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Michael Grömling / Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 56 20. August 2019 Welche Risiken gefährden die deutsche Wirtschaft?

Verunsicherungen, die sich aus der Verfügbarkeit von Fachkräften und der künftigen Entwicklung der Inlandsnachfrage sowie der Energie- und Rohstoffpreise ergeben, belasten derzeit die Geschäftstätigkeit der deutschen Unternehmen besonders stark. Die verhaltensbedingten Risiken aus der Verteilungspolitik und infolge des Protektionismus verstärken die Unsicherheit zusätzlich.

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Welche Risiken gefährden die deutsche Wirtschaft?
Michael Grömling / Jürgen Matthes IW-Kurzbericht Nr. 56 20. August 2019

Welche Risiken gefährden die deutsche Wirtschaft?

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Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Verunsicherungen, die sich aus der Verfügbarkeit von Fachkräften und der künftigen Entwicklung der Inlandsnachfrage sowie der Energie- und Rohstoffpreise ergeben, belasten derzeit die Geschäftstätigkeit der deutschen Unternehmen besonders stark. Die verhaltensbedingten Risiken aus der Verteilungspolitik und infolge des Protektionismus verstärken die Unsicherheit zusätzlich.

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2019 leicht geschrumpft. Dabei konnten die Zuwächse bei den konsumorientierten Branchen den Rückgang der industriellen Wertschöpfung nahezu kompensieren. Die deutsche Industrie befindet sich schon seit Anfang des Jahres 2018 in der Rückwärtsbewegung. Als Grund für diese Entwicklung wird das weltweit hohe Ausmaß an Verunsicherungen genannt.

Unsicherheit kann aus ganz unterschiedlichen Quellen resultieren, zum Beispiel aus erratischen Schwankungen von wichtigen Rohstoffpreisen infolge von natürlichen Ereignissen (z. B. Hurrikan) oder kriegerischen Auseinandersetzungen (z. B. im Persischen Golf). Wichtig ist es, die eigentlichen Quellen oder Auslöser von Verunsicherung zu erkennen. In der Institutionenökonomik wird hier zwischen der Umweltunsicherheit und der Verhaltensunsicherheit unterschieden (Picot, 1982). Diese Unterscheidung ist insofern bedeutsam, als die Identifikation der Auslöser von Unsicherheit wichtig sein kann für die Gestaltung von institutionellen Vorkehrungen und wirtschaftspolitischen Reaktionen.

  • Die Umweltunsicherheit bezieht sich auf die künftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Hierzu zählen tatsächliche Umwelt- oder Klimabedingungen, die etwa über ein Erdbeben (Fukushima) oder unwetterbedingte Infrastrukturbeeinträchtigungen international aufgestellte Wertschöpfungsketten beeinträchtigen. Auch die natürliche Verfügbarkeit von Rohstoffen, technologische Veränderungen wie die digitale Revolution oder Arbeitskräfteengpässe können hier genannt werden.
  • Bei der Verhaltensunsicherheit geht es um das konkrete Verhalten besonders von politischen Entscheidungsträgern. Als Beispiele können Protektionismus, ein ungeordneter Brexit oder bestimmte Ausprägungen der Klimapolitik aufgeführt werden.

Diese Risiken beeinflussen die Kostenstruktur der Unternehmen, ihre Absatzchancen und damit die Investitionsneigung. Ausgeprägte und vor allem verhaltensbedingte Verunsicherungen belasten nicht nur kurzfristig die wirtschaftliche Entwicklung.

Wie hoch die mit bestimmten Ereignissen verbundene Unsicherheit ist, kann in der Regel nicht direkt gemessen werden. Um das Ausmaß an Unsicherheit abzuschätzen, wird eine Reihe von unterschiedlichen Ansätzen – wie Börsenkurse, Medienanalysen oder Prognoseunterschiede – herangezogen (siehe Bloom, 2014; Deutsche Bundesbank, 2018). Hierzu gehören auch Befragungen, die ein direktes Meinungsbild und Risikoprofil der Unternehmen wiedergeben sollen. Anders als die vorgenannten Methoden können Umfragen auch konkrete Erklärungen für die Verunsicherung liefern.

