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Sebastian Bußmann / Susanne Seyda IW-Kurzbericht Nr. 29 6. Juni 2016 Digitalisierung als Mittel gegen Fachkräfteengpässe

Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt sich seit mehreren Jahren in sehr guter Verfassung: Im März 2016 waren mit 43,2 Millionen so viele Personen erwerbstätig wie noch nie. Die Arbeitslosenquote sank in den letzten Jahren deutlich. Diese aus Sicht der Erwerbstätigen positive Entwicklung stellt Arbeitgeber vor Herausforderungen: Im März 2016 konnten in 95 Berufen, die dauerhaft Fachkräfteengpässe aufweisen, 378.000 offene Stellen wegen fehlender Arbeitskräfte nicht besetzt werden. Die Digitalisierung bietet Chancen, diese Engpässe zu verringern. Gelänge es, alle Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, könnten die offenen Stellen auf 187.000 reduziert werden.

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Digitalisierung als Mittel gegen Fachkräfteengpässe
Sebastian Bußmann / Susanne Seyda IW-Kurzbericht Nr. 29 6. Juni 2016

Digitalisierung als Mittel gegen Fachkräfteengpässe

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt sich seit mehreren Jahren in sehr guter Verfassung: Im März 2016 waren mit 43,2 Millionen so viele Personen erwerbstätig wie noch nie. Die Arbeitslosenquote sank in den letzten Jahren deutlich. Diese aus Sicht der Erwerbstätigen positive Entwicklung stellt Arbeitgeber vor Herausforderungen: Im März 2016 konnten in 95 Berufen, die dauerhaft Fachkräfteengpässe aufweisen, 378.000 offene Stellen wegen fehlender Arbeitskräfte nicht besetzt werden. Die Digitalisierung bietet Chancen, diese Engpässe zu verringern. Gelänge es, alle Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, könnten die offenen Stellen auf 187.000 reduziert werden.

Die Arbeitslosenquote lag im April 2016 bei 6,3 Prozent. In Teilen Süddeutschlands wird sogar die 3-Prozent-Marke, die häufig als Schwelle für Vollbeschäftigung gilt, unterschritten. Immer mehr Betriebe berichten von Problemen bei der Stellenbesetzung und von Suchabbrüchen. Derzeit gibt es in Deutschland 95 Berufe, die dauerhaft seit August 2011 von Engpässen betroffen sind. Hier reichen die Arbeitslosen bereits seit knapp fünf Jahren rechnerisch nicht aus, um alle offenen Stellen zu besetzen – selbst dann, wenn alle Arbeitslosen bundesweit mobil wären. Engpässe bestehen vor allem in Gesundheitsberufen, in Elektro-, Maschinentechnik- und Metallberufen sowie in einigen Bau- und Gastronomieberufen.

Können Betriebe ihre Stellen über einen längeren Zeitraum nicht besetzen, kann es sinnvoll sein, stärker in Digitalisierung zu investieren. Wenn Computer und Maschinen gezielt einen Teil der Tätigkeiten übernehmen, werden Fachkräfte entlastet, die auf dem Arbeitsmarkt rar sind. Unternehmen können so mit ihren vorhandenen Fachkräften mehr Aufträge erledigen. Dengler und Matthes (2015) haben einen Substituierbarkeitsindex erstellt, der für Berufshauptgruppen (2-Steller der KldB 2010) ermittelt, welche Routinetätigkeiten in den jeweiligen Berufen anfallen und welcher Teil dieser Routinetätigkeiten von Computern und computergesteuerten Maschinen theoretisch übernommen werden könnte. Diese Automatisierung führt zu veränderten Tätigkeiten in den Berufen und bedeutet nicht zwangsläufig den Wegfall der Berufe (Arntz et al., 2016).

Der Substituierbarkeitsindex ermöglicht eine grobe Einschätzung der Effekte der Digitalisierung auf die Fachkräfteengpässe. Werden die Substituierbarkeitspotenziale auf die Ebene der Engpassberufe (5-Steller der KldB 2010) übertragen, so zeigt sich, dass in 20 der 95 Berufe mit dauerhaften Engpässen ein hohes Substituierbarkeitspotenzial besteht: Mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten können theoretisch von Computern und computergesteuerten Maschinen übernommen und die Fachkräfte von Routineaufgaben entlastet werden. Dies trifft vor allem auf den Bereich der Mechatronik und der Automatisierungstechnik zu. Auch in Metallberufen wie Zerspanungsmechaniker und Schweißer sowie in der industriellen Gießerei bietet die Digitalisierung Chancen, indem beispielsweise vermehrt Schweißroboter eingesetzt und Produktionsprozesse weiter automatisiert werden.

