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Michelle Koenen / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 38 31. Mai 2023 Energiekrise führt zu spürbaren Wohlstandseinbußen in Deutschland

Die Energiekrise in Europa hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Handelsbedingungen geführt. Die Effekte auf den deutschen Warenhandel zeigen sich durch einen stark gesunkenen Handelsbilanzüberschuss im Jahr 2022. Die stark gestiegenen Importpreise führen aber auch zu einem spürbaren Abfließen der in Deutschland erwirtschafteten Einkommen ins Ausland.

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Energiekrise führt zu spürbaren Wohlstandseinbußen in Deutschland
Michelle Koenen / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 38 31. Mai 2023

Energiekrise führt zu spürbaren Wohlstandseinbußen in Deutschland

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Energiekrise in Europa hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Handelsbedingungen geführt. Die Effekte auf den deutschen Warenhandel zeigen sich durch einen stark gesunkenen Handelsbilanzüberschuss im Jahr 2022. Die stark gestiegenen Importpreise führen aber auch zu einem spürbaren Abfließen der in Deutschland erwirtschafteten Einkommen ins Ausland.

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat zu großen Verwerfungen auf den europäischen Energiemärkten geführt. Im Lauf des Jahres 2022 stellte Russland seine Gaslieferungen über die Pipelines gen Westen schrittweise ein. Infolgedessen kam es zu einem beispiellosen Anstieg der Gaspreise. Nach Ausbruch des Kriegs ist die deutsche Wirtschaft zwar in keine tiefe Rezession gefallen, das Wirtschaftswachstum hierzulande blieb jedoch deutlich hinter dem des Euroraums zurück. Ein Blick in die Produktion der energieintensiven Industriezweige wie der Chemieindustrie oder der Metallerzeugung zeigt zudem, wie umfangreich die Folgen bereits sind (Küper/Obst, 2023). Die Produktion brach bis zum Jahresende 2022 um nahezu 20 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ein.

Schlechtere Handelsbedingungen

Während sich die öffentliche Wahrnehmung stark auf die wirtschaftlichen Verluste des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fokussiert, wurde die Verschlechterung der Handelsbedingungen nur stellenweise untersucht (Nierhaus, 2023). Das preisbereinigte BIP ist der zentrale Indikator für die gesamte im Inland erwirtschaftete Leistung in einer Periode. Es gibt aber ein noch umfassenderes Maß: das im Inland entstandene Realeinkommen (Realwert des BIP). Hier werden die Gewinne oder Verluste aus dem Außenhandel zum realen BIP hinzugerechnet. Der Hintergrund hierfür ist, dass bei den Realeinkommen die Handelsbedingungen, auch Terms of Trade (ToT) genannt, einbezogen werden.

Die ToT ergeben sich rechnerisch aus dem Verhältnis der Exportpreise und Importpreise und geben damit das reale Austauschverhältnis Deutschlands zum Ausland an. Steigen die Exportpreise stärker als die Importpreise, verbessert sich die außenwirtschaftliche Position. Die ToT geben somit Aufschluss über das Kaufkraftniveau Deutschlands im Vergleich zu seinen Handelspartnern. Steigende ToT bedeuten Wohlfahrtsgewinne für die heimische Volkswirtschaft, während bei einer Verschlechterung der ToT die Realeinkommen der Volkswirtschaft über niedrigere Unternehmensgewinne und/oder höhere Inlandspreise sinken. Mittelfristig können höhere Exportpreise der deutschen Unternehmen die verschlechterten Handelsbedingungen zwar wieder ausgleichen. Kurzfristig sieht man allerdings oft Wohlfahrts- und Realeinkommensverluste aufgrund starrer Preise und unelastischer Nachfrage im Außenhandel.

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Je größer der Anteil von Exporten und Importen am BIP (Außenhandelsquote) ist, desto größer kann der ToT-bedingte Unterschied zwischen realem BIP und den Realeinkommen sein. Deutschland hat mit einer Außenhandelsquote von über 70 Prozent einen sehr hohen Offenheitsgrad und ist gleichzeitig tief in globale Wertschöpfungsketten integriert. Damit ist die deutsche Volkswirtschaft anfällig für externe Schocks, die Entwicklung der ToT sind daher besonders relevant. So fiel der Außenbeitrag zwischen 2021 und 2022 von 192 Milliarden Euro auf knapp 80 Milliarden Euro. Damit liegt der Handelsbilanzüberschuss gerade wieder auf dem Niveau Anfang der 2000er Jahre.

Drei Phasen seit der Pandemie

Als wichtigster Bestimmungsfaktor für das Austauschverhältnis mit dem Ausland gelten die Energieimportpreise, da sie historisch eine starke negative Korrelation zu den ToT aufweisen (EZB, 2022). Für Deutschland zeigt sich ebenfalls eine stark negative Korrelation (Abbildung). Die ToT in Deutschland spiegeln die Entwicklung der Energieimportpreise über den gesamten Zeitraum nahezu perfekt wider.

