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Christina Anger / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 44 30. Juni 2021 Schulschließungen - Auswirkungen und Handlungsempfehlungen

Erste Studien zeigen, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie zu Lernverlusten bei den Schülerinnen und Schülern geführt haben. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten. Es müssen jetzt umfangreiche Maßnahmen ergriffen werden, um Lernlücken zu schließen und weitere Schulschließungen zu vermeiden.

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Schulschließungen - Auswirkungen und Handlungsempfehlungen
Christina Anger / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 44 30. Juni 2021

Schulschließungen - Auswirkungen und Handlungsempfehlungen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Erste Studien zeigen, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie zu Lernverlusten bei den Schülerinnen und Schülern geführt haben. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten. Es müssen jetzt umfangreiche Maßnahmen ergriffen werden, um Lernlücken zu schließen und weitere Schulschließungen zu vermeiden.

Internationale Untersuchungen zu früheren Schulschließungen zeigen, dass längere Schulunterbrechungen gravierende Auswirkungen wie Schulabbrüche, geringere Einkommen und höhere Arbeitslosigkeitsrisiken haben können (für eine Übersicht Anger/Plünnecke, 2020). Ähnliche Auswirkungen deuten sich nun auch nach den coronabedingten Schulschließungen an. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Schulen nicht komplett geschlossen waren, sondern ein Distanzunterricht stattfand. Für diese Art des Unterrichts war Deutschland jedoch hinsichtlich der Ausstattung mit digitalen Geräten sowie mit W-LAN nicht gut vorbereitet (Eickelmann et al., 2019; Anger/Plünnecke, 2020). Ferner zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten deutlich schlechtere Lernbedingungen im Fernunterricht haben (Anger/Plünnecke, 2021a). Als Folge haben insbesondere leistungsschwächere Schüler weniger Zeit für das Lernen aufgewendet (Wößmann et al., 2021). Dieser Gruppe ist das Distanzlernen und damit das selbständige Lernen deutlich schwerer gefallen als leistungsstarken Kindern. Wichtige Voraussetzungen für erfolgreiches Distanzlernen sind hohe Lesekompetenzen und eine hohe Anstrengungsbereitschaft (Lockl et al., 2021).

Somit ist es insgesamt nicht verwunderlich, dass erste empirische Studien zu den aktuellen Schulschließungen hohe Lernverluste bei den Kindern und Jugendlichen ergeben. Engzell et al. (2020) zeigen für die Niederlande, dass die Schülerinnen und Schüler nur geringe oder keine Fortschritte beim Lernen von zu Hause gemacht haben. Die Verluste sind dabei bis zu 55 Prozent größer bei Schülerinnen und Schülern aus weniger gebildeten Familien. Maldonado/De Witte (2020) konnten für die Sechstklässler in Flandern zeigen, dass diese im Vergleich zu früheren Kohorten einen Lernverlust in Mathematik und in den Sprachkompetenzen aufweisen. Zugleich hat die Ungleichheit stark zugenommen. Für die Schweiz konnte nach einer Phase achtwöchiger Schulschließungen für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe kein Lernverlust festgestellt werden. Bei den Grundschülern verlangsamte sich das Lerntempo jedoch und Unterschiede in den Lernzuwächsen nahmen zwischen Schülern zu (Tomasik et al., 2020). Zwei Metastudien zu den Effekten der Schulschließungen in verschiedenen Ländern auf die Kompetenzen der Schüler kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass in verschiedenen Fächern Lernrückstände entstanden sind. Diese fallen bei jüngeren Kindern und bei Kindern mit einem geringen sozio-ökonomischen Status größer aus (Zierer, 2021; Hammerstein et al., 2021).

Eine aktuelle Lernstandserhebung für Gesamtdeutschland liegt bislang noch nicht vor. Zumindest für Baden-Württemberg kann jedoch festgestellt werden, dass während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 die Schülerinnen und Schüler weniger Zeit für das Lernen aufgewendet haben und die Kompetenzen von Fünftklässlern im Lesen und vor allem in Mathematik gesunken sind (Schult et al., 2021). Vergleiche mit früheren Tests in Hamburg zeigen keine größeren Kompetenzeinbußen, wobei einschränkend zu berücksichtigen ist, dass vor den Tests vor allem in den sozial benachteiligten Stadtteilen Präsenz-Lerngruppen in den Sommerferien an den Schulen zur Kompensation der Lernlücken eingerichtet wurden (Depping et al., 2021).