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Im Rahmen der aktuellen Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) vom Frühjahr 2019 wurden knapp 2.400 Firmen befragt, ob derzeitig ihre eigenen Geschäftsabläufe durch bestimmte Unsicherheitstatbestände bedroht werden. Es wurde also nicht nach den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, sondern nach der konkreten Situation in den Firmen gefragt. Den Unternehmen wurden hierfür insgesamt 15 Unsicherheitsfaktoren mit jeweils drei Antwortmöglichkeiten – kein Risiko, geringes Risiko und hohes Risiko – vorgegeben.

Die Einschätzungen der befragten Unternehmen liefern ein sehr differenziertes Bild – auch mit Blick auf die Unterscheidung nach Umwelt- oder Verhaltensunsicherheit (Abbildung). Die Top-5-Risiken aus Sicht der deutschen Unternehmen sind:

  • Mit weitem Abstand nennen die vom IW befragten Unternehmen die fehlende Verfügbarkeit von Fachkräften als ein aktuelles Risiko für ihre Geschäftsabläufe. 61 Prozent der Unternehmen in Deutschland stufen dieses Risiko als hoch ein, weitere 29 Prozent als gering und nur 10 Prozent sehen darin keine Gefahr für ihre Betriebsabläufe.
  • Ein Drittel der Unternehmen nennt als unternehmerisches Risiko eine intensivere Verteilungspolitik, die etwa zu höheren Arbeitskosten und einer eingeschränkten Disposition beim Arbeitseinsatz infolge von neuen Regulierungen führt. 45 Prozent stufen dieses Risiko immerhin als gering ein.
  • Die Abschwächung der Inlandsnachfrage, etwa durch eine nachlassende Konsumdynamik im Gefolge einer stockenden Beschäftigungsentwicklung (Bardt et al., 2019), stellt für 29 Prozent einen hohen Unsicherheitsfaktor dar.
  • Jeweils knapp ein Viertel der Betriebe beurteilt die Verschlechterung der Kosten oder die eingeschränkte Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen als ein hohes Risiko für ihre derzeitigen Betriebsabläufe.
  • Auch die Beeinträchtigungen durch Cyberkriminalität stellt mittlerweile für 22 Prozent der befragten Firmen ein hohes Risiko dar, 46 Prozent beurteilen dieses Risiko als gering und nur knapp ein Drittel sieht darin keine Bedrohung.

Die Risiken durch den Protektionismus – ausgelöst durch die Zollpolitik der aktuellen US-Administration – oder durch einen No-Deal-Brexit scheinen eher als überschaubar eingeschätzt zu werden: Ein Sechstel der befragten Firmen sieht eine Beeinträchtigung der eigenen Exporte durch Protektionismus als ein hohes Risiko, ein Zehntel die Verteuerung von importierten Vorleistungen infolge von Zöllen und Handelsbeschränkungen. In einem ungeordneten Brexit erwarten 17 Prozent der Firmen ein hohes Risiko. Dabei gilt es zu beachten, dass nur ein Teil der deutschen Wirtschaft über direkte Auslandsbeziehungen verfügt. Diese international aufgestellten Firmen werden möglicherweise heftig von den mit dem Protektionismus einhergehenden Verhaltensunsicherheiten getroffen, die eher in einem regionalen Wirtschaftsraum aktiven Unternehmen, die selbst in der weltmarktoffenen deutschen Wirtschaft den Großteil der Betriebe stellen, dagegen nicht direkt. Die IW-Umfrage zeigt auch, dass die mit dem Protektionismus und dem Brexit einhergehenden Risiken spürbar mit der Unternehmensgröße ansteigen und von den Industrieunternehmen merklich höher eingestuft werden als von den Dienstleistern und Baufirmen.

Die Umfrage signalisiert, dass bekannte und überwiegend umweltbedingte Risikotatbestände den Unternehmen die größten Sorgen bereiten. Zu diesem facettenreichen Risikococktail kommen noch die aktuellen verhaltensbedingten Unsicherheitsfaktoren wie Brexit und US-Protektionismus hinzu. Sie haben offensichtlich aus Sicht der Firmen zu einer übermäßigen Belastung geführt und maßgeblich zur aktuellen konjunkturellen Abkühlung beigetragen.

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