Grundsätzlich sind drei Phasen in der dargestellten Abbildung zu erkennen. In der ersten Phase kam es im Zuge der globalen wirtschaftlichen Erholung nach dem exogenen Angebots- und Nachfrage-Schock der Corona-Pandemie bereits ab dem zweiten Quartal 2020 wieder zu einem Anstieg der Nachfrage nach Energieträgern. Dies sorgte für einen Anstieg der Energieimportpreise um mehr als 60 Prozent bis Ende 2020. Im gleichen Zeitraum verschlechterten sich die ToT von knapp 107 auf einen Indexwert von rund 104. Im Jahresverlauf 2021 wurde die wirtschaftliche Erholung dann durch Lieferengpässe und daraus resultierenden Materialknappheiten weiter gehemmt. Bis zum Herbst 2021 stiegen somit die Energieimportpreise kräftig an, mit gleichzeitiger Verschlechterung der ToT.

In der zweiten Phase kamen Chinas Null-Covid-Strategie und die daraus resultierenden Schließungen der Häfen hinzu. Diese angebotsseitigen Schocks resultierten in einer weiteren Verschlechterung der ToT bis zum Ende des Jahres 2021 bei einem gleichzeitigen Anstieg der Energieimportpreise. Letztere lagen im Dezember 2021 bereits 280 Prozent höher als noch im April 2020. Verstärkt wurde die Preisdynamik bei den Energie-importen im Februar 2022 mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs. In Folge kam es zu explodierenden Gaspreisen an den europäischen Energiemärkten. Im August 2022 lag der Index für Gaspreise im Vergleich zum Januar 2020 um 300 Prozent höher. Hinzu kam der deutliche Wertverlust des Euro gegenüber dem US-Dollar, was sich zusätzlich negativ auf die Kaufkraftveränderungen auswirkte. Somit kam es bis zum August 2022 zu einer weiteren Verschlechterung der ToT auf 86 bei einem extremen Anstieg der Energieimportpreise auf 371.

In der dritten Phase seit September 2022 verbesserten sich die ToT wieder. Die Angst vor einer Gasmangellage konnte durch einen milden Winter überwunden werden, zeitgleich sorgten die Bemühungen zum Aufbau von LNG-Terminals und die Abschlüsse von neuen Importverträgen für eine Energiediversifizierung. Vor diesem Hintergrund scheint sich die Normalisierung der Energieimportpreise fortzusetzen. Die Einfuhrpreise sind somit deutlich wieder auf ein Niveau von unter 200 gefallen, was auch zu einer sichtbaren Erholung der ToT geführt hat. Innerhalb von knapp drei Jahren (April 2020 bis März 2023) haben sich die Energieimportpreise damit jedoch fast vervierfacht. Im gleichen Zeitraum fielen die ToT von rund 107 auf einen Indexwert von 94.

Hohe Wohlfahrtsverluste in Deutschland

Die deutlich gestiegenen Importpreise sorgen in der kurzen Frist also für reduzierte Gewinnmargen, da die Überwälzung der höheren Einfuhrpreise aus den vergangenen zwei Jahren an das Ausland nur verzögert und nicht im vollen Umfang stattfand. Zur Einordnung: 2022 nahmen die Ausfuhrpreise um knapp 15 Prozent im Jahresvergleich zu, während sich der Index für Einfuhrpreise um rund 26 Prozent erhöhte. Dies ist vor allem auf die dargestellten gestiegenen Kosten für Energie zurückzuführen. Aber auch in absoluten Werten sind die für deutsche Unternehmen gestiegenen Kosten beachtlich. Die Ausgaben für Energie (Erze, Erdöl, Erdgas und Kohle) sind 2021 insgesamt um rund 35 Milliarden Euro gestiegen und im Jahr 2022 noch einmal stärker mit knapp 65 Milliarden Euro, jeweils im Vergleich zum Vorjahr (Statistisches Bundesamt, 2023). Trotz mengenmäßiger Reduktion machten Erdöl und Erdgas den größten Posten bei den Energieausgaben aus.

Oben ist die Verschlechterung der Handelsbedingungen in Deutschland in Relation zum Ausland dargestellt. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, diesen Wohlfahrtsverlust als ToT-Effekt zu berechnen. Nierhaus (2023) beziffert diesen auf rund 75 Milliarden Euro für das Jahr 2022. Dieser setzt sich aus der Gegenüberstellung der Effekte aus dem Export (ca. 72 Milliarden Euro) und dem Import (ca. 147 Milliarden Euro) zusammen. Diese ToT-Verluste werden von dem preisbereinigten BIP nicht abgebildet. Sie müssen vom realen BIP abgezogen werden. Damit ergibt sich ein Realeinkommensverlust für das Jahr 2022 von 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Somit wurde die heimische Wohlfahrtsentwicklung, gemessen an der Wachstumsrate des realen BIP, deutlich überschätzt.

Die gesamtwirtschaftlichen Realeinkommensverluste an das Ausland betreffen dabei Unternehmen und Haushalte gleichermaßen. Sie sind in ihrer Höhe zuletzt in den 1970er Jahren im Kontext der Ölkrisen realisiert worden. Die oft debattierten Übergewinne bestimmter Unternehmen in einigen Sektoren sind hier also stellenweise irreführend, da sie sich meist auf multinationale Konzerne mit erhöhter Preissetzungsmacht beziehen. Insgesamt sind signifikante Einkommen ins Ausland geflossen und haben die außenwirtschaftliche Position Deutschlands nachhaltig geschwächt. Der Energiepreisschock musste zuerst von den Unternehmen durch Effizienzgewinne oder Verzicht auf Gewinnmargen verarbeitet werden, wurde letztlich aber auch durch höhere Inlandspreise an die Verbraucher weitergegeben.

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