Potenziale bestehen daher vor allem darin, aus den Vergleichsarbeiten zu lernen. Die Schulverwaltungen verfügen über eine Vielzahl an Daten zu den Leistungen der einzelnen Schulen sowie statistischen Informationen über Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und das Umfeld der Schulen. Auf dieser Basis sollte ein strategisches Bildungscontrolling aufgebaut werden. Dieses kann zeigen, welche Schulen bei vergleichbarem Umfeld in der Lage sind, sehr gute Ergebnisse in den Vergleichsarbeiten zu erreichen, die Schulabbrecherquoten zu verringern, die soziale Durchlässigkeit zu erhöhen und erfolgreiche Integration zu verwirklichen.

Hieraus kann ein Qualitätswettbewerb um die besten Ideen entstehen und alle Schulen können von den erfolgreichen Leuchttürmen lernen. Einige Länder wie Baden-Württemberg bauen diese Infrastruktur gerade auf, Sachsen sollte ebenfalls vor allem in diesem Bereich Schwerpunkte setzen. So könnte es gelingen, dass Sachsen auch in künftigen Vergleichstests gut abschneidet und bisherige Schwächen bei Schulabbruch und Integration reduziert.

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