Insgesamt legen diese Ergebnisse zu den Effekten der Schulschließungen des Frühjahrs 2020 nahe, dass der Fernunterricht allein den Ausfall des Präsenzunterrichts nicht kompensieren konnte. Im Herbst/Winter 2020/2021 waren die Schulen nochmals sogar für einen noch längeren Zeitraum geschlossen, jedoch etwas besser auf den Distanzunterricht vorbereitet. Hinzu kommt, dass die Schulschließungen bei den Kindern und Jugendlichen nicht nur zu Bildungsverlusten geführt haben (StäwiKo, 2021; Leopoldina, 2021). Die Aussetzung des Präsenzunterrichts – aus Schutz vor dem Corona-Virus – hat bei einigen Betroffenen zu anderen gesundheitlichen Risiken geführt. Dazu gehören psychische Beeinträchtigungen (Ravens-Sieberer et al., 2021), Bewegungsmangel und fehlende schulische Angebote zur Unfallprävention (Fahrradprüfungen oder Schwimmunterricht).

Aufgrund dieser umfangreichen Auswirkungen von geschlossenen Schulen für Kinder und Jugendliche ist es wenig zielführend, dass vereinzelt schon jetzt darüber diskutiert wird, ob die Schulen im kommenden Herbst oder Winter wieder ganz oder teilweise geschlossen werden müssen. Stattdessen sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Lernverluste und andere Folgen der Schulschließungen möglichst schnell zu kompensieren und weitere Schulschließungen zu vermeiden (siehe auch: StäwiKo, 2021; Leopoldina, 2021).

Wichtig ist zunächst, dass die Lernlücken schnellstmöglich ausgeglichen werden, da Bildung ein kumulativer Prozess ist. Hierzu sollten zunächst an allen Schulen und Jahrgängen Vergleichsarbeiten durchgeführt werden, um den Umfang des Lernverlustes systematisch zu ermitteln (Leopoldina, 2021). Auf dieser Grundlage könnten dann Nachqualifizierungsprogramme entwickelt werden. Diese könnten aus zusätzlicher Unterstützung durch Lehrmaterialien oder zusätzlichem Förderunterricht am Nachmittag, an den Samstagen und in den Ferien bestehen. Diese Angebote sollten sich auf die Kinder mit besonderem Förderbedarf und auf diejenigen, die vor dem Übertritt in eine andere Bildungsstufe stehen, konzentrieren (StäwiKo, 2021). Um allein etwa 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler mit größerem Förderbedarf entsprechend nachzuqualifizieren, sind ungefähr 1,5 Mrd. Euro bereitzustellen (Anger/Plünnecke, 2021b). Wichtig ist, dass diese Maßnahmen evaluiert werden und ausreichend miteinander verknüpft sind (StäwiKo, 2021). Dabei sollten vor allem Rückstände in den Kernfächern nachgeholt werden (Leopoldina, 2021; StäwiKo, 2021). Koordinieren könnten diese Maßnahmen an den Schulen Chancenbeauftragte. Diese könnten Konzepte entwickeln und umsetzen, wie die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Einbußen an Chancengleichheit kompensiert und darüber hinaus nachhaltig Chancengleichheit bei der Bildung erreicht werden kann. Bei einer Stelle pro Schule würden dadurch Kosten von jährlich 4 Mrd. Euro entstehen. Auch Ganztagsschulangebote sollten weiter ausgebaut und noch stärker als bislang zur individuellen Unterstützung von Schülern mit Förderbedarf genutzt werden.

Um den Schulbetrieb auch nach den Sommerferien sicherzustellen, sollten Klassenräume mit Luftfiltern ausgestattet und sonstige Lüftungsmöglichkeiten verbessert werden. Weiterhin sollten die Impfungen von Lehrkräften und Eltern möglichst schnell abgeschlossen und Testkonzepte an den Schulen weitergeführt werden. Sollten dennoch regionale Schulschließungen oder Quarantänemaßnahmen erforderlich werden, so sollte durch einen Ausbau der IT-Ausstattung und entsprechende Fortbildungen der Lehrkräfte sichergestellt werden, dass möglichst Digitalunterricht nach Stundenplan erteilt werden kann.

Um die IT-Administration sicherzustellen und die Lehrkräfte zu unterstützen, werden 20.000 zusätzliche IT-Stellen an den Schulen benötigt. Dafür sind jährlich 2 Mrd. Euro erforderlich. Die Digitalisierung hilft dabei nicht nur für die Aufrechterhaltung eines hochwertigen Lehrangebots bei temporären Schulschließungen, sondern ist zusätzlich ein wichtiger Baustein, Lernrückstände auch im Präsenzunterricht zu schließen und Bildungschancen zu verbessern.

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