In 38 Engpassberufen besteht ein mittleres Substituierbarkeitspotenzial von 30 bis 70 Prozent. Demnach könnten in Bauberufen Maschinen bei der Prognose und Diagnose von Fehlern intensiver eingesetzt, in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik die Produktionsprozesse weiter automatisiert werden.

In 18 von 20 Gesundheits- und Pflegeberufen, in denen seit Jahren Fachkräfte fehlen, ist hingegen nur ein geringes Substituierbarkeitspotenzial vorhanden. Neben dem technisch Machbaren sind hier auch rechtliche und ethische Aspekte, beispielsweise mit Blick auf Pflegeroboter, zu berücksichtigen. Auch in der Gastronomie sind kaum Effekte zu erwarten.

Werden alle offenen Stellen summiert und berücksichtigt, dass nur jede zweite offene Stelle der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wird, gab es im März 2016 in den 95 Engpassberufen 378.000 offene Stellen, die nicht besetzt werden konnten. Gelänge es den Unternehmen, alle Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, könnten die offenen Stellen auf 187.000 reduziert werden – bei unveränderter Beschäftigung. Bestehende Engpässe würden also deutlich gelindert. In diesem Szenario sind allerdings dynamische Effekte, die durch die Digitalisierung entstehen, nicht berücksichtigt.

Tendenziell gilt: Je höher die formale Qualifikation, desto weniger können Maschinen die menschliche Arbeitskraft ersetzen. Keiner der akademischen Engpassberufe besitzt ein hohes Substituierbarkeitspotenzial. Bei Personen mit Aufstiegsfortbildung wie Meister und Techniker ist dies bei drei von 18 dauerhaften Engpassberufen der Fall (Bußmann/Seyda, 2016). Daher hat die Qualifizierung eine zentrale Bedeutung – sie schützt den Einzelnen vor Arbeitslosigkeit und hilft Unternehmen, offene Stellen zu besetzen. Die Mehrheit der Betriebe rechnet im Zuge der Digitalisierung mit steigenden Anforderungen an die Kompetenzen der Mitarbeiter. Für einen kleinen Teil der Belegschaft wird das IT-Fachwissen wichtiger. Für die meisten Beschäftigten sind jedoch weniger konkrete Programmierkenntnisse relevant, stattdessen vielmehr Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Organisationsfähigkeit und Selbstständigkeit sowie die Fähigkeit, neue Programme anzuwenden und mit vernetzten Systemen umzugehen (Hammermann/Stettes, 2016). Auch das Erfahrungswissen gewinnt in einem digitalisierten Arbeitsumfeld weiter an Bedeutung.

Da die Digitalisierung ein fortlaufender Prozess ist, haben Unternehmen und Mitarbeiter Zeit, sich für die Herausforderungen zu rüsten und diese schrittweise anzugehen. Neben der Qualifizierung betrifft das auch die Umstellung der Produktion, die mit finanziellem Aufwand verbunden ist. Die Fachkräfteengpässe, die künftig eher stärker als schwächer werden dürften, könnten zum Anlass genommen werden, die Digitalisierung des eigenen Unternehmens voranzutreiben und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Technische Neuerungen haben von jeher dazu geführt, dass Arbeitskräfte von schrumpfenden in wachsende Branchen gewandert sind. Auch die voranschreitende Digitalisierung bringt neue Beschäftigungsmöglichkeiten mit sich. In den Engpassberufen der Elektro- und Maschinentechnik könnten künftig mehr Fachkräfte benötigt werden, welche beispielsweise die Digitalisierung von Produktion und Prozessen vorantreiben oder die verstärkte Automatisierung von Produktionsanlagen gestalten. Aber auch im Bereich der unternehmensnahen Dienstleis­tungen, der bereits stark digitalisiert ist, kann weiterer Fachkräftebedarf entstehen. Die Digitalisierung bietet folglich große Chancen, um bestehenden Engpässen am Arbeitsmarkt zu begegnen und schafft zugleich neue Beschäftigungsmöglichkeiten dort, wo neue Geschäftsmodelle und Innovationen entstehen.

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Sebastian Bußmann / Susanne Seyda IW-Kurzbericht Nr. 29 6. Juni 2016

Sebastian Bußmann / Susanne Seyda: Fachkräfteengpässe – Digitalisierung als Mittel gegen Fachkräfteengpässe

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