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Markus Demary / Michael Hüther / Armin Mertens IW-Kurzbericht Nr. 84 13. Oktober 2022 Geldpolitik im Kreuzfeuer der Kritiker

Kritik an der Geldpolitik ist nichts Neues. Auch die Geldpolitik der Bundesbank stand wegen ihrer Verteilungswirkungen in der Vergangenheit immer wieder im Kreuzfeuer der Kritiker, wie eine Big-Data-Auswertung des Spiegel-Archivs zeigt.

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Geldpolitik im Kreuzfeuer der Kritiker
Markus Demary / Michael Hüther / Armin Mertens IW-Kurzbericht Nr. 84 13. Oktober 2022

Geldpolitik im Kreuzfeuer der Kritiker

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Kritik an der Geldpolitik ist nichts Neues. Auch die Geldpolitik der Bundesbank stand wegen ihrer Verteilungswirkungen in der Vergangenheit immer wieder im Kreuzfeuer der Kritiker, wie eine Big-Data-Auswertung des Spiegel-Archivs zeigt.

Der Datensatz für diese Fragestellung wurde durch eine algorithmische Textanalyse von Artikeln aus dem Archiv des wöchentlich erscheinenden Magazins Der Spiegel erstellt. Dabei wurde mittels eines Algorithmus nach Schlüsselwörtern wie „Bundesbank“, „Inflation“ oder „Zinsen“ in Artikeln des Archivs gesucht, und die identifizierten Artikel wurden für die weitere Analyse als Datengrundlage verwendet. Der Vorteil dieser Textanalyse besteht darin, dass sogenannte Echtzeit-Daten genutzt werden konnten, also Daten, so wie sie zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen haben. Damit sind diese Echtzeit-Daten nicht durch eine geänderte Rückschau verzerrt, sondern sie spiegeln die Einschätzung der Beteiligten zum damaligen Erkenntnisstand wider. Um die Kritik der Öffentlichkeit an der Geldpolitik der Bundesbank zu messen, wurden die Artikel aus dem Archiv des Spiegels, die einen Bezug zur Bundesbank und Inflation ausweisen, mit Hilfe eines Algorithmus auf bestimmte Schlagwörter untersucht und mit einer Datenbank verglichen, die den Schlagwörtern einen numerischen Sentimentwert, also eine Maßzahl für die Tonalität, zuordnet. Je negativer dieser Sentimentwert ist, desto negativer ist die Tonalität des Artikels und umgekehrt. Die Daten wurden zu Dekaden zusammengefasst und beginnen in den 1960er Jahren.

Negativere Tonalität in Bezug auf die Geldpolitik

Eine Auswertung der Tonalität der Berichterstattung mit Blick auf die Geldpolitik findet sich in der Abbildung. Diese zeigt die durchschnittliche Tonalität der Artikel mit einem Fokus auf die Bundesbank und Inflation sowie als Referenz die Tonalität im Durchschnitt über alle Artikel des Spiegels. Es fällt auf, dass die Tonalität in Bezug auf die Bundesbank deutlich negativer ausfällt als die Tonalität der Artikel insgesamt. Dies gilt für alle untersuchten Dekaden und ist für drei Dekaden auch statistisch signifikant, wie an der Lage der Datenpunkte und der Konfidenzintervalle zu erkennen ist. Dies fällt besonders in den 1960er, den 1970er und den 1990er Jahren auf.

Geldpolitik als zu restriktiv empfunden

Eine häufig geäußerte Kritik war die aus der damaligen Sicht zu restriktive Geldpolitik, denn man befürchtete, dass die hohen Zinsen die Konjunktur belasten und zu Arbeitslosigkeit führen würden. Dies zeigt sich z. B. an der Formulierung „… vermögensvernichtende Pferdekuren deutscher Observanz hat noch keine andere moderne Industrienation durchexerziert“ (Der Spiegel, 1960).

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Jahre später klingt der Spiegel aber versöhnlicher mit der Bundesbank, was z. B. an der folgenden Formulierung „Die Stärke des Bundesbankpräsidenten lag darin, den Wert der Mark gegen Pumpversuche des Staates und der Wirtschaft zu verteidigen“ (Der Spiegel, 1968a) zu erkennen ist. Hierin zeigt sich, dass es die Bundesbank trotz oder aber auch wegen der Kritik an ihrer restriktiven Geldpolitik geschafft hat, sich einen Ruf als stabilitätsorientierte Institution zu erarbeiten. Dies zeigt sich auch an der Formulierung: „Selten hat sich die Deutsche Bundesbank in Bonn eines so guten Rufs erfreut wie in den letzten Jahren“ (Der Spiegel, 1986).

Auch wenn die Artikel des Spiegels in ihrer Tonalität gegenüber der Geldpolitik negativer als im Durchschnitt über alle Themen sind, so scheinen trotz aller Polemik die Verteilungswirkungen der Geldpolitik einen zentralen Kritikpunkt darzustellen, wie man z. B. aus dem Satz „Die Kluft zwischen den neuen Klassen wird von Quartal zu Quartal tiefer. Die eine Klasse enteignet sich, weil sie gegen die Zinsrechnungen nicht anverdienen kann. Die andere wird wohlhabend, weil sie zunehmend Spaß daran gewinnt, ihr Geld gegen Superzinsen anzulegen, statt es locker auszugeben“ (Der Spiegel, 1981) schließen kann. Das Kreuzfeuer, in welchem sich die Geldpolitiker aufgrund der Verteilungswirkungen ihrer Politik sehen, kann z. B. aus der folgenden Formulierung „Der Disput ist fast unvermeidlich: Was immer die Bundesbank in der Geldpolitik tut, es scheint das Falsche zu sein“ (Der Spiegel, 1987) ersehen werden.

Was sind Erklärungen für die negative Tonalität?

Die Gründe müssen näher betrachtet werden, denn in der Rückschau scheinen die meisten Menschen sehr zufrieden mit der stabilitätsorientierten Politik der Bundesbank gewesen zu sein und viele EZB-Kritiker haben sich auf diese Notenbankpolitik berufen, wenn sie die Geldpolitik der EZB als zu locker kritisiert haben. Dabei sind mehrere Einflussfaktoren zu beachten:

  • Auch wenn die Geldpolitik der Bundesbank in der Rückschau als stabilitätsorientiert empfunden wird, so war sie im jeweiligen Zeitraum auch immer mit Zielkonflikten verbunden. Zinserhöhungen wurden häufig als Gefahr für die Konjunktur und für den Arbeitsmarkt angesehen. Dass gewisse Entwicklungen in der Rückschau anders bewertet werden, vor allem, wenn neuere Daten und Erkenntnisse vorliegen, wird in der Psychologie als Rückschau-Bias bezeichnet (Fischhoff/Beyth, 1975).
  • In den Artikeln des Spiegels wurde häufig unterschiedlichen Interviewpartnern die Möglichkeit gegeben, die Politik der Bundesbank zu kommentieren. Dabei war oft mindestens ein Interviewpartner dabei, der die Geldpolitik als ungünstig empfand. Dies zeigt die Formulierung: „Die Bundesbank, die sich lange weigerte, den Diskontsatz zu senken, habe »den Stand des Pfundes auf dem internationalen Währungsmarkt erschüttert«, ließ Majors Pressestelle verbreiten. »Sabotage« hätten die Deutschen betrieben, sagte Majors stellvertretender Parteichef Tim Smith“ (Der Spiegel, 1992). Da der Algorithmus nicht zwischen der Tonalität der Autoren des Spiegels und der Tonalität der Interviewpartner unterscheiden kann, weist der Algorithmus dem gesamten Artikel eine negative Tonalität zu.  
  • In den älteren Artikeln des Spiegels wird eine polemischere Sprache im Vergleich zu heutigen Artikeln gewählt, wie aus der Formulierung „[d]as schlechte Geschäft, das die Sparer diesmal machen, hat mit ihrer eigenen Knauserigkeit zu tun“ (Der Spiegel, 1977a) ersehen werden kann. Auf diese sprachlichen Besonderheiten, speziell Formulierungen wie „Stadium sturer Kaufunlust“ (Der Spiegel, 1966), „Zinskampf“ (Der Spiegel, 1968b), „Blutbad“ (Der Spiegel, 1969), „brutales Abbremsen“ (Der Spiegel, 1977b), schlägt der Algorithmus gerne an und weist eine negative Tonalität aus.
  • Die Bundesbank musste sich ihre Reputation aufbauen, weshalb sie auch öfters anecken musste. Damit zog sie Kritik auf sich.

Die aktuelle Kritik an der Europäischen Zentralbank und ihrer Niedrigzinspolitik resultiert aus den Verteilungswirkungen niedriger Zinsen, die Gewinner und Verlierer hinterlässt. In der Rückschau wird man diese Geldpolitik vermutlich deutlich milder bewerten, was die aktuelle Auswertung von Kommentierungen der Geldpolitik der Bundesbank nahelegt. Denn zum damaligen Datenstand erschien die Geldpolitik der Bundesbank häufig als zu restriktiv. Nach dem heutigen Erkenntnisstand war diese „Toughness“ der Geldpolitiker aber erforderlich gewesen, um Reputation als Stabilitätsanker aufzubauen. Die EZB ist aktuell in einer ähnlichen Situation, in der sie 24 Jahre nach ihrer Gründung ihre Reputation als Stabilitätsanker beweisen muss. Ob ihr das in Zeiten von hohen Inflationsraten tatsächlich auch gelingen wird, kann vom heutigen Datenstand aus nicht vorhergesagt werden